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Neue Regeln zur Sterbehilfe geplant: Jurist sieht völligen "Unsinn"


Abgeordnete planen neue Regeln
Das Aus für das "Geschäft mit dem Tod"


12.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Zwei Hände halten sich fest (Symbolbild): Über das Thema Beihilfe zum Suizid wird derzeit debattiert.Vergrößern des Bildes
Zwei Hände halten sich fest (Symbolbild): Über das Thema Beihilfe zum Suizid wird derzeit debattiert. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Sterbehilfe ist eines der sensibelsten politischen Themen. Eine Gruppe von Abgeordneten spricht sich nun für neue "Schutzmechanismen" aus. Doch an ihrem Vorschlag äußert ein Jurist scharfe Kritik.

Für Lars Castellucci (SPD) ist die aktuelle Situation nicht länger hinnehmbar: "Wir haben in Deutschland derzeit einen ungeregelten Zustand und damit verbunden auch viel Unsicherheit", sagt der Bundestagsabgeordnete. Mit mehreren Kolleginnen und Kollegen will er das ändern. Sein Thema ist ethisch und juristisch seit Jahren höchst umstritten: Sterbehilfe.

Konkret geht es den Abgeordneten um den sogenannten geschäftsmäßig assistierten Suizid, also wenn beispielsweise ein Verein oder eine Organisation eine tödliche Substanz bereitstellt, der Mensch diese aber selbst und freiverantwortlich einnimmt.

Diese Form der Sterbebegleitung liegt in einer Grauzone zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Zur passiven Sterbebegleitung zählt etwa die Hilfe beim Sterben in einem Hospiz oder die Palliativmedizin zur Schmerzbehandlung. Aber auch, wenn eine notwendige Behandlung auf Wunsch des Patienten eingestellt wird. Sie ist in Deutschland unter bestimmten Regeln erlaubt. Die aktive Sterbehilfe beinhaltet die direkte Tötung eines Patienten auf Verlangen. Sie ist in Deutschland verboten.

"Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit muss festgestellt werden"

Die Abgeordneten haben nun ein Schutzkonzept entwickelt, das beim geschäftsmäßig assistierten Suizid die Selbstbestimmung garantieren soll. Es schreibt mindestens zwei Untersuchungen durch einen Psychiater vor. "Zwei Untersuchungen sind nötig, um die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Entscheidung, sich selbst das Leben nehmen zu wollen, festzustellen", sagt Castellucci.

Dabei vergeht Zeit. Genau die soll aber auch die Möglichkeit bieten, Alternativen und Hilfsangebote zu organisieren und vor Missbrauch zu schützen. Die Untersuchungen sollen mit einem Abstand von drei Monaten erfolgen.

"Das Gesetz schützt den freien Willen des Einzelnen", erklärt der ebenfalls beteiligte CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling. Juristisch gehe der neue Vorschlag (§ 217 StGB) grundsätzlich von einem Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid aus. "Durch die Ausnahmeregelungen wird aber sichergestellt, dass im Fall der tatsächlich festgestellten Freiverantwortlichkeit des Sterbewilligen eine Bestrafung entfällt", sagt Heveling. Kurz: Wer hilft, macht sich zwar strafbar. Wenn er alle Regeln eingehalten hat, wird er aber nicht bestraft.

Lauterbach: Suizidhilfe soll ärztliche Aufgabe sein

Der neue Vorschlag der Abgeordnetengruppe ist nicht das einzige Modell, das in Kürze im Bundestag diskutiert werden soll. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war an einer Gesetzesvorlage beteiligt, in der es heißt, die Suizidhilfe solle ausschließlich eine ärztliche Aufgabe und grundsätzlich straffrei sein.

Renate Künast und Katja Keul (B'90/Die Grünen) haben ebenfalls einen Gesetzesvorschlag eingebracht. Sie wollen, dass das Motiv für einen Suizid differenzierter betrachtet wird. Patienten, die eine tödliche Krankheit haben, sollen von Ärztinnen und Ärzten beraten werden. Steckt keine tödliche Krankheit hinter dem Sterbewunsch, brauche es staatliche Stellen mit Beratung und strengeren Auflagen.

Hintergrund für die neuen Vorschläge ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es hatte 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gekippt. Die Begründung: Es verletzte das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben. Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt".

Worum geht es nun genau bei der Änderung?

Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther gehört zu der Gruppe, die den neuen – und bislang restriktivsten – Vorschlag zur Sterbehilfe entworfen hat. Sie nennt gegenüber t-online vor allem einen Grund: "Derzeit führen Sterbehilfevereine Suizidassistenz durch, ohne dass es dafür klare Leitplanken gibt." Lars Castellucci geht sogar noch weiter und unterstellt Organisationen, "ein Geschäft mit dem Tod zu betreiben". Meist seien Suizidgedanken schwankend, deshalb müsse man mit Hilfsangeboten und Beratung entgegenwirken. Das seien "alles Dinge, die in unserer hektischen, geldgetriebenen Zeit zu kurz kommen", meint er.

Medizinethiker und Jurist Wolfgang Putz engagiert sich seit Jahren im Bereich des Rechts bei der Beihilfe zum Suizid. Er lehrt nicht nur an der Universität München zum Thema, sondern hat auch eine Kanzlei, die sich auf Medizinrecht spezialisiert hat. An einer Änderung durch das Bundesverfassungsgericht war er 2017 maßgeblich beteiligt.

Zu den Aussagen der Abgeordneten hat er eine klare Meinung: "Das ist Unsinn." Vereine und Organisationen, die bei der Beihilfe zum Suizid helfen, würden unter strengen, selbst auferlegten und vom geltenden Strafrecht vorgegebenen Auflagen hinsichtlich Aufklärung und Begutachtung agieren, schon allein, um sich nicht strafbar zu machen. "Dieser Gesetzentwurf verlangt darüber hinaus eine überzogene und umfangreiche Aufklärung und Begutachtung. Dabei ist der Wunsch nach Sterbehilfe doch der seltenste Fall", gibt er zu bedenken.

Ärzte handeln schon jetzt nach einem Sterbewunsch – etwa bei Ablehnung von Beatmung

Er hält den Gesetzesvorschlag für eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der Grundrechte, zumal der mit Abstand häufigste Fall der Sterbehilfe in Deutschland schon geregelt sei. Ärztinnen und Ärzte, die sterbende Menschen behandeln, würden bereits jetzt immer nach den Wünschen der Patienten handeln müssen. Lehnt also ein Patient etwa eine weitere Chemotherapie zur Behandlung einer Krebserkrankung oder eine lebensnotwendige Beatmung aus freiem Willen ab, muss der Arzt nach eingehender Beratung danach handeln. Der Wunsch nach geschäftsmäßiger Hilfe beim Suizid sei hingegen sehr selten.

Wichtigste Maßgabe sei auch nach derzeitiger Rechtslage bei jeder Art von Sterbehilfe die Freiverantwortlichkeit. Das bedeutet, dass ein Mensch im vollen Besitz seiner geistigen Fähigkeiten und nach gründlicher Abwägung diese Entscheidung treffen muss.

"Und das wird immer wieder übersehen: Wir haben eine ganz deutliche Gesetzeslage, wenn man etwa psychisch Kranken beim Suizid hilft", so der Jurist. "Die Strafandrohung ist in diesem Fall immens", so Putz und er fügt hinzu: "Die Sterbehilfegesellschaften gehen daher besonders sorgfältig vor." Diesen Menschen das Gegenteil zu unterstellen, sei durch nichts belegt.

477 Menschen starben mithilfe des Vereins Sterbehilfe

Eine der betroffenen Organisationen in Deutschland ist der Verein Sterbehilfe. Er ist seit mehr als zehn Jahren aktiv und hat, laut eigener Aussage auf der Internetseite, 477 Menschen den selbstbestimmten Freitod ermöglicht (Stand: Januar 2022). Zwischen 2015 und 2020 war die Praxis in Deutschland jedoch verboten.

Nur wer Mitglied im Verein ist, kann die Sterbehilfe auch in Anspruch nehmen. Dabei können mehrere Tausend Euro fällig werden. Doch der Verein erklärt auch, dass auf die finanzielle Situation Einzelner eingegangen werden könne. So wie diese Organisation gibt es einige weitere, die Sterbehilfe in Deutschland ermöglichen.

Ein wichtiger Punkt in den Plänen der Abgeordneten ist die Suizidprävention, "damit es gleichzeitig einen neuen Anlauf für noch bessere palliative Versorgung, Beratung und Hilfen geben kann", erklärt Lars Castellucci. Der Abgeordnete sagt, dass die Zahlen etwa in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz, seit der Zugang zu todbringenden Mitteln erleichtert wurde, sprunghaft angestiegen sei. Das Angebot schaffe eben auch Nachfrage. In der Schweiz stieg die Anzahl der assistierten Suizide nach Angaben des Bundesamts für Statistik von knapp 300 im Jahr 2009 auf mehr als 1.100 im Jahr 2019.

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Auch deshalb ist Castellucci wichtig, dass die Maßgabe laute: "Ermöglichen, nicht fördern." Es komme auf eine Balance an, zum einen, die selbstbestimmte Entscheidung des Menschen zu respektieren, andererseits der Normalisierung des Suizids vorzubeugen.

Jurist: Normalisierung ist durch nichts begründet

Wer mindestens zwei Gutachten und lange Wartezeiten vorschreiben wolle, müsse sich fragen lassen, ob man dabei überhaupt noch vom "Ermöglichen“ einer Selbstbestimmung sprechen könne, sagt hingegen Jurist Wolfgang Putz. Die Angst vor einer gesellschaftlichen Normalisierung der assistierten Sterbehilfe sei nicht begründet.

Ihn ärgert auch die Begründung des Vorschlags: Es sollten Suizidwillige, die nicht freiverantwortlich handeln, zum Beispiel aufgrund einer psychischen Erkrankung, geschützt werden. "Die sind durch das scharfe Schwert des Strafrechts aber bereits effektiv geschützt", sagt Putz. Damit könne also keine Einschränkung der Grundrechte gerechtfertigt werden.

Er hat einen anderen Vorschlag: Man könne ja zum Beispiel ein Werbeverbot für Sterbehilfeorganisationen beschließen. Das hat auch die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaft, vorgeschlagen – ging aber noch einen Schritt weiter. Sie regte an, kommerzielle Angebote der Suizidassistenz inklusive der Werbung dafür gänzlich zu verbieten. Die Überprüfung der freien Entscheidung und die Durchführung des Suizids sollten zudem organisatorisch und personell getrennt werden.

Auf den Bundestag wartet auf jeden Fall eine schwierige Debatte. Für Jurist Putz ist klar, dass die neue Gesetzesvorlage der Abgeordnetengruppe nicht die Lösung sein kann. Sie bringe ihn nur "in Rage".

Hinweis: Hier finden Sie sofort und anonym Hilfe, falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interview mit Lars Castellucci (SPD)
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