Hanauer OberbĂŒrgermeister: "Es ist unsere verdammte Pflicht"
Ein Jahr ist seit dem Anschlag in Hanau vergangen â doch viele Fragen der Angehörigen sind unbeantwortet. Das muss sich Ă€ndern, fordert Claus Kaminsky ebenso wie die Angehörigen von Walter LĂŒbcke.
Vor einem Jahr tötete ein 43-JĂ€hriger in Hanau neun Menschen in zwei Bars. Der Hanauer OberbĂŒrgermeister Claus Kaminsky (SPD) forderte anlĂ€sslich des Jahrestags am Freitag eindringlich eine lĂŒckenlose AufklĂ€rung des Attentats. "Es ist unsere verdammte Pflicht, alles was dieser Staat weiĂ, auch den Angehörigen zu vermitteln", sagte er im Rundfunk Berlin-Brandenburg.
AufklĂ€rung sei fĂŒr die Angehörigen der Opfer die einzige Chance, um das Geschehen verarbeiten zu können. Auch ein Jahr nach der Tat litten die Hinterbliebenen. "FĂŒr sie ist es nach wie vor ein Schrecken, der nicht enden will", sagte Kaminsky.
LĂŒbcke-Angehörige: Viele drĂ€ngende Fragen sind noch offen
Auch die Familie des 2019 ermordeten Kasseler RegierungsprĂ€sidenten Walter LĂŒbcke ĂŒbermittelte Worte des MitgefĂŒhls â und dringt auf AufklĂ€rung. "Unsere Gedanken und unser MitgefĂŒhl gilt den Opfern und ihren Angehörigen", heiĂt es in einer Stellungnahme der Familie. Es bleibe aber nicht nur Schmerz, sondern es gebe auch viele offene Fragen.
"Wir wĂŒnschen den Angehörigen von ganzem Herzen, dass ihre drĂ€ngenden Fragen bald beantwortet werden. Es wird ihre Töchter und Söhne, Geschwister, Freundinnen und Freunde nicht zurĂŒckbringen. Es wird die Tat nicht ungeschehen machen. Aber es kann helfen, mit dem groĂen Schmerz und dem tiefen Verlust umzugehen und Kraft geben, weiter fĂŒr unsere Werte Haltung zu zeigen", erklĂ€rte die Familie.
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FDP-Innenexperte Benjamin Strasser kritisiert, dass Pannen der Behörden erst durch Medienrecherchen ans Licht gekommen seien. "Das schafft Misstrauen bei den Betroffenen, ob Fehler wirklich entschlossen verfolgt und behoben werden." Die Klagen der Hinterbliebenen darĂŒber, dass die AufklĂ€rung nicht mit mehr Transparenz vorangetrieben werde, seien berechtigt.
Zentralrat der Muslime kritisiert mangelnden Polizeischutz
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) sieht die SchutzmaĂnahmen weiterhin als nicht ausreichend an. Punktuell seien sie erhöht worden, sie reichten jedoch noch nicht aus, sagte ZMD-PrĂ€sident Aiman Mazyek der "Neuen OsnabrĂŒcker Zeitung". Beispielsweise seien in der Tatnacht viele Notanrufe getĂ€tigt worden, die von der Polizei nicht angenommen wurden.
Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-jĂ€hriger Deutscher in zwei Bars in Hanau neun Menschen mit auslĂ€ndischen Wurzeln gezielt getötet. AnschlieĂend tötete er seine Mutter und sich selbst. Die Bundesanwaltschaft attestierte dem TĂ€ter eine zutiefst rassistische Gesinnung.
Hinterbliebene hatten nach der Tat vor allem die Polizei und deren Organisation kritisiert. So gingen Notrufe zum Tatzeitpunkt ins Leere. AuĂerdem verfĂŒgte der TĂ€ter, bei dem 2002 eine paranoide Schizophrenie festgestellt worden war, legal ĂŒber mehrere Waffen.
Scholz: "Er sah nur 'die AuslÀnder'"
FĂŒr den ersten Jahrestag ist in Hanau am Abend eine Gedenkfeier mit Hinterbliebenen, BundesprĂ€sident Frank-Walter Steinmeier, Hessens MinisterprĂ€sident Volker Bouffier (CDU) und Kaminsky geplant. Verschiedene Gruppen gedachten der Todesopfer bereits am Tage, demonstrierten und legten KrĂ€nze nieder. Auf Anordnung des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) wehten am Freitag die Flaggen an allen öffentlichen GebĂ€uden und Dienststellen im Land auf halbmast, ebenso an Steinmeiers Amtssitzen in Berlin und Bonn.
Zahlreiche Politiker riefen zum bitteren Jahrestag zu SolidaritĂ€t mit den Opfern rassistischer Gewalt und ihren Hinterbliebenen auf und forderten null Toleranz gegenĂŒber Rassismus und Rechtsextremismus. So forderte GrĂŒnen-Politiker Cem Ăzdemir ein hĂ€rteres Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen Rechtsextremismus. "Polizei und Verfassungsschutz mĂŒssen gegenĂŒber Rechtsterrorismus null Toleranz walten lassen", sagte er "Watson". GrĂŒnen-Chef Robert Habeck betonte, dass Rassismus ein strukturelles Problem sei. Die Reaktionen auf den Anschlag mĂŒssten ĂŒber den reinen Trost hinausgehen, sagte er im Norddeutschen Rundfunk.
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SPD-Chef Norbert Walter-Borjans rief zur Zivilcourage auf. "Wir mĂŒssen Sorge dafĂŒr tragen, dass die brutale Tat eines Rechtsextremisten uns allen als warnendes Beispiel in Erinnerung bleibt", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz erinnerte an die Opfer. "Ihre Geschichten kannte der Mörder nicht", erklĂ€rte er. Der AttentĂ€ter habe "nicht die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger aus unserer Mitte" gesehen. "Er sah nur 'die AuslĂ€nder'."
Der Anschlag von Hanau mahne auch ein Jahr danach zum Handeln, lieĂ Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ĂŒber einen Sprecher erklĂ€ren. "Alle Menschen in Deutschland mĂŒssen heute sicher leben können â wir bieten denen die Stirn, die das Gift des Rechtsextremismus, des Rassismus und des Antisemitismus verbreiten und unsere freiheitliche Lebensweise bekĂ€mpfen."
Die Evangelische Kirche in Deutschland erinnerte an das Leid der Opfer und der Hinterbliebenen. "Wir haben fast schon wieder vergessen, was damals passiert ist", erklĂ€rte der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. In Deutschland gebe es offenen und versteckten Rassismus. "Jeder möge sich selbst daraufhin prĂŒfen."