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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Proteste in Kalifornien Ein Notstand könnte viel verändern

Der US-Präsident entsendet Kräfte der Nationalgarde und der Marines nach Kalifornien. Darf er das überhaupt?
Es begann mit 2.000 Nationalgardisten, dann folgten 700 Marineinfanteristen und schließlich weitere 2.000 Nationalgardisten: Nach Protesten gegen das Vorgehen der US-Einwanderungsbehörde ICE hat Präsident Donald Trump weitere Truppen nach Los Angeles geschickt.
- Trump im Weißen Haus: Alle Informationen im Newsblog
Schon nach der Entsendung der ersten 2.000 Gardisten hatte sich im Bundesstaat Kalifornien Widerstand geregt. Denn um die Unterstützung durch die Kräfte hatte weder die Bürgermeisterin der Stadt, Karen Bass, noch der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom gebeten. Mittlerweile hat der Bundesstaat deshalb Klage gegen die US-Regierung eingereicht.
Hat Trump also möglicherweise seine Kompetenzen mit der Entsendung überschritten – und wie könnte ein Gericht zu den Vorgängen entscheiden? t-online gibt einen Überblick:
Wie begründet Trump die Entsendung der Truppen?
Der US-Präsident begründete am Samstag den Einsatz der Nationalgarde mit dem Titel 10 des US-Gesetzesbuchs. Dort wird unter dem Paragrafen 12.406 geregelt, dass der US-Präsident die Nationalgarde im Inland aktivieren kann, wenn eine "Rebellion" im Gange ist oder eine solche gegen die US-Regierung droht.
Die entsendeten Gardisten können dafür eingesetzt werden, Bundesbeamte zu schützen oder Bundeseigentum zu sichern. In dem konkreten Fall haben die Gardisten etwa die Befugnis, die Arbeit von Beamten der US-Einwanderungsbehörde ICE zu sichern. Eigene Festnahmen oder Razzien dürfen sie dagegen nicht durchführen.
Auslöser der Proteste waren zuvor Einsätze der ICE-Mitarbeiter: Sie hatten bei Razzien in Los Angeles Dutzende Menschen festgenommen, darunter nach Angaben des Büros von Newsom offenbar auch Minderjährige. Kritiker werfen Trumps Regierung vor, mit martialisch anmutenden Maßnahmen gezielt Angst zu schüren.
Grundsätzlich ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Präsident die Nationalgarde aktiviert: Im Normalfall werden die Kräfte allerdings zunächst von den Gouverneuren entsandt. Jeder Bundesstaat verfügt über eigene Nationalgardisten, die etwa bei Naturkatastrophen, Unruhen oder anderen Notfällen eingesetzt werden können. Falls ein Bundesstaat dann weitere Hilfe benötigt oder es sich um einen Notfall handelt, der mehrere Bundesstaaten betrifft, kann der US-Präsident das Kommando übernehmen.
Im Falle der aktuellen Proteste ist das allerdings nicht geschehen. Der Gouverneur Newsom hatte die Nationalgarde zuvor nicht aktiviert und auch nicht den US-Präsidenten darum gebeten. Die Entsendung durch Trump ist dadurch ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Zuletzt hatte 1965 der US-Präsident Lyndon B. Johnson die Nationalgarde ohne Zustimmung eines Bundesstaates aktiviert: Damals sollten die Truppen die Demonstranten der Bürgerrechtsbewegungen im Bundesstaat Alabama schützen.
Gibt es rechtliche Unterschiede bei der Entsendung der Nationalgarde und der Marines?
Ja. Während die Nationalgarde in der Regel unter der Kontrolle der Bundesstaaten steht, sind die Marines regulärer Teil der amerikanischen Streitkräfte – und diese unterstehen ausschließlich dem Bund.
Das zuständige Regionalkommando der Marines teilte mit, dass es die bislang entsandten Kräfte dabei unterstützen soll, Bundesbeamte und -eigentum zu schützen. Die Aufgabenbereiche unterscheiden sich also nicht von denen der Nationalgarde. Warum stattdessen nicht weitere Kräfte der Nationalgarde aktiviert wurden, ist aktuell unklar.
Warum klagt der Staat Kalifornien gegen die US-Regierung?
Der Bundesstaat Kalifornien beruft sich in seiner Klage auf den 10. Zusatzartikel der US-Verfassung: Dort heißt es, dass alle Macht, die per Verfassung nicht beim Bund liegt oder den Bundesstaaten nicht entzogen wurde, bei den Bundesstaaten liegt.
Konkret geht also die kalifornische Regierung davon aus, dass Trumps Entsendung gegen den Willen des Bundesstaates verfassungswidrig ist. Die Klage fordert eine gerichtliche Stellungnahme, dass Trumps Anordnung rechtswidrig ist, sowie eine einstweilige Verfügung gegen deren Durchsetzung.
Wie könnten sich die Gerichte entscheiden?
Das ist schwer einzuschätzen, weil es zu der aktuellen Situation kaum Präzedenzfälle gibt. Laut Medienberichten wurde eine Entsendung der Nationalgarde in der Vergangenheit nur ein Mal so begründet, wie es aktuell der Fall ist: 1970 hatte der damalige US-Präsident Richard Nixon sich ebenfalls auf den Paragrafen 12.406 berufen. Allerdings waren die Umstände damals völlig anders: Nixon aktivierte die Nationalgarde wegen eines großen Streiks von Postbeamten. Die Gardisten sorgten damals dafür, dass der Postbetrieb in den USA aufrechterhalten werden konnte.
Hat Trump weitere rechtliche Hebel?
Ja, der Präsident könnte etwa die Kompetenzen der Nationalgarde und der Marines ausweiten, ihnen eigenständige Festnahmen oder Razzien erlauben. Dies könnte er mithilfe des sogenannten "Insurrection Act" tun. Der Präsident würde dann einen nationalen Notstand erklären und könnte dadurch die Kompetenzen der Sicherheitskräfte in Kalifornien weiter ausweiten.
Historisch gesehen wurde der "Insurrection Act" schon von verschiedenen Präsidenten angewandt. 1965 machte von der Verordnung auch Lyndon B. Johnson im Rahmen der Bürgerrechtsproteste davon Gebrauch. Zuletzt wurde er von George H. W. Bush 1992 genutzt, als es ebenfalls in Los Angeles zu schweren Unruhen gekommen war: Polizisten hatten damals den Schwarzen Rodney King zusammengeschlagen und waren anschließend vor Gericht freigesprochen worden. Im Gegensatz zu heute wurde Bush allerdings zuvor von der Stadt und dem Gouverneur darum gebeten, von dem Gesetz Gebrauch zu machen.
Auch Trump drohte bereits in seiner ersten Amtszeit während der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd damit, den "Insurrection Act" zu aktivieren. Im vergangenen Wahlkampf sprach er wiederholt davon, das Gesetz anwenden zu wollen, und schloss dies auch jetzt nicht aus. Die Demonstranten in Kalifornien bezeichnete er als "Insurrectionists" – auf Deutsch etwa Aufständische oder Aufrührer. Am Montag sagte der Republikaner, ein Aufstand sei durch die Nationalgarde verhindert worden.
Die Juristin Jessica Levinson von der Loyola Law School in Los Angeles warnte in der "Los Angeles Times" vor großen juristische Auseinandersetzungen, sollte Trump den Insurrection Act anwenden: "Jeder sollte innehalten, wenn der Präsident Notstandsbefugnisse nutzt und der Gouverneur sowie der Bürgermeister sagen: Bitte nicht, wir brauchen das nicht."
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa, AFP und Reuters
- law.cornell.edu: "10 U.S. Code § 12406 – National Guard in Federal Service: Call" (Englisch)