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Putin-Kämpfer in ukrainischer Gefangenschaft spricht über Kriegs-"Hölle"


Deutscher Putin-Kämpfer hat genug vom Krieg

  • Lars Wienand
  • Carsten Janz
  • Philip Friedrichs
Von Lars Wienand, Carsten Janz, Markus Thöß, Philip Friedrichs und Adrian Röger

Aktualisiert am 21.03.2023Lesedauer: 7 Min.
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"Es war Horror": Im Interview mit t-online spricht der Deutsche Alexander F. über seinen Kriegsdienst für Wladimir Putin. (Quelle: t-online)

Alexander F. kämpfte für die Separatisten im Donbass und für Russland gegen die Ukraine. Als erster Deutscher geriet er 2022 in ukrainische Gefangenschaft – t-online und ZDF Frontal trafen ihn.

"Rufen Sie meine Mutter an. Und sagen Sie, dass ich okay bin und gesund. Und dass ich sie liebe!" Aus dem Militärgefängnis in der Ukraine hatte Alexander F. vergeblich versucht, sie zu erreichen. Vielleicht hat der freiwillige Kämpfer aus Deutschland dem Interview, aus dem seine Bitte stammt, nur zugestimmt, um diese Botschaft loszuwerden.

Die Mutter von Alexander F. lebt in Frankfurt, er selbst sitzt an einem Tisch in einem kargen Raum in ukrainischer Kriegsgefangenschaft. Er wurde gefangengenommen, als seine russische Einheit ein ukrainisches Dorf stürmen wollte.

t-online und das ZDF-Magazin "Frontal" haben mit Alexander F. gesprochen. Die gemeinsamen Recherchen zeigen, wie der Deutsche Alexander F. zu einer Figur der russischen Kriegspropaganda wurde, dessen Gefangennahme auch die Ukraine medial ausgeschlachtet hat. Sie zeichnen die Geschichte eines Mannes nach, der im Krieg Freunde verlor und die "Hölle" erlebte und der heute sagt, er wolle nie wieder kämpfen. Und sie erzählen auch die Geschichte eines früheren Sowjetbürgers, der nach Deutschland kam und aufgrund geplatzter Träume eine Sehnsucht nach seinem alten Leben entwickelte.

Die Interviewsituation eines Kriegsgefangenen in Haft mit weiteren Zuhörern im Raum, die vom Militärgeheimdienst sein dürften, ist problematisch. Auch auf russischer Seite könnte jedes falsche Wort dem Mann später Probleme verursachen. Aber Alexander F. will reden, und es ist vereinbart, dass er auf Fragen nicht antworten muss, wenn ehrliche Antworten für ihn zum Risiko werden könnten.

Video nach Gefangennahme zeigte Spuren von Gewalt

So schweigt er über die Umstände seiner Gefangennahme am 10. Oktober: "Lassen wir das lieber." Die Ukraine hatte ein Video veröffentlicht, in dem sein Gesicht geschwollen, sein Auge blau und sein Kopf verbunden war, prorussische Accounts verbreiteten sogar, ihm seien die Ohren abgeschnitten worden. Über die Gefangenschaft selbst spricht Alexander F. dann wieder: Er sei "schockiert, aber positiv" hinsichtlich der Umstände. "Ich dachte vorher, die (Ukrainer, Anm. d. Red.) werden mich hassen. Aber es ist wie für normale Gefangene, wir haben sogar Fernseher bekommen." Auch die ärztliche Versorgung sei gut.

Seine Reise in den Krieg begann im Jahr 2015. Alexander F. sagte seiner Mutter, dass er "in den Urlaub ans Meer" fahre. Doch dort kam er nicht an. Stattdessen machte er sich auf in den Donbass, wo sich seit Frühjahr 2014 ukrainisches Militär und ukrainische Freiwillige Gefechte mit prorussischen Milizen lieferten.

61 Extremisten seit Kriegsbeginn ausgereist

Genaue Zahlen zu Kämpfern gibt es nicht: Ende 2019 wusste die Bundesregierung von zwölf deutschen mutmaßlichen Kämpfern auf prorussischer Seite seit 2014: Gegen so viele Deutsche gab es Ermittlungsverfahren. Das von einem früheren FBI-Anti-Terror-Spezialisten geleitete Soufan-Center schätzte 2019 die Gesamtzahl Deutscher seit 2014 bei den Ukrainern auf 15 und bei den Separatisten auf 150. Wie viele sich seit Beginn des Angriffskriegs 2022 angeschlossen haben, ist unklar. Die Ukraine schätzt die Zahl Deutscher auf russischer Seite auf 1.000. Die Bundespolizei führt nur Statistik über Extremisten: Stand Anfang Februar waren 61 Ausreisen solcher Personen aus Deutschland zum Krieg in der Ukraine bekannt. Bei 29 gab es klare Anhaltspunkte, dass sie tatsächlich gekämpft haben – 27 davon auf prorussischer Seite.

Ein ukrainischer Bekannter aus seiner früheren Clique in Frankfurt sagt, die Abreise von Alexander F. in den Krieg sei damals für alle überraschend gewesen. Die Russen dort im Stadtteil Sossenheim hätten ihn "Chochol" genannt – abfällig für Ukrainer, weil er aus Dnipro stammt, aus der Ukraine. Der Freund glaubt, Alexander F. habe schon gedanklich in einer anderen Welt gelebt, weil er nur russisches Fernsehen geschaut habe. So habe er sich möglicherweise aufstacheln lassen.

Bei der Bundeswehr als nicht wehrfähig ausgemustert

Dafür sprechen seine Erklärungen, warum er im Donbass kämpfen wollte; "Ich fand es nicht gut, dass die ukrainische Armee gegen friedliche Bürger ..., dass die den Krieg angefangen hat, und ich wollte helfen." Helfen? "Ich war schon darauf eingestellt, dass ich kämpfen muss." Er habe verhindern wollen, so formuliert er es im Duktus russischer Propaganda, dass die gesamte Ukraine Teil der EU werde, mit ihren Regeln und mit vielen Flüchtlingen. Auch die "vielen Ausländer in Frankfurt" hatten ihn gestört.

An die Front war Alexander F. ohne jede militärische Ausbildung gereist. Wegen einer Epilepsie-Erkrankung infolge eines Unfalls 1995 war er aus der Bundeswehr ausgemustert worden. Die Epilepsie war eigentlich der Grund, warum die Familie 1997 nach Deutschland gekommen war, für eine Operation. Doch das gestaltete sich komplizierter, es blieb bei Medikamenten. Auf die ist er dauerhaft angewiesen.

Trotzdem flog er am 25. August 2015 über Moskau nach Rostow am Don. Er habe sich vorher im Internet genau informiert, wo sich Freiwillige melden können, fuhr mit dem Taxi ins Musterungsbüro. Seine Aufnahme war unkompliziert, er unterschrieb einen Jahresvertrag. "Da wurde ich zu meiner Kompanie geschickt, und dann ging es los." Alexander F. wurde Marineinfanterist in Nowoasowsk, kämpfte von da an gegen die Ukraine.

Seine Epilepsie war lange kein Thema, doch 2016 hatte er einen schweren Anfall mit Krämpfen. Seitdem sollte er nicht mehr an vorderster Front kämpfen. 2018 kam ein weiteres Handicap dazu: Eine Granate explodierte in seiner Nähe, er verletzte sich schwer an der rechten Hand, die er seither nur eingeschränkt benutzen kann.

Ohne ukrainischen und deutschen Pass gefangen

Das Militär konnte ihn trotzdem weiter gebrauchen, er verlängerte immer wieder um ein Jahr. Eine Alternativ dazu habe er nicht gesehen: Während seines Einsatzes im Donbass hatte er seinen ukrainischen Pass verloren, der deutsche war abgelaufen. Im Donbass hatte er wenig andere Perspektiven. In Deutschland hatte er keine Berufsausbildung absolviert, gejobbt, sich mit einer Sicherheitsfirma selbstständig gemacht. Doch dann gab es Ärger mit dem Finanzamt, F. hatte Schulden. Es hatte ihn also wenig in Deutschland gehalten. Und nun saß er in der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" fest.

Aber auch in der Miliz sei es lange Zeit "irgendwie ruhig" gewesen. "Bis 2022. Beide Seiten hatten ihre Stellungen, es war Waffenstillstand mit immer wieder mal kleinen Konflikten. Aber es ging." Und er mit seiner Epilepsie und der eingeschränkten Hand sei auch an Straßenkontrollen eingesetzt worden oder in Gruppen, die Verletzte evakuieren – nicht zum Angriff.

Ab dem 1. März 2022 wurde er bei und in Mariupol eingesetzt. Da habe er "Kinder und Frauen evakuiert", sagt er. Er habe da aber auch "richtig Horror gesehen, das will ich nicht wieder sehen. Von meinen Kameraden sind vielleicht fünf Prozent geblieben, die anderen sind alle verstorben. Meine Freunde sind alle tot."

Es gibt jedoch ein Foto, das ihn in der eroberten Stadt zeigt. Er hat den Rang eines Starshina, vergleichbar mit einem Hauptfeldwebel oder Stabsfeldwebel der Bundeswehr. Auch eine Szene in einem Video einige Wochen später sieht nicht nur nach "Evakuierung" aus: Mit Helm gibt er in einem Wald mit einer AK-74 Feuerstöße ab. Das Video hatte Alina Lipp gepostet, die deutsche Putin-Propagandistin aus Donezk. F. sagt, er habe sie einmal getroffen. Aber über die Veröffentlichung des Videos "war ich schockiert. Wie das Video zu ihr kam, das weiß ich nicht. Ich war dagegen."

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Er habe nicht gekämpft, betont er. Vielleicht auch, weil er sich nicht belasten will.

Neffe von Putins Propagandachef für Kampfeinsatz verurteilt

Welche Konsequenzen der Kampf auf russischer Seite gegen die Ukrainer haben kann, zeigte sich im September 2020 am Landgericht im bayerischen Landshut: Da wurde der Deutschrusse Sergej K. zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Ihm konnte nachgewiesen werden, dass er bei einem Gefecht im September 2014 mit dem Sturmgewehr auf vorrückende Ukrainer und mit einer Panzerabwehrwaffe auf Panzer gefeuert hatte. Er hatte selbst davon in einem Interview erzählt und es im Prozess gestanden. t-online und ZDF liegt das Urteil vor.

Diese Verurteilung wegen versuchten Totschlags war bis zu den Recherchen von t-online und ZDF in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Sie ist aber brisant: Sergej K. ist der Neffe von Dmitri Kisseljow. Dieser Putin-Freund und Kreml-Chefpropagandist ist Generaldirektor des staatlichen Medienkonzerns Rossija Sewodnja, der mit den Portalen und Sendern Sputnik und RT maßgeblich die prorussische Propaganda im Ausland verbreitet. Was die Sender verbreiten, motiviert Menschen wie Alexander F. zum Kampf.

Kisseljow hatte seinen Neffen Sergej K. maßgeblich selbst ans Messer geliefert, als er in einem Interview stolz erklärt hatte, sein aus Deutschland kommender Neffe kämpfe für Russland. Mit internationalem Haftbefehl gesucht, wurde Sergej K. in Bulgarien verhaftet. Der anschließende erste Prozess machte international Schlagzeilen. Sergej K, wurde wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, weil er sich den Separatisten angeschlossen hatte. Erst danach fanden die Behörden Beweise für die weitergehenden Vorwürfe und es kam zum zweiten Prozess. Er fand nach Verbüßung der ersten Strafe ohne weitere Berichterstattung statt.

Kämpfen auf Miliz-Seite nicht mehr strafbar

Die strafrechtliche Lage für deutsche Kämpfer gegen die Ukraine hat sich 2022 geändert. Seit die Volksmilizen dem russischen Kommando im Rahmen des internationalen bewaffneten Konflikts faktisch unterstellt sind, kämpfen deutsche Soldaten als Teil der regulären russischen Armee. "Das ist aus unserer Sicht hier in Deutschland nicht strafbar", sagt der Jurist Christian Richter, der Völker- und Verfassungsrecht an der Führungsakademie der Bundeswehr lehrt. "Zuvor waren diese Personen Aufständische, man könnte auch sagen: Terroristen, die gegen die Sicherheit und den Bestand des Staates Ukraine in illegaler Weise gekämpft haben." Wer sich ihnen anschloss oder dafür trainierte, machte sich der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" schuldig. 2015 war das Gesetz vor allem wegen IS-Kämpfern so verschärft worden, dass eine Ausreise für den Krieg bereits darunter fiel.

Gegen Alexander F. ist ein solcher Prozess in Deutschland unwahrscheinlich. Er will nicht zurück: "Ich habe auch Angst, dort verurteilt und eingesperrt zu werden." Und er habe andere Pläne, hofft auf eine Rente im Donbass: "Ich will nicht mehr kämpfen."

Bei Gefangenenaustausch frei gekommen

Die Unterlagen für die Rente habe er eigentlich an dem Tag einreichen sollen, als er in Gefangenschaft geriet, sagt er. Am 13. Juli war er verletzt worden und war am 10. Oktober den ersten Tag wieder im Dienst, als er als Teil der Evakuierungsgruppe mitkommen sollte zum Dorf Krasnohoriwka. Was er davon schildert, passt zu Karten vom Frontverlauf. "Unsere Sturmtruppen haben es nicht geschafft. Die wurden zerfetzt." Drei Verwundete habe es gegeben, die er habe rausholen wollen, ohne Waffen, nur mit medizinischer Ausrüstung. "Da wurde ich gefangen genommen."

Alexander F. ist nach allen Erkenntnissen der erste deutsche Staatsbürger während dieses Krieges in ukrainischer Gefangenschaft. Die deutsche Botschaft bemühte sich um ihn, ein Vertreter der Botschaft besuchte ihn im Gefängnis. Ein zweiter Besuch wurde in Aussicht gestellt, "aber ich habe nie mehr etwas gehört".

Wenige Tage nach dem Interview kam Alexander F. im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Am 8. Januar flog er nach Moskau. Sein nächstes Interview gab er vor russischen Kameras am Flughafen. Wieder schickte er Grüße an seine Mutter: Es gehe ihm gut. Danach verliert sich seine Spur. Ein Posting einer Frau im Internet, offenbar seine Schwester, lässt vermuten, dass er wieder in den Donbass zurückgekehrt ist. Was er dort macht, ist nicht bekannt.

Das ZDF berichtet am Dienstag um 21 Uhr in seiner Sendung "Frontal".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Video-Konferenz mit Alexander F.
  • Anfragen an Bundespolizeipräsidium, Bundesamt für Verfassungsschutz
  • Anfrage an Landgericht München I und Landgericht Landshut, Urteil Ks 504 Js 58/19
  • thesoufancenter.org: WHITE SUPREMACY EXTREMISM: The Transnational Rise of the Violent White Supremacist Movement
  • Telegram-Kanal AFUStratCom
  • Telegram-Kanal Neues aus Russland
  • YouTube-Kanal Glavred Borysenko
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