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Wohnungsnot in Deutschland: Was Flüchtlinge damit zu tun haben


Experten erklären Misere
Was Flüchtlinge mit der Wohnungsnot zu tun haben

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 10.04.2019Lesedauer: 4 Min.
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Andrang zur Besichtigung eines Neubaus (Symbolfoto): In Deutschland ist mancherorts die Wohnungsnot groß.Vergrößern des Bildes
Andrang zur Besichtigung eines Neubaus (Symbolfoto): In Deutschland ist mancherorts die Wohnungsnot groß. (Quelle: Imago)

Die Wohnungsnot in Teilen Deutschlands ist so groß, dass von Enteignungen gesprochen wird. Was hat das mit der Flüchtlingswelle aus dem Jahr 2015 zu tun?

Als 2015 die Bilder von überfüllten Erstaufnahmeunterkünften um die Welt gingen, warnte der Deutsche Mieterbund vor dem "Kampf um Sozialwohnungen". Und tatsächlich: Es gibt den Kampf. Und es gibt verzweifelt suchende Menschen. Über die Ursachen wird gestritten. Doch in einem Punkt sind sich Mieterbund und der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW) einig: Nur an den Flüchtlingen liegt es nicht.

GdW-Präsident Axel Gedaschko sagt t-online.de: "Die Verschärfung der Situation ergibt sich vor allem aus der generellen Zuwanderung aus Deutschland und Europa in die Städte." Migration aus dem außereuropäischen Ausland spiele eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. Und die Probleme seien älter.

"Es wurde nicht gegengesteuert"

Denn: Es gibt zu wenige Sozialwohnungen. Für ProAsyl war das schon weit früher spürbar bei ihrer Arbeit mit Geflüchteten. "Das haben wir 2012, 2013, 2014 bereits gesagt", sagt Bernd Mesovic, Leiter der Abteilung Rechtspolitik bei ProAsyl, zu t-online.de. Kommunen veräußerten Sozialwohnungen im großen Stil und Bindungsfristen liefen aus. "Es ist nicht reagiert worden, obwohl prognostizierbar war, dass wir auf die heutige Situation zusteuern."

Und dann kam es im unteren Preissegment durch die Flüchtlinge zu einer weiteren Verschärfung bei der Nachfrage, sagt Mieterbund-Geschäftsführer Ulrich Ropertz zu t-online.de. "Das lässt sich nicht wegreden. Für die Wohnungsknappheit spielen aber eben andere Aspekte eine deutlich größere Rolle."

Wenig Wohnungsbau und viel Zuzug in Städte

Ein Aspekt ist die schwache Förderung von Sozialwohnungsbau. "Es mag hier einen Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle geben", sagt Ropertz, "seit 2015 haben sich die Mittel verdreifacht, die der Bund den Ländern für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt – von 518 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro."

Doch absehbar mindert das vor allem in Städten mit knappem, teurem Bauland kaum die Folgen von geringem Wohnungsbau bei schnell gestiegener Binnenwanderung. "Es gibt genau dort zu wenig Wohnungen, wo aktuell die meisten Menschen wohnen möchten – in den Städten", sagt Immobilienwirtschafts-Präsident Gedaschko.

Recht auf Wohnung
Recht auf eine Wohnung haben Flüchtlinge erst nach 24 Monaten oder wenn sie als asylberechtigt anerkannt sind. Dann erhalten sie für sich und die Familie Leistungen wie ALG-II-Empfänger. Wer Arbeit oder einen Ausbildungsplatz hat, kann dazu den Wohnsitz frei wählen. Alle anderen müssen dem Integrationsgesetz von 2016 zufolge drei Jahre in dem Bundesland bleiben, das für ihr Asylverfahren zuständig war. Behörden können zudem eingeschränkt einen Wohnort zuweisen.

Geflüchtete machen dabei die kleinste Gruppe aus. "2017 stammten rund 70 Prozent der insgesamt rund 1,5 Millionen Zuwanderer aus Europa, insbesondere aus Spanien und Italien", rechnet Gedaschko vor. Daran dachten die Deutschen wohl weniger, als 58 Prozent in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung angaben, Konkurrenz durch Migranten auf dem Wohnungsmarkt bereite ihnen Sorgen.

Seit 2015 in Gemeinschaftsunterkunft

Sie als Französin nehme viel eher einem Deutschen die Wohnung weg als ein Geflüchteter, sagt Florence Vettraino, in Berlin-Wedding Leiterin der Caritas-Gemeinschaftsunterkunft "Haus vom guten Hirten". 110 Plätze hat die Einrichtung, Bewohner teilen sich Küche und Sanitärbereiche mit wenig Privatsphäre. "Eine eigene Wohnung, das ist das Hauptthema", berichtet Vettraino 17 Menschen leben bereits seit dem Jahr 2015 unter diesen Umständen – weil sie nichts finden.

Der Umzug in eine Einzelunterkunft ist für Asylberechtigte kein Automatismus, zeigte 2018 eine Analyse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus der Befragung von 4.500 Asylbewerbern aus dem Zeitraum 2013 bis 2016: Ein Drittel der Menschen mit Schutzstatus lebte weiter in Gemeinschaftsunterkünften, von den Geduldeten war es mehr als die Hälfte.

Flüchtlinge: "Die Wohnungen bekommen nur Deutsche"

Diese Fehlbelegungsquote sei in untersuchten Städten noch gestiegen, erläutert Anja Nelle vom privaten Berliner Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik, Mitautorin der Studie "Integration von Flüchtlingen in den regulären Wohnungsmarkt" für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. "Es gibt ja vielerorts Wartelisten für Menschen mit Wohnberechtigungsschein, auf denen ein Geflüchteter dann zunächst einmal am Ende steht."

Betroffene, die schon lange suchen, beklagen sich etwa bei Claudia Bier, die beim Mietersozialdienst einer Berliner Wohnungsbaugesellschaft tätig ist: "Ich höre da immer enttäuscht, die Wohnungen bekämen ja nur Deutsche." In Großstädten gibt es deshalb auch Kontingente, die einen Teil freiwerdender städtischer Wohnungen für Flüchtlinge vorsehen. 275 sind es in Berlin im Jahr.

Mieter raus für Flüchtlinge?
Es sind Fälle, die Wellen der Empörung ausgelöst haben: Kommunen haben mehrfach Bewohner städtischer Wohnungen vor die Tür gesetzt, weil sie Flüchtlingen unterbringen mussten und keine andere Möglichkeit gesehen hatten."Das waren aber wenige Einzelfälle, die dann auch allesamt durch die Medien gegangen sind", sagt Mieterbund-Geschäftsführer Ulrich Ropertz. Der Mieterbund hatte das Vorgehen kritisiert und die Rechtmäßigkeit stark in Zweifel gezogen.

Kommunen machten den Bewohnern in Gemeinschaftsunterkünften keinen Druck, schnell auszuziehen, sagt Wissenschaftlerin Nelle. Den Platz dort benötigten sie wegen der zurückgegangenen Zahlen nicht, und "sie wissen, wie schwer es für die Menschen ist, etwas zu finden". "Also bleiben die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften", kommentiert ProAsyl-Sprecher Mesovic. "Die Alternative wäre, sie ins Obdachlosenheim umzusetzen."

"Der Druck ist sehr hoch, rauszukommen"

Nelle zufolge bilden Flüchtlinge wegen des Mangels an kleinen Wohnungen häufiger Wohngemeinschaften. "Der Druck ist sehr hoch, nach langer Zeit aus Gemeinschaftsunterkünften rauszukommen." Zum Teil würde dabei unkritisch jede Wohnung genommen, auch solche, die zum Wohnen nicht geeignet sind. "Es ist kein Massenphänomen, aber sicher hat das noch ein Marktsegment nach unten eröffnet."


In Deutschland wurden Flüchtlingen Wohnungen vermietet, die zuvor nicht auf dem Markt waren. Doch dahinter stecken nicht nur skrupellose Geschäftemacher. Die Wissenschaftler stießen auch darauf, dass durch die "aktive Vermittlung Ehrenamtlicher die Aktivierung partieller Leerstände in Privatbesitz" gelungen sei: Jetzt wohnt in mancher Einliegerwohnung ein Flüchtling.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • BAMF: Kurzanalyse – Die Wohnsituation Geflüchteter (PDF)
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