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Medien als Instrument: China will globale Machtbalance radikal verschieben


Medien als Instrument
China will die globale Machtbalance radikal verschieben

MeinungEin Gastbeitrag von Christoph Grabitz, Singapur

Aktualisiert am 09.07.2020Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Xi Jinping: Dem chinesischen Staatspräsidenten fehle der moralische Kompass, beklagt Christoph Grabitz im Gastbeitrag.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping: Dem chinesischen Staatspräsidenten fehle der moralische Kompass, beklagt Christoph Grabitz im Gastbeitrag. (Quelle: Birgit Korber/getty-images-bilder)

Chinas Propaganda hat dazugelernt. Psychologisch geschickt tritt sie heute mal offen aggressiv, dann wieder gefühlig und moralisch auf. Europa muss aufpassen, meint Experte Christoph Grabitz im Gastbeitrag.

Anfang April, als der Westen unter dem Lockdown ächzt und in Italien die Beatmungsgeräte knapp werden, wird die Facebook-Seite von China Daily besonders gefühlig: Eine schöne Studentin mit perfektem Englisch berichtet, zu Tränen gerührt, dass sie ihr Austauschsemester in den USA vorzeitig abbrechen und in den Schoß ihres tapferen Heimatlandes China zurückkehren musste, weil amerikanische Mitstudenten sie wegen der Pandemie beschimpft hätten. Es gibt jetzt viele lustige Tiervideos – und natürlich Berichte über die chinesische Pharmaindustrie, dem rettenden Impfstoff zum Greifen nah.

Traditionell sendet Propaganda eine Botschaft der Stärke von oben nach unten aus. Chinas derzeitige Propaganda aber geht den umgekehrten Weg: Sie analysiert zunächst die Bedürftigkeit ihrer Zielgruppe und bedient diese sodann gezielt, ganz im Marketingstil der Digitalisierung. In Abwandlung der Marxschen Religionskritik könnte man sagen: Diese hochmoderne Propaganda benebelt das Volk nicht mehr mit ein und demselben Opium – sie ist zu einer komplexen Designerdroge geworden.

Chinas Behörden taten etwas Überraschendes

Diese hochmoderne Propaganda ist Bestandteil einer parallel zur Seidenstraßeninitiative konzipierten, globalen Medienstrategie der Regierung Xi Jinping. Beide Initiativen gemeinsam streben nichts Geringeres an als eine radikale Verschiebung der globalen Machtbalance. China soll endlich das erreichen, was ihm "zusteht": Es soll zur Weltmacht des "Asian Century" aufsteigen – und damit auch zur moralisch-ethischen Diskursmacht. Und wie gestärkt China aus der nationalen Vollkatastrophe der Corona-Pandemie hervorgegangen ist, ist ein Beleg für den unbändigen Willen dieses Landes aus, sein Ziel zu erreichen.

(Quelle: Christoph Grabitz/Konrad-Adenauer-Stiftung)

Christoph Grabitz, ist Leiter des Medienprogamms Asien für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Singapur. Er hat Jura an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, sich auf Kriminologie und Law and Social Theory am King’s College in London spezialisiert. Mehr als zehn Jahre war er als freier Autor für verschiedene Medien tätig. Unmittelbar vor der Entsendung nach Singapur arbeitete Grabitz als bundesweit tätiger Strafverteidiger mit Sitz in Berlin.

Immer dann, wenn Vertuschung und Repression im Inneren nicht mehr zielführend waren – das hat China in der Weltviruskrise gezeigt – sattelt es auf ein menschliches Antlitz um. So war es zum Beispiel, als der Augenarzt Li Wenliang Anfang Februar, mit gerade einmal 33 Jahren, an Corona verstarb. Li, der zu Beginn der Krise eindringlich vor der Gefährlichkeit der Epidemie gewarnt hatte, war von den Behörden zum Schweigen gebracht worden. Als er in den sozialen Netzwerken innerhalb Chinas zum Märtyrer erklärt wurde und Universitätsprofessoren forderten, den Todestage Lis zum Tag der Meinungs- und Pressefreiheit zu erklären, taten die Behörden etwas Ungewöhnliches: Sie baten die Familie Lis öffentlich um Entschuldigung.

China möchte das Image des meinungslosen Billiglohnlands ablegen, das sich davor scheut, seine Stärke nach außen zu tragen. In der Entschlossenheit, die Werte, die der Westen seit Jahrzehnten stolz wie eine Monstranz vor sich herträgt, als eitle Worthülsen vergangener Zeiten zu entlarven, schwingt China sich zu einer moralischen Instanz auf: Geradezu genüsslich stimmte es nach dem Mord an George Floyd in den Chor der Entrüsteten über den anhaltenden Rassismus in den USA ein. Geradezu genüsslich brandmarkte es den Zahlungsstopp Trumps an die WHO als das, was er ist: Eine Generalabsage an die internationale Solidarität – ausgerechnet zum Zeitpunkt einer Krise globalen Ausmaßes.

Europas Selbstzweifel sind gefährlich

Nicht nur das erratische Krisenmanagement Trumps sondern auch die Blässe, das Zögern und Zaudern eines auch vor der Pandemie bereits von Selbstzweifeln zersetzten Europas machten es China leicht, sich zunächst als entschlossener Virusbekämpfer und in einem zweiten Schritt als Retter in der Not zu gerieren.

Tatsächlich wirkte Europa im Umgang mit der Pandemie aus Asien besehen oft fahrlässig, hochnäsig und undankbar: Man denke an das blödsinnige Gerede in Deutschland vom "Gesundheitsermächtigungsgesetz". Oder an Menschen, die sich – kaum von dem umsichtigen Krisenmanagement ihrer Regierung vor italienischen Verhältnissen bewahrt – auf Marktplätzen versammelten, um gegen die Einschränkung ihrer Grundrechte durch Gesichtsmasken zu demonstrieren. Unter billigender Inkaufnahme neuer Ansteckungen.

Die größte Stärke der neuen chinesischen Propaganda – ihre Vielgestaltigkeit und Omnipräsenz – ist zugleich ihre größte Schwäche. Denn, so sehr sich Xi und Trump im Detail auch unterscheiden mögen, gemein ist ihnen der fehlende moralische Kompass. Werte werden nur so lange behauptet, wie sie dabei helfen, den nächsten Deal vorzubereiten.

Die "Wolfskrieger" machen sich bemerkbar

Auf Multilateralismus pocht China nur, um sich von der USA und ihrem Ausstieg aus der WHO moralisch abzugrenzen. Chinas Umgang mit Hong Kong, mit Kritikern im eigenen Land, mit der Minderheit der Uiguren, seine steten Provokationen im südchinesischem Meer und zuletzt auch im Galwan-Tal im Himalaja an der Grenze zu Indien zeigen das arrogante Gesicht einer Großmacht, die sich nichts mehr sagen lassen will.

Unter den Diplomaten sind die sogenannten "Wolf Warriors" tonangebend. Sie röhren kraftmeierisch, manchmal wirkt es wie eine billige Kopie US-amerikanischer Kriegsrhetorik aus dem 20. Jahrhundert. Sie werten andere Nationen rhetorisch ab. Sie haben dafür gesorgt, dass australische Waren mit heftigen Zöllen belegt wurden, weil es eine unabhängige Untersuchung zum Seuchenausbruch gefordert hatte.

Und Europa? Steht etwas abseits von der alten und der neuen Supermacht, den USA und China, und kratzt sich ratlos am Kopf.

Europa besitzt zwei Vorteile

Augenfällig ist, dass Europa das Thema China noch immer in den Kategorien des Kalten Kriegs in den Griff zu bekommen versucht: Immer wieder fällt die uralte Vokabel der "Systemkonkurrenz", die aber heute schrecklich unpassend ist: Es geht in der Auseinandersetzung mit China nicht um die große Frage des Kalten Kriegs, ob dem Menschen besser mit Kommunismus oder Kapitalismus gedient ist. Es geht um die Verteidigung der offenen Gesellschaft gegenüber der smarten Diktatur.

Fieberhaft wird gefragt, mit welchen "Gegennarrativen" Europa sich gegen die zunehmende Deutungshoheit Chinas zu Wehr setzen könnte. Wer aber so denkt und spricht, ist bereits von einer chinesischen Weltsicht infiziert, nach der nicht Qualität, sondern Quantität über Erfolg und Misserfolg entscheidet.

Anstatt sich für "Gegennarrative"“ zu interessieren, sollte Europa sich zweier genuin europäischer Ressourcen besinnen, die weitaus kostbarer und weitaus schwieriger zu gewinnen sind als mit allen Mitteln der Digitalisierung und Sozialpsychologie frisierte Diskursmacht: Authentizität und Glaubwürdigkeit.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

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