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Krieg in Syrien: Jeder gegen jeden und Putin gegen alle


Krieg in Syrien
Jeder gegen jeden und Putin gegen alle

  • Gerhad Spörl
MeinungEin Kommentar von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 30.01.2018Lesedauer: 5 Min.
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Zwei Männer durchsuchen in Aleppo (Syrien) die Trümmer: Durch den Bürgerkrieg sind 11,3 Millionen Syrer auf der Flucht.Vergrößern des Bildes
Zwei Männer durchsuchen in Aleppo (Syrien) die Trümmer: Durch den Bürgerkrieg sind 11,3 Millionen Syrer auf der Flucht. (Quelle: dpa-bilder)

Eine halbe Million Tote, 11 Millionen Menschen auf der Flucht: Der Krieg in Syrien geht ins siebte Jahr und ist eine Schande für die Welt. Mit der Türkei und Amerika stehen sich zwei Nato-Partner feindselig gegenüber. Daran findet Russland großes Wohlgefallen.

Für mich ist Syrien ein schwarzes Loch, in das alle hineinfallen, die den Krieg betreiben und den Frieden nicht wollen. Sie mögen noch so sehr überzeugt davon sein, dass sie die Herren des Geschehens sind: Ich wüsste nicht, wie sie herauskommen könnten, denn sie werden wie elektromagnetische Wellen in dieses schwarze Loch hineingesaugt.

Wissen Sie noch, wie das alles anfing? Im Arabischen Frühling mit einer friedlichen Demonstration gegen Assad, das war 2011, vor sieben Jahren. Harmlos, vergleichsweise, nur nicht für das Regime, das in den berechtigten Forderungen nach mehr Freiheit eine Majestätsbeleidigung sah, für die es brutale Vergeltung übte. Deshalb fing Assad den Bürgerkrieg gegen sein Volk an. Eigentlich ein klassischer Machtkampf, aber dabei blieb es nicht. Wir sind im Nahen Osten und dort finden sich immer andere Länder, die auf mehr Einfluss spekulieren und auf die Schwächung des Feindes, denn Feinde gibt es in dieser Gegend reichlich. Zuerst schickten sie Waffen, dann Freiwillige und Söldner. Allen voran Iran mit seinen Milizen und der von ihm finanzierten Hisbollah aus dem Libanon.

11,3 Millionen Syrer auf der Flucht

So wurde aus dem Bürgerkrieg schnell ein Stellvertreterkrieg, an dem sich bald auch die Türkei und Russland, die Golfstaaten und Amerika beteiligten. Jeder von ihnen hat seine eigenen Interessen. Zu denen gehört es, dass jeder jedem schaden möchte, die Russen den Amerikanern, die Türkei den Kurden, die Amerikaner und Saudis dem Iran. Längst ist zu einem Nebenproblem geworden, ob Assad, der sein Volk mit Giftgas tötet, Präsident bleiben darf oder nicht. Oder wie lange der Krieg noch andauern soll, der jetzt schon vermutlich eine halbe Million Menschenleben gekostet hat. Wladimir Putin beruft ab und zu einmal Friedensverhandlungen ein, die ein Witz sind, weil sie das, worum es gehen sollte, gerade nicht im Sinn haben: Frieden.

Giftgas. Eine halbe Million Tote. 11,3 Millionen Syrer auf der Flucht, sechs Millionen davon in Syrien. Und Zynismus überall wie im Dreißigjährigen Krieg.

Seit voriger Woche ist der Stellvertreterkrieg in eine neue Phase getreten. Nunmehr stehen sich zwei Nato-Staaten feindselig gegenüber: die Türkei und Amerika. Das kommt so: Amerika hat (angeblich) nur 2000 Soldaten in Syrien stehen, die mit den kurdischen "Volksschutzeinheiten" die Terroristen der IS bekämpften und zwar so erfolgreich, dass die entweder tot oder versprengt sind oder Gefangene der Kurden. Der gemeinsame Feind ist einigermaßen besiegt, eigentlich erfreulich, oder?

Türkei und USA im Streit

Was nun? Der Gedanke, dass die "Volksschutzeinheiten" die Grenze Syriens zur Türkei im Nordwesten sichern könnten, ist wohl dem amerikanischen Verteidigungsministerium zu verdanken. Hat es vorher bei der türkischen Regierung vorgefühlt: Geht das in Ordnung? Wohl kaum, man soll ja keine Fragen stellen, auf die man die Antwort kennt. Denn es war klar, dass Erdogan die Idee nicht gefallen kann. Es geht ja um die Kurden in Syrien und im Irak, die von einem eigenen Staat träumen, und das ist für einen türkischen Nationalisten wie Erdogan ein Albtraum. Der Präsident behauptet auch, die Amerikaner hätten zugesagt, sie würden die Allianz mit den Kurden aufgeben, sobald der IS besiegt sei. Kann sein, kann nicht sein. Seither machen sich die beiden Nato-Staaten Türkei und USA gegenseitig heftige Vorwürfe, weil sie nun einmal verschiedene Interessen in Syrien haben.

Seit Tagen geht die türkische Armee militärisch gegen die "Volksschutzeinheiten" vor. Das kann sie, weil sie niemand daran hindert und weil Putin rechtzeitig die russischen Soldaten aus dem Kampfgebiet abgezogen hat, wobei die russische Luftwaffe weiterhin die Hoheit über dieses Gebiet besitzt. In diesem Krieg hängt immer vieles mit vielem zusammen.

Fehler von Obama

Warum macht Putin den Weg frei? Weil es ihm behagt, dass die Türken und die Amerikaner aneinander geraten. An der weiteren Schwächung der Weltmacht ist ihm sehr gelegen und Syrien ist geradezu ideal für Demütigungen geeignet. Amerika hat sich ja selbst nachhaltig geschwächt, als der Präsident eine rote Linie zog: Chemiewaffen sind ein Interventionsgrund – und die Konsequenz schuldig blieb, als Assad Gift einsetzte. Nein, es war nicht der Prahlhans, es war sein Vorgänger Obama, dem dieser unverzeihliche Fehler unterlaufen ist.

Die Weltmacht ist mitschuldig am Vakuum, in das Iran und Russland und die Türkei vorgestoßen sind, die zynischen Kriegsgewinner. Sie fühlen sich groß und doch verschwinden sie nach und nach im schwarzen Loch, ohne es zu merken.

Wie geht es weiter? Die türkische Offensive richtet sich gegen die Stadt Afrin, die im Norden an eine türkische Provinz grenzt. In Afrin leben momentan rund eine Million Menschen, die Hälfte davon Flüchtlinge aus Ruinenstädten wie Aleppo. Afrin ist kurdisch geprägt, rund 50.000 Menschen kämpfen in den "Volksschutzeinheiten", Frauen neben Männern, eine absolute Ausnahme in dieser Weltgegend der verschleierten Frauen. Zuzug bekommen sie von Briten und Franzosen, die sich auf YouTube und WhatsApp für die "Rojava Revolution" begeistern lassen. Rojava ist kurdisch für Westkurdistan und bezeichnet die beherrschten drei Kantone, die knapp ein Fünftel Syriens umfassen.

Kurden hoffen auf ein Wunder

Dass die türkische Armee Afrin erobern kann, ist wahrscheinlich. Dass zahllose Menschen sterben werden, versteht sich von selber, wird aber Erdogan genau so wenig stören wie Assad oder Putin. Was können die Kurden tun? Sie können sich wehren, auf Amerika hoffen und auf ein Wunder. Sie können aber auch tun, was ihnen Russland nahe legt – ja Russland, das sich immer etwas Neues einfallen lässt. Sie können bei Assad um Hilfe nachsuchen, leise natürlich. Sie können ein Arrangement mit ihm schließen zum Schutz vor der türkischen Armee. Beherzigen die Kurden die russische Empfehlung, würden sie für die nächste absurde Wendung in diesem Irrsinn sorgen.

Russland ist darauf bedacht, Assad an der Macht zu halten. Durch ihn behält Russland Einfluss in der Region. Russland ist aber auch darauf bedacht, jeden gegen jeden auszuspielen, Erdogan gegen Trump, Erdogan gegen die Kurden, die Kurden gegen Amerika. Ist das große Strategie? Wladimir Putin hält es dafür.

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Erdogans Größenwahn

Die Türkei sah einmal in Assad den Feind, den es zu besiegen galt, weil mit ihm der Krieg begann. Das war eine klare Haltung. Lange her, fast schon vergessen. Vieles ändert sich in diesem Krieg und die Türkei wechselt beständig ihre Kriegsziele. Sie hat auch einmal den IS heimlich unterstützt, weil die Terror-Truppe Assad bekämpfte. Tabus gibt es in Syrien nicht.

Mittlerweile sieht Erdogan die "Volksschutzeinheiten" als den Hauptfeind an. In seinem Land ist er endlich so populär, wie er es in seinem Größenwahn zu verdienen glaubt. Selbst die Opposition steht auf seiner Seite. Die Türkei scheint ganz zum Nationalismus konvertiert zu sein und dafür hat der Präsident gesorgt, der ja wiedergewählt werden will, übrigens genau so wie sein Freund-Feind in Moskau, Wladimir Putin, der das größte Interesse an der Fortführung des Krieges hat, egal wie lange er dauert und egal wie viele Menschenleben er kostet.

So geht es zu in Syrien, im siebten Jahr des Krieges, der eine Schande für die Welt ist und in dem sich das schwarze Loch auftut für alle, die den Krieg nähren.

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