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Krisengebiete: Warum sich der Westen immer wieder eine blutige Nase holt


Falsche Ansätze und fehlende Weitsicht
Warum sich der Westen immer wieder eine blutige Nase holt

t-online, von Julian Moering

Aktualisiert am 05.09.2014Lesedauer: 4 Min.
Ein US-Soldat steht in Afghanistan vor den ausgebrannten Trümmern eines Lkw.Vergrößern des BildesEin US-Soldat steht in Afghanistan vor den ausgebrannten Trümmern eines Lkw. (Quelle: dpa-bilder)
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Von Julian Moering

Im Irak herrscht Terror, in Libyen Bürgerkrieg und in Afghanistan sind die Taliban wieder auf dem Vormarsch. Warum es der Westen nicht schafft, in den Krisengebieten dauerhaft für Frieden zu sorgen.

Die Krisen im Irak und der Ukraine stehen derzeit im Fokus der Weltöffentlichkeit. Davon, dass die Taliban in Afghanistan wieder erstarken, nimmt zumindest in Deutschland kaum jemand Notiz. Der Konflikt am Hindukusch ist hierzulande fast in Vergessenheit geraten.

Dabei kämpfen immer noch fast 5000 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan für Frieden. Doch in weniger als vier Monaten endet der Kampfeinsatz der Nato. Ob und wie es weitergeht, weiß derzeit noch niemand, sicher ist nur: Von Ordnung und anhaltendem Frieden ist das Land derzeit weit entfernt.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York sind die USA und ihre westlichen Verbündeten angetreten, um die Taliban zu stürzen und den Terror zu bekämpfen. Das war vor 13 Jahren. Jetzt ist klar: Das Ziel wurde verfehlt. Auch in anderen Krisenregionen, wie etwa dem Irak oder Libyen, konnten westliche Truppen in jüngerer Vergangenheit nicht für Sicherheit und Frieden sorgen. Doch warum scheitert der Westen in steter Regelmäßigkeit in der Erreichung seiner Ziele?

Abzug aus Afghanistan wäre "eindeutig zu früh"

Bleiben wir in Afghanistan. In 32 von 34 Provinzen toben Gefechte mit den Taliban. Jede Woche vermelden afghanische Sicherheitskräfte Verluste von bis zu 100 Mann. Zöge die Nato Ende 2014 tatsächlich ab, wäre die Gefahr groß, dass in der Islamischen Republik erneut das Chaos ausbricht.

Rolf Tophoven, Terrorexperte und Direktor des "Instituts für Krisenprävention", schätzt die Lage in Afghanistan im Gespräch mit t-online.de als "äußerst fragil" ein. "Ein Rückzug in vier Monaten wäre eindeutig zu früh", sagt der Publizist und Buchautor. "Noch herrscht kein Chaos in Afghanistan. Doch die Lage würde sich zum Negativen entwickeln, wenn man völlig abzöge."

Neben Kampfeinsätzen unterstützt die Nato die afghanische Regierung auch mit der nicht unwichtigen Ausbildung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte. Auch das fiele mit einem Abzug weg. Grundsätzlich ist die Nato durchaus bereit, die Arbeit auf dem Gebiet der Ausbildung weiter zu leisten. Doch das Chaos nach den Präsidentenwahlen machen eine Ausarbeitung eines Vertrages mit der afghanischen Regierung zur Fortsetzung der Partnerschaft derzeit unmöglich.

Die Kandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani kämpfen um die Nachfolge des scheidenden Hamid Karzai, die Wahl steht jedoch unter Manipulationsverdacht. Kommt es nicht rechtzeitig zu einer Einigung über weitere Zusammenarbeit mit der Nato, sieht Tophoven die Gefahr, "dass in Teilen Afghanistans die Herrschaft der Taliban zurückkommt."

Fehler des Westens lassen Extremisten erstarken

Dann wäre der Westen in Afghanistan endgültig gescheitert. Genau wie im Irak. Auch dort haben sich die westlichen Truppen 2011 zurückgezogen, und auch hier sagt Tophoven: "Der Abzug aus dem Irak war zu früh." 2003 konnte der irakische Diktator Saddam Hussein durch US-Soldaten festgenommen werden. Es folgte eine achtjährige Besatzung durch US-Truppen und die "Koalition der Willigen", einer Allianz von Staaten, die den Angriff der USA 2003 auf den Irak politisch und militärisch unterstützten.

Zurückgelassen haben sie in der neugegründeten Republik Irak ein instabiles politisches System ohne funktionierende Strukturen. Die Fehler, die der Westen damals im Irak gemacht hat, werden ihm derzeit auf brutale Weise vor Augen geführt. Drei Jahre nach dem Rückzug versetzen sunnitische IS-Terroristen das Land in Angst und Schrecken.

Dafür gibt es Gründe. "Die irakische Armee war nach dem Krieg gegen Saddam völlig zerschlagen. Auch effiziente Strukturen, beispielsweise im Geheimdienstbereich, waren zerstört", so Tophoven. "Die USA haben es versäumt, die alten Kader für ihre Zwecke zu gewinnen. Die sind heute zum Teil beim IS und mittlerweile haben sich die Terrormilizen so aufgestellt, dass sie nur noch sehr schwer zu schlagen sind."

Deutsche Waffenlieferungen sind erst der Anfang

Deutsche Waffenlieferungen an die Kurden sind da reine Reparaturmaßnahme und wohl erst der Anfang eines erneuten westlichen Eingreifens in die Krise. Über 1000 US-Militärs befinden sich bereits im Irak und seit Anfang August fliegt die US-Luftwaffe Angriffe auf Ziele de IS-Milizen. Dabei wird es nach der Einschätzung von Tophoven nicht bleiben: "Am Ende wird man trotz der Waffenlieferungen mit Bodentruppen in den Irak marschieren müssen, um einen Völkermord zu verhindern."

In Libyen intervenierte die Nato 2011 militärisch und unterstützte die Aufständischen beim Sturz des Diktators Muammar al-Gadaffi. Der Einsatz endete nach nur acht Monaten. Mittlerweile ist der Bürgerkrieg in dem nordafrikanischen Land wieder in vollem Gange. Auch hier sind die Islamisten auf dem Vormarsch.

Die Gründe für das Scheitern des Westens

Drei Krisen, drei Einsätze und ein Ergebnis: Der Auftrag, für Sicherheit und nachhaltigen Frieden zu sorgen, wurde nicht erfüllt beziehungsweise kann womöglich nicht erfüllt werden. Dass der Westen so oft verbrannte Erde hinterlässt, liegt vor allem an falschen Ansätzen und fehlender Weitsicht. "Es ist immer leicht, in eine Krisenregion reinzugehen, doch eine Strategie, wie man da wieder rauskommt, ist nicht vorhanden", sagt Tophoven.

Soll heißen, es mangelt an Konzepten, die angestrebten Ziele in den krisengeschüttelten Ländern zu verfolgen. Das liegt nach Meinung Tophovens vor allem daran, dass nicht berücksichtigt werde, in welches politische, ideologische und ethnische Umfeld man eindringt. Noch dazu seien die Ansätze oft falsch. "Wir kommen immer gleich mit Demokratie und Fast Food. Dabei finden die kulturellen Unterschiede zwischen West und Nahost kaum Beachtung."

Im Irak und in Libyen sind die Fehler gemacht worden, in Afghanistan ist der Kampf für Frieden hingegen noch nicht verloren. Der Westen kann nur hoffen, dass sich der Streit um die Präsidentschaft schnell legt und sich die Regierung auf eine weitere Zusammenarbeit mit der Nato einigen kann. Denn die Mission ist noch lange nicht beendet. Laut Tophoven kann der Einsatz "vielleicht noch zehn Jahre dauern." Genug Zeit, um Fehler zu korrigieren.




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