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Cem Özdemir (Grüne): Auch Bauern sollen künftig besser Leben


Cem Özdemir
"Mit solchen Aussagen wäre ich ganz vorsichtig"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold

Aktualisiert am 26.08.2022Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Cem Özdemir: Der Landwirtschaftsminister will, dass Tiere besser gehalten werden. (Quelle: Stefan Boness/Ipon/imago-images-bilder)

Nicht nur die Tiere, sondern auch Bauern sollen künftig besser leben. Wie das funktionieren soll, erklärt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im Gespräch.

Man kann Cem Özdemir nicht vorwerfen, sich zu niedrige Ziele zu stecken. Eines der wichtigsten Projekte des Bundeslandwirtschaftsministers ist nicht nur kompliziert, sondern auch höchst sensibel: Der Umbau der Tierhaltung. Weniger Tiere in größeren Ställen sollen es werden. Was aber auch bedeutet: Das Fleisch wird wohl teurer. Wie das alles klappen soll, erklärt der Grünen-Politiker im Interview.

Herr Özdemir, Sie sind Vegetarier. Kann man angesichts der Klimakrise noch guten Gewissens Fleisch essen?

Jede und jeder muss mit sich selbst ausmachen, wie er sich ernährt. Da habe ich keine Vorschriften zu machen. Ich würde als Ernährungsminister aber dazu raten, den Fleischkonsum den planetaren Grenzen und der eigenen Gesundheit zuliebe anzupassen.

Das bedeutet?

Wir sollten insgesamt weniger Fleisch essen und darauf achten, dass es von artgerecht gehaltenen Tieren kommt. Damit leistet man in mehrfacher Hinsicht einen guten Beitrag: Es ist gesünder, ist gut fürs Klima und hilft der globalen Ernährungssituation, weil Flächen frei werden, die wir bisher für den Anbau von Futtermitteln brauchen.

Das Methangas, das in der Tierhaltung entsteht, macht aber einen gewaltigen Anteil an den Treibhausgasemissionen des Landwirtschaftssektors aus. Braucht es weniger Fleischkonsum?

Ja, und das passiert ja schon. Wir sind zwar noch weit von dem entfernt, was Gesundheitsexperten empfehlen, aber der Trend stimmt. Was die Tierhaltung betrifft: Es braucht dringend Reformen, das sagen auch die Bauern und ist überparteilicher Konsens. Das jetzige System der Tierhaltung setzt vor allem auf möglichst viel billig produziertes Fleisch. Dabei verlieren am Ende eigentlich alle – Landwirte, Tiere, Klima und Umwelt. Es geht also darum, die Tierhaltung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das heißt, wir passen die Ställe endlich den Tieren an und nicht wie bisher umgekehrt. Es geht darum, weniger Tiere besser zu halten. Damit leisten die Bäuerinnen und Bauern einen Beitrag für mehr Tierwohl, insbesondere auch für den Klima- und Umweltschutz. Und das gilt es dann auch zu honorieren.

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Cem Özdemir (Quelle: Stefan Boness/Ipon/imago-images-bilder)

Der Gesprächspartner

Cem Özdemir, 56 Jahre, ist Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Von 2008 bis 2018 war er Bundesvorsitzender der Grünen. Er ist in Baden-Württemberg geboren, war 1994 einer der ersten Abgeordneten mit türkischen Eltern im Bundestag und ist nun der erste Bundesminister mit Migrationshintergrund.

Und irgendwann wollen wir gar keine Nutztiere mehr – ist das die grüne Vision?

Nein, gar nicht. Wir brauchen Tierhaltung, da kann ich meine Kritiker von veganer Seite leider nicht glücklich machen. Auch mein Gemüse braucht Fleisch – genauer gesagt: Tiere. Denn der Dünger, der in der Tierhaltung entsteht, ist wichtig für eine funktionierende, natürliche Kreislaufwirtschaft. Mit ihm machen wir uns unabhängiger von mineralischem Dünger, der klimaschädlich ist und mit russischem Gas erzeugt wird.

Aber wie soll das funktionieren: weniger, besser gehaltene Tiere?

Mir geht es darum, dass auch in Zukunft gutes Fleisch aus Deutschland kommt und die Landwirte endlich gutes Geld dafür bekommen. Da haben wir zwei Hebel: Wir führen eine staatlich verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, damit Verbraucherinnen und Verbraucher an der Theke, am Kühlregal oder im Restaurant erkennen, wie etwa das Schwein gehalten wurde. Und zweitens müssen wir die Ställe umbauen, damit die Tiere besser, artgerechter gehalten werden. Das heißt zwangsläufig mehr Platz.

Ihre Kritiker sagen, mit einem Tierwohllabel allein wird noch kein Tier besser gehalten. Was bringt es also?

Verbraucherinnen und Verbraucher können dann aktiv etwas für mehr Tierwohl tun, indem sie Fleisch aus guten Haltungsformen wählen. Wir sollten die Menschen nicht für dumm halten. Alle Umfragen bestätigen, dass sie eine bessere Tierhaltung wünschen. Und wenn der Staat für das Kennzeichen bürgt, dann können die Leute guten Gewissens und für nur ein paar Cents mehr entscheiden, dass das Tier Auslauf und Frischluft hatte.

Aber der Widerspruch ist doch, dass dieses Problembewusstsein bisher nicht dazu führt, dass die Menschen im Supermarkt tatsächlich höherwertiges Fleisch kaufen. Der Preis entscheidet.

Das ist richtig. Der Mut ist immer größer, bevor ich den Supermarkt betrete. Aber wir können die Verbraucher und auch den Handel nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Trotzdem müssen wir auch bei den Ställen ansetzen. Die Tierhalterinnen und -halter sind längst bereit, diese umzubauen. Es scheiterte bisher daran, dass sie keine Hilfe bekommen.

Also Geld?

Ja. Weniger Tiere im Stall – das ist zwar gut fürs Tier, für Umwelt und Klima, kostet aber natürlich auch mehr Geld. Gerade vielen Nutztierhaltern steht das Wasser bis zum Hals, sie können das nicht alleine tragen. Deshalb braucht es für den Umbau des Stalls und auch für die laufenden Kosten die Unterstützung der Gesellschaft, die ja auch davon profitiert. Am Anfang werden die Betriebe die Mehrkosten nicht am Markt erwirtschaften können. Es braucht eine Weile, bis sich das Konsumverhalten ändert. Aber jeder Euro ist da gut angelegtes Geld, wenn man den immensen Nutzen für Umwelt, Klima und Tierschutz bedenkt. Und zudem geben wir den Landwirten eine verlässliche Perspektive, Stichwort: Hofnachfolge.

An wie viele Euro denken Sie genau?

Da sind wir gerade dabei, das auszugestalten. Ich habe für die erste Zeit zunächst eine Milliarde Euro gesichert, aber das reicht mittelfristig nicht für Umbau und Unterhalt. Wir brauchen dann weitere Wege der Finanzierung.

Einer dieser Wege wäre eine Tierwohlabgabe, die Verbraucher beim Fleischkauf zahlen würden. Selbst die FDP in Niedersachsen kann sich das vorstellen. Läuft es darauf hinaus?

Das ist eine Möglichkeit der Finanzierung. Ich bin aber noch nicht sicher, ob die FDP das wirklich ernst meint.

Warum?

Bislang gibt es diese Stimmen nur aus Niedersachsen, wo gerade Landtagswahlkampf ist und der Druck der Bauern auf die FDP steigt. Einige Beobachter sprechen von reinem Wahlkampfgetöse. Ich hoffe aber doch sehr, dass die FDP es ernst meint. Alles andere wäre Zynismus auf dem Rücken der Bäuerinnen und Bauern. Als Bundesminister ist für mich entscheidend, wie die FDP im Bundestag darüber denkt. Das dürfte auch die Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen interessieren.

Und wie sind dort die Signale?

Bislang habe ich da noch keine Antwort bekommen. Dabei wäre es an der Zeit, dass Fraktionschef Christian Dürr uns wissen lässt, wie er und die FDP im Bundestag dazu stehen – allzumal es ein Vorschlag seines Heimatverbandes ist. Die Frage ist ja recht simpel: Sollen die Tierhalter in Deutschland eine Zukunft bekommen oder nicht? Soll unser Fleisch künftig aus Deutschland kommen oder aus dem Ausland? Für mich ist die Antwort klar, denn Einfluss auf die Tierhaltung und die Qualität können wir nur hier in Deutschland nehmen. Ich appelliere deshalb an den Koalitionspartner, sich einen Ruck zu geben.

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Sie haben den Eindruck, die FDP zieht bei der Agrarwende nicht mit?

Die Finanzierung der Agrarwende ist ja nicht meine primäre Aufgabe, dafür ist mein Kollege Christian Lindner als Finanzminister zuständig. Es liegen mehrere gute, machbare Vorschläge zur Finanzierung auf dem Tisch. Aber von der FDP höre ich leider bislang immer nur, was sie nicht will. Irgendwann sollte sie auch mal sagen, was sie will. Denn die Landwirte brauchen Planungssicherheit. Sie fangen erst an, ihre Ställe umzubauen, wenn sie die haben. Und im Vergleich zu anderen Ressorts geht es bei den Summen eher um homöopathische Dosen.

Die Verbraucher müssen aber erst einmal mehr zahlen – sofern sie nicht weniger Fleisch kaufen. Ist das bei den ohnehin hohen Preissteigerungen der richtige Weg?

Wir sind spät dran damit. Die Regierung vor uns hätte bessere Gelegenheiten gehabt, die Tierhaltung zu reformieren. Durch die Inflationsrate, den knappen Bundeshaushalt und den Krieg in der Ukraine sind die Rahmenbedingungen nicht einfacher geworden. Aber eine Reform ist dringlicher denn je, wenn wir nicht wollen, dass noch mehr Tierhalter aufgeben als derzeit ohnehin schon. Jeder Hof, der dichtmacht, ist ein Verlust für die Vielfalt und Stärke des ländlichen Raums.

Angesichts der vielen Krisen sollen Deutschlands Bauern mehr Getreide anbauen können, deshalb haben Sie die Vorgaben für neue Flächenstilllegungen und Fruchtwechsel für ein Jahr ausgesetzt. Greenpeace hält die Begründung der Ernährungssicherung nur für einen "Vorwand, um wertvolle Biotope unterzupflügen". Hat Greenpeace Unrecht?

Kein einziges Biotop wird untergepflügt, das ist Unsinn. Ich habe entschieden, dass bestehende Artenvielfaltsflächen nicht angetastet werden dürfen! Es geht um zusätzliche Flächen, die ab 2023 aus der landwirtschaftlichen Nutzung genommen werden sollten, um Böden und Biodiversität zu stärken. Aber Russlands Krieg gegen die Ukraine hat für viele Menschen – etwa in Afrika, Asien oder im Nahen Osten – verheerende Folgen, weil ukrainische Ernteexporte ausfallen und die Getreidepreise stark gestiegen sind. Es gehört zu Putins Strategie, für Destabilisierung zu sorgen. Um den Getreidemarkt zu stabilisieren, habe ich den Bauern die Möglichkeit gegeben, einmalig mehr zu produzieren – und ja, zulasten von mehr Naturschutz sofort. Diese Entscheidung ist mir wahrlich schwergefallen. Aber die große Richtung ist dennoch eindeutig und die heißt: Die Landwirtschaft muss und wird ihren Beitrag zum Schutz von Klima, Umwelt und Artenvielfalt leisten.

Der Bauernverband wiederum fürchtet eine "Ernährungskrise in Europa", wenn die Landwirte den Einsatz chemischer Pestizide bis 2030 tatsächlich um die Hälfte reduzieren müssen, so wie es die EU plant. Schießt der Vorschlag der EU-Kommission übers Ziel hinaus?

Ich halte nichts davon, wenn man mit der Angst der Menschen spielt und Schreckensszenarien verbreitet. Aber der Kommissionsvorschlag muss auch berücksichtigen, was Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat. Die von der Kommission vorgeschlagenen Flächenkulissen, in denen gar keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden sollen, werden wir uns genau anschauen. Landschaftsschutzgebiete gibt es beispielsweise als Schutzkategorie in vielen Mitgliedsstaaten nicht. Dass diese Gebiete nun eingerechnet werden, finde ich schwierig. Da werden wir zu einer guten Lösung kommen. Die Verhandlungen gehen ja erst los.

Der Bauernpräsident spricht von bis zu fünf Millionen Hektar Agrarfläche, der die Stilllegung drohe.

Mit solchen Aussagen wäre ich ganz vorsichtig. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Forschung uns längst gute Alternativen zum Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln aufgezeigt hat. Dänemark hat in den letzten Jahren die Pestizidbelastung um 40 Prozent reduziert – und zwar ohne nennenswerte Ertragsrückgänge. Und rund 35.000 ökologisch wirtschaftende Betriebe allein in Deutschland zeigen jeden Tag, dass eine gute Landwirtschaft auch ohne Pestizideinsatz möglich ist. Aber an einer Tatsache können wir nicht rütteln: Der Einsatz von Pestiziden muss insgesamt deutlich runter. Vergessen wir nicht, dass diese die Artenvielfalt und damit die Widerstandsfähigkeit unserer Ökosysteme bedrohen.

Die Koalition arbeitet an einem neuen Entlastungspaket. Sie hatten vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu senken. Das wollte die Regierung nicht. Starten Sie einen neuen Anlauf?

Das würde nichts nutzen, denn dafür gibt es bei den Koalitionspartnern keine Mehrheit. Wenn man mit dem Kopf immer gegen dieselbe Wand rennt, gewinnt im Zweifelsfall doch die Wand. Allerdings ist unser Mehrwertsteuersystem dringend reformbedürftig. Die Politik hat parteiübergreifend ein absurdes System nur noch absurder gemacht. Der Finanzminister hätte mich sofort an seiner Seite, wenn er sich an diese Mammutaufgabe machen würde.

Was ist Ihnen bei den Entlastungen am wichtigsten?

Wir dürfen diejenigen, die besonders hart von der Inflation getroffen sind, jetzt nicht hängen lassen. Nur so sichern wir übrigens auch die Akzeptanz für Klima- und Artenschutz in der Bevölkerung. Von den Entlastungen müssen diejenigen profitieren, die am bedürftigsten sind. Ich gehöre nicht dazu, ich muss nicht entlastet werden.

Herr Özdemir, wir danken für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Cem Özdemir im Landwirtschaftsministerium.
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