Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Der Beste der Welt

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser.
Am gerade vergangenen Wochenende hat die Wrestling-Organisation WWE mit dem "Summer Slam" eine ihrer wichtigsten Großveranstaltungen abgehalten. Dabei hat CM Punk, selbst ernannter bester Wrestler der Welt (Kampfname "Best in the World") den "Ring General" GUNTHER geschlagen (der schreibt sich wirklich in Versalien), nur um wenige Minuten nach seinem Titelgewinn von "The Messiah" Seth Rollins …
Moment. Das klingt seltsam für einen Tagesanbruch bei t-online. Ich fange anders an.
Wrestling kennen Sie, oder? Muskulöse Männer (oder auch Frauen) hauen sich – in Badehosen gewandet, im Solarium durchgebrutzelt und oftmals mit Babyöl eingerieben – gegenseitig gegen den Kopf, springen aufeinander herum oder werfen einander koppheister zu Boden. Dazu gibt es laute Musik, Feuerwerk und alles ist quietschbunt und verrückt und vorher abgesprochen: und viele Amerikaner LIEBEN es!
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Man kann Wrestling natürlich albern finden und diese Faszination nicht verstehen. Aber vielleicht wecke ich Ihr Interesse damit: Wer Wrestling versteht, versteht auch Donald Trump – und ich erkläre Ihnen jetzt einfach beides.
Wenn ich mich eben über Wrestling lustig gemacht habe, dann vor allem deshalb, weil es mir etwas peinlich ist, dass ich ein Faible dafür habe. Ich liebte es als Kind und Teenager und es fasziniert mich noch heute.
Wrestling ist Emotion. Eine Seifenoper mit Helden und Bösewichten, die amerikanischer nicht sein könnte. Sie erzählt vom Triumph und vom Scheitern, von verwirklichten und geplatzten Träumen, von Superstars und "Underdogs", von Verrat und von Loyalität. Sie erzählt diese Geschichten durch die Körper der Wrestler, jener Athleten, die bestimmte Rollen einnehmen. Wrestling ist einfach zu verstehen und doch kommen seine Wendungen aus dem Nichts. Kurz: Wrestling ist Dopamin in Reinform.
Donald Trump ist länger ein Teil der Wrestling-Welt, als er Politiker ist. Er war Gastgeber mehrerer Shows. Er hat 2007 in der Rolle des Managers eines hünenhaften Kämpfers an "WrestleMania" teilgenommen (und wurde selbst handgreiflich), der wichtigsten Veranstaltung der Szene. Trump wurde sogar in die Ruhmeshalle der WWE aufgenommen, der bedeutendsten Liga der Welt. Und: Trump hat die wichtigsten Eigenarten und Erzählweisen des Wrestlings in politisches Handeln übersetzt.
- Gut gegen Böse: Aufrechte, hart arbeitende Kernland-Amerikaner gegen die finsteren Eliten der Ost- und Westküste. So lautet Trumps zentrales Narrativ. Auch im Wrestling kämpfen regelmäßig unterprivilegierte Außenseiter gegen unterdrückerische Autoritäten und Institutionen. Und setzen sich am Ende durch, unter dem Jubel derer, die so sind wie sie.
- Der Regeln brechende "Heel": "Heels" sind Bösewichte im Wrestling. Sie werden nicht geliebt, aber geachtet. Obwohl sie Regeln brechen und im Kampf vor nichts zurückschrecken, haben Wrestling-Fans tiefen Respekt vor ihnen: Der "Heel" fragt nicht, sondern er nimmt sich, was er will. Er ist bereit, alles zu geben, aber auch alles zu tun, um sein Ziel zu erreichen. Konventionen zählen nicht für ihn. Nur der Sieg. Trump ist ein "Heel", und genau das will er auch sein.
- "Promos" und "Catchphrases": Wenn Wrestler nicht in ihren vorher abgesprochenen und choreografierten Gefechten kämpfen, halten sie "Promos". Promos sind kurze Ansprachen, in denen sie ihre Siege ankündigen, ihre Beweggründe erklären, ihre Gegner mit Schimpfnamen überziehen und sich selbst zum Helden stilisieren. Promos sind nicht tiefgehend und komplex, sondern simpel und plakativ. Sie sind gespickt mit sich wiederholenden Motiven und Aussagen, sogenannten "Catchphrases": Trump macht mit dieser Art der Kommunikation Politik. Er hält keine politischen Wahlkampfreden, sondern Promos, wenn er Joe Biden "Sleepy Joe" nennt oder Kamala Harris "Crazy Kamala". Die Botschaft "Make America great again" könnte aus der Promo eines patriotischen Wrestling-Charakters stammen.
- "Turns" und "Holy Shit Moments": "Turns" sind abrupte Wendungen innerhalb der Seifenoper, die Wrestling erzählt. Helden werden zu Bösewichten, Freunde verraten einander, Angriffe erfolgen aus heiterem Himmel und scheinbar ohne Begründung, Favoriten werden besiegt und zerstört. Kommt die Wende so plötzlich, dass das Publikum völlig fassungslos ist, branden "Holy Shit"-Sprechchöre durch die Arena (ich muss das wahrscheinlich nicht übersetzen). Es sind die faszinierendsten Momente im Wrestling. Momente, die klarmachen: Hier kann alles jederzeit passieren. Egal, was. Trump arbeitet gerne mit "Turns" und "Holy Shit"-Momenten, um Verunsicherung zu erzeugen. Als er den ukrainischen Präsidenten im Oval Office öffentlich demütigte, konnte man die politischen Kommentatoren beinahe weltweit "Holy Shit" aufschreien hören. Jede neue Volte im Zollkrieg mit dem Rest der Welt ist ein "Turn", wenn man so will.
- "Best for Business": Wrestling ist zu Ende gedachter Kapitalismus. Verliert das Publikum das Interesse an einer Figur, spielt der Wrestler, der sie verkörpert, keine Rolle mehr. Die Athleten sind austauschbar, werden nach Belieben angeheuert und gefeuert. Jahrzehntelang hatten sie nicht einmal eine Krankenversicherung. Viele Wrestling-Promotionen versorgten ihre Akteure jahrelang mit Dopingpräparaten und Schmerzmitteln, betrieben gezielt Raubbau an deren Körpern. Was zählte, war nur eines: Was ist gut fürs Geschäft, was ist "Best for Business". Dieselbe Skrupellosigkeit schätzen Trumps Wähler an ihm. Sie ist der Gegenentwurf der MAGA-Bewegung gegen alles, was "sozial", "moralisch" oder gar "woke" oder "links" ist. Kein Wunder, dass Trump die jüngst verstorbene Wrestling-Legende Hulk Hogan zu seinen Freunden zählte oder den hochumstrittenen WWE-Patriarchen Vince McMahon.
- Die postfaktische Inszenierung: Wrestling gibt vor, ein Kampfsport zu sein, so wie Boxen oder die immer populärer werdenden brutalen Käfigkämpfe der UFC und anderer Veranstalter. Tatsächlich aber ist Wrestling "geskripted", folgt abgesprochenen Drehbüchern und lange im Voraus geplanten Erzählungen. Es schafft eine Illusion, eine Scheinwelt, in der Fakten keine Rolle spielen. Wenn Trump von migrantischen Mörderbanden fabuliert, von korrupten politischen Gegnern, von Barack Obama als Muslim oder einem "Klon" von Joe Biden, wenn er Verschwörungstheorien in seinem Umfeld duldet oder gar befeuert, dann inszeniert er postfaktische Narrative. So funktioniert Populismus. Die Blaupause dafür wird auch im Wrestling genutzt.
Mit all diesen Mitteln hat Trump denselben Erfolgsweg eingeschlagen wie das Wrestling in den USA, aus dessen erzählerischer Werkzeugkiste er sich ständig bedient. Man kann sich darüber moralisch empören, dass Trump mit diesen Mitteln aus einem Zweig der Unterhaltungsindustrie arbeitet. Mit jedem Recht der Welt. Es ändert nichts daran, dass Trump damit unglaublich erfolgreich ist. Was diese Art des politischen Populismus angeht, ist Trump in der Tat "Best in the World".
Seine Zölle auf EU-Produkte sind nach seinem postfaktischen Narrativ "Best for Business", weil sie dem Ausgleich des Handelsdefizits zwischen den USA und Europa dienen. Die negativen Folgen für US-Verbraucher blendet er aus. Wenn er politische Gegner beleidigt, ist das eine Promo, die seine Anhänger emotional aufladen soll. Wenn er damit das Land spaltet: egal. Nur der Sieg zählt. Wenn er davon spricht, Atom-U-Boote in Richtung Russland schicken zu wollen, lässt er die Muskeln spielen wie ein Wrestler, weil ihn der russische Ministerpräsident Medwedew provoziert hat (der seinerseits hoffentlich nur eine Promo gehalten hat, um im Bild zu bleiben).
Der Unterschied zwischen Trumps Politik und dem Wrestling aber ist gefährlich für die ganze Welt. Wrestling hat für uns alle keine Bedeutung. Trumps Politik, die sich dieser Elemente bedient, ist dagegen ein unkalkulierbares Risiko für uns alle.
Das historische Bild
1978 bangte Italien um diesen Politiker. Alles über das Schicksal des von den Terroristen der sogenannten Roten Brigaden entführten Aldo Moro lesen Sie hier.
Was steht an?
Klingbeil in Washington: Antrittsbesuche sind in einer perfekten Welt recht entspannte Veranstaltungen. Man lernt sich kennen, beschnuppert einander, tauscht Positionen aus, lächelt ein wenig für die Fernsehkameras und Fotografen und lässt Konflikte und Probleme außen vor. Das beschreibt das Best-Case-Szenario für Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD), wenn er heute seinen Amtskollegen trifft, den milliardenschweren Ex-Hedgefonds-Manager Scott Bessent.
Schienenersatzverkehr: Seit Freitag ist die Bahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg voll gesperrt. Die Trasse wird generalsaniert. Neun Monate lang müssen Pendler zwischen der Hauptstadt und der Elbmetropole hoffen, dass sich das Ersatznetz als einigermaßen tragfähig erweist, das die Bahn für diesen Zeitraum gespannt hat. Es ist so umfangreich, dass es eine eigene Homepage dafür gibt. Insofern darf man gespannt sein, wie die erste Bilanz der Bahn heute um 11 Uhr ausfällt.
Wie gesund lebt Deutschland? Darüber gibt alljährlich der DKV-Report Aufschluss, aufgedröselt von der Deutschen Krankenversicherung DKV und der Sporthochschule Köln. Heute kommt die Ausgabe von 2025 heraus. 2024 erfuhren wir, dass wir täglich 9,2 Stunden sitzend verbringen: viel zu viel und höchst ungesund.
Lesetipps
Der Chef des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, glaubt weiter an die Zukunft des Einzelhandels. Was es dafür in Zukunft braucht, hat er meinen Kollegen Jakob Hartung und Mauritius Kloft erklärt.
Der Multimillionär Frank Gotthardt finanziert das Krawallportal "Nius" des Ex-"Bild"-Chefs Julian Reichelt – und er pflegt beste Kontakte zum österreichischen Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Wie der frühere ÖVP-Chef nun zunehmend Einfluss auf "Nius" nimmt, decken Jonas Mueller-Töwe und Michael Bonvalot auf.
Wer in einer E-Mail "in CC" gesetzt wird, sitzt offenbar nicht mehr an den Hebeln der Entscheidung. So geschehen beim FC Bayern und Max Eberl. Pikanterweise ging es in den Mails um Spielertransfers, und Eberl war nur noch "in CC". Mein Kollege Julian Buhl ist der Sache nachgegangen.
Zum Schluss
Unser Politikreporter Daniel Mützel begleitet Lars Klingbeil in die USA und schickt sie morgen von dort aus in den anbrechenden Tag. Sein Text sei Ihnen schon jetzt ans Herz gelegt. Wo wir gerade bei Herzen sind:
Sehr herzlich:
Philipp Michaelis
Bereichsleiter Aktuelles
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Mit Material von dpa.