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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Manipuliertes SPD-Votum? AfD-Anhänger streuen im Netz Verschwörungstheorie
Lange vor Ende des Mitgliederentscheids hat ein angebliches SPD-Mitglied geschrieben, das Ergebnis von 66 Prozent stehe schon fest. Seitdem hat die SPD mit Verschwörungstheoretikern zu kämpfen. Aber nicht nur damit.
Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses zum SPD-Mitgliederentscheid verbreiten sich Verschwörungstheorien – obwohl Juso-Chef und #NoGroko-Befürworter Kevin Kühnert extra betont hatte, es laufe alles sauber ab.
Staub wirbelt insbesondere ein Beitrag auf der Facebook-Seite der Jusos auf. Ein angebliches SPD-Mitglied hat dort am 20. Februar geschrieben, das Ergebnis stehe bereits fest: 66 Prozent für Groko. Exakt das Ergebnis wurde dann am Sonntag bekannt gegeben.
Bereits kurz nach der Bekanntgabe des Mitgliedervotums erinnerten sich erste Nutzer an das, was ein Mann aus Chemnitz unter einen Beitrag der Jusos geschrieben hatte: Er habe seinen Brief weggeschickt und mit "Nein" votiert. Wörtlich ging es weiter: "Was aber wohl wenig nutzen wird, denn das Ergebnis liegt beim Politbüro schon vor: 66 % Zustimmung."
SPD: Haben kein Mitglied mit dem Namen
Dieses Posting ziehen Nutzer seither als Beleg heran, dass die Abstimmung manipuliert worden sei. Unter anderem die lange Zeit deutschlandweit aktive rechte Aktivistin Ester Seitz verkündete ihren mehr als 20.000 Facebook-Anhängern: "Es ist echt, ich habe es überprüft." Auch AfD-Politiker verwiesen auf den Beitrag. Er werde bald gelöscht, spekulierten Nutzer. Andere erwiderten: "Es ist nicht mehr zu vertuschen."
Tatsächlich wurde das Posting am 20. Februar abgesetzt – wie andere auch, in denen Nutzer mit unterschiedlichen Prozentzahlen behaupteten, das Ergebnis der Abstimmung stehe bereits fest. Der Chemnitzer Nutzer hatte die richtige Zahl getroffen. Schon seine angebliche SPD-Mitgliedschaft ("bin seit 49 Jahren Mitglied!") ist aber sehr zweifelhaft. "Es gibt in der SPD deutschlandweit niemanden mit seinem Nachnamen", erklärt die SPD-Parteizentrale. Und in der Chemnitzer SPD-Geschäftsstelle ist auch niemand bekannt, der so heißt.
"Müssen die Regierung ausschalten"
Das seit Januar aktive Profil des Mannes auf Facebook ist nicht zwangsläufig falsch, dort zeigt er auch viel Interesse für Radsportthemen und den 1. FC Kaiserslautern. Likes von ihm bekommen aber regelmäßig Beiträge der AfD-Politiker Alice Weidel und Beatrix von Storch. Ein "Gefällt mir" erhielt auch ein Weidel-Beitrag: "Erstmals in ihrer Geschichte hat die AfD die SPD auf Bundesebene überholt – wir sind zweitstärkste Kraft in Deutschland!" Unter einem Posting des AfD-Abgeordneten Thorsten Weiß "Regierung plant den Volkstod" schrieb er "Dann müssen wir eben die Regierung ausschalten." Auf eine Anfrage von t-online.de hat er nicht reagiert.
Es spricht also nichts dafür, dass der Nutzer echte Informationen über das Mitgliedervotum hatte. Trotzdem spekulieren Nutzer, er sei "vielleicht ein Insider, dem der Kragen geplatzt ist und der sich damit Luft gemacht hat". Alle ernst zu nehmenden Experten haben aber wenig Zweifel an der Erklärung eines SPD-Sprechers: "Das Mitgliedervotum ist fälschungssicher und vor Manipulationen jeglicher Art geschützt." Ein externer Notar hatte den kompletten Prozess beaufsichtigt – zusätzlich zur 48-köpfigen Mandatsprüfungs- und Zählkommission.
Briefe kamen unter Polizeibegleitung zur SPD
Die Briefe der Mitglieder waren erst am Samstagabend vom Briefzentrum der Deutschen Post in Leipzig nach Berlin transportiert worden – mit Polizeibegleitung und GPS-Überwachung. Ausgezählt wurde dann von 120 Mitgliedern, die die Landesverbände entsandt hatten. Darunter auch, im roten Pullover, Manfred Alex, Opa von Juso-Chef und No-Groko-Vorkämpfer Kevin Kühnert. "Stramm #NoGroko und nachweislich unbestechlich", schrieb Kühnert über den Opa. "Bitte Verschwörungstheorien stecken lassen."
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An dem Mitgliederentscheid gibt es auch andere Kritik: Das streitbare Offenbacher SPD-Mitglied Olav Müller will "das Ding anfechten, das lassen wir uns nicht gefallen". Müller war als früherer Vorsitzender eines Ortsvereins mehrfach auf öffentlichem Konfrontationskurs mit Entscheidungen der Parteiführung. Nun sucht er nach eigenen Angaben mit Gleichgesinnten gute Fachanwälte, weil eindeutig und "bösartig" gegen Parteitagsbeschluss verstoßen worden sei, erklärte er in einem Facebook-Video.
Sein Facebook-Beitrag dazu ist bereits rund 5.000 Mal geteilt. Sein Vorwurf ist, dass der Parteivorstand nicht ausgewogen informiert und während der Abstimmung manipulativ eingegriffen habe. "Eine Pro-Groko-Gruppe hat einen Beipackzettel beilegen können", es sei "ungeheuerlich", wie Werbung gemacht worden sei. Damit sei klar gegen den Parteitagsbeschluss verstoßen worden, Pro und Contra gleichwertig zu Wort kommen zu lassen.
- Das Facebook-Posting der Jusos mit dem 66-Prozent-Kommentar
- SPD-Seite zum Mitgliedervotum