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Jagd der "Löwin" in Berlin: Was am Ende doch brennend interessiert


"Löwen"-Jagd von Berlin
Eine Frage interessiert doch brennend

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 23.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Ja, wo ist sie denn?: Im Süden Berlins ging es auf Großwildjagd.Vergrößern des Bildes
Ja, wo ist sie denn? Im Süden Berlins ging es auf Großwildjagd. (Quelle: Fabian Sommer/dpa)

Die Löwin war los in Berlins Süden, Aufregung herrschte in der Republik. Nun entpuppte sich die Großkatze allerdings als Wildschwein. Und das große Happy End blieb aus. Meint augenzwinkernd Wladimir Kaminer. Eine Glosse.

Mit großer Spannung verfolgten wir vom Prenzlauer Berg aus die Routen der irrlichternden Löwin durch den Süden Berlins. Sie kreiste unermüdlich um die leckersten Teile der Hauptstadt. Angeblich ward sie etwa im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf gesichtet worden, ein kurzes Nachtvideo aus Kleinmachnow in Brandenburg hatte die Furcht geschürt. Das Tier habe dort etwas gefressen. Wir haben Freunde in Steglitz, die wir schon über ein Jahr nicht gesehen haben.

Berlin ist groß, wer von Prenzlauer Berg nach Steglitz zieht, wird seinen alten Freundeskreis nur selten treffen können. Das plötzliche Erscheinen der Löwin gab uns den Anlass, unsere Freunde endlich anzurufen: "Geht es Euch noch gut? Wollt ihr zurück in die Stadt? Ihr wolltet doch in Ruhe und Sicherheit leben?" Auf "berlin.de" steht über Steglitz, "die Gegend überrascht mit gut bewaldeter Landschaft, gepflegter Botanik und viel Wasser".

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch trägt den Titel: "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Kein Wunder, dass die Löwin diese Ecke Berlins als Ausflugsziel gewählt hat. Außerdem ist in der Stadt längst bekannt, dass die Wildschweine seit der Corona-Pandemie in Zehlendorf und Steglitz das Müllmanagement komplett übernommen haben. Und Wildschweine eignen sich in der allgemeinen Nahrungskette ganz gut als Mahlzeit für die Löwen.

Man könnte demnächst auf der Webseite der Stadt ergänzen: "Auch für Löwen hervorragend geeignet." Allerdings waren die Einwohner des Bezirks Steglitz-Zehlendorf unsicher, ob nicht auch sie selbst als Mahlzeit für die Löwin hervorragend geeignet wären. Ihre Sorgen schienen berechtigt zu sein. Laut polizeilichen Meldungen zog sich die Löwin in die Dschungel Zehlendorfs zurück.

Frieden schaffen ohne Waffen?

Auch in Kleinmachnow, einer Gemeinde nahe von Berlin, wo die Grünen bei den letzten Wahlen ihr landesweit bestes Ergebnis geholt haben, herrschte verständlicherweise Beunruhigung. Meine Tochter, eine Öko-Aktivistin, die viele Freunde und Freundinnen in Kleinmachnow hat, machte sich Sorgen, dass die Löwin ihre grünen Freunde aufessen würde. Die öffentlichen Veranstaltungen in Kleinmachnow, Sommerkino und Straßenfest, wurden für alle Fälle abgesagt.

Die Polizei lieferte währenddessen eine atemberaubende Jagd nach der unsichtbaren Löwin, es herrschte Alarmstimmung. Die Berliner verfolgten derweil dieses Abenteuer und machten endlos Witze über das Zusammenspiel Mensch und Tier. Ganz vorne das lustige Satireblatt "Postillion." Es meldete, Sahra Wagenknecht rufe die Bundesregierung angeblich dazu auf, sofort Friedensverhandlungen mit der Löwin zu beginnen.

"Zur Not müsse Deutschland bereit sein, Teile seines Staatsgebiets abzugeben", hieß es beim "Postillon". "Kleinmachnow sollten wir schon mal definitiv der Löwin überlassen. Das wird auch für die Menschen dort am besten sein. Weiterhin könnten Teltow, Stahnsdorf sowie der Süden Berlins an die Löwin abgetreten werden. Diese Löwin ist ja sicher kein Untier, wie sie immer in den Medien dargestellt wird", so die angebliche Wagenknecht. "Ich bin sicher, sie ist vernünftig."

Das soll laut "Postillon" die Politikerin gesagt haben. In Wahrheit verlor das politische Personal des Landes seine solide Haltung für keine Sekunde, es blieb angesichts der Löwin nachdenklich, konzentriert und regungslos. Niemand konnte verstehen, woher das Tier kam. Laut den Kenntnissen des Tierschutzes waren im Land Brandenburg offiziell 23 Löwen und Löwinnen registriert worden, in sämtlichen Zoos, Tierparks und Zirkussen.

So eine Großkatze verschafft Respekt

Alle registrierten Tiere schienen auf ihrem registrierten Platz zu sein. Niemand hat ein Tier als vermisst gemeldet. Möglicherweise komme die Löwin aus einer Privatsammlung, sagte die Sprecherin der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten". Wir hielten es für eine plausible Erklärung. Mein guter Bekannter, ein Arzt aus der Charité, baute sich jahrelang ein Haus in Zehlendorf und erzählte uns, dort am Speckgürtel Berlins würden allerhand merkwürdige Ausländer wohnen.

Seine Nachbarn zur einen Hand wären ein arabischer Prinz mit Harem und Riesengarage, zur anderen hatte er einen entflohenen russischen Oligarchen, der sich vor Sanktionen und vor Putin in Zehlendorf versteckte. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass Menschen, die Geld im Überfluss haben, sich statt eines bissigen Hundes eine Löwin zum Schutz des Eigenheims besorgen – um Respekt und Wertschätzung der Nachbarn auf diesem Wege schnell und sicher zu erlangen.

Tag und Nacht suchten Hunderte Polizisten mit Hubschraubern und Nachtsichtgeräten die Löwin, vergeblich. Die Polizei war sichtlich überfordert, die Großkatze spurlos verschwunden, sie kreuzte nach dem kurzen Besuch in Kleinmachnow nirgends mehr auf. Die Tierexperten hatten Zweifel an dem einzig existierenden Nachtvideo der Löwin geäußert. Das Tier schien ihnen nicht löwisch genug zu sein. Die Ohren waren zu groß, der Rücken zu rund, der Schwanz zu kurz.

Mich erinnerte diese Geschichte an die Bücher über den glücklichen Löwen und seinen kleinen Freund Franz, die ich meinen Kindern vorlas. Solange der Löwe hinter Gittern im Zoo saß, mochten ihn alle. Als er eines Tages aus dem Zoo ausbrach und einen Spaziergang machte, hatten plötzlich alle Angst vor ihm. Außer dem kleinen Franz. Wir haben die Nachrichten zwei Tage lang verfolgt, wir warteten auf den kleinen Franz, einen Zehlendorfer Jungen, der die Löwin fängt.

Doch das Märchen des Lebens hat anders als die echte Literatur oft statt eines satten Happy Ends nur einen Lachkeks anzubieten. Unsere Löwin hat sich als Wildschwein erwiesen. Wen hat sie dann aber nur in Kleinmachnow gegessen? Doch nicht etwa Wildschwein?

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