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Corona-Krise | Sucharit Bhakdi soll Titel verlieren: Als Professor unwürdig?


Drohender Titelverlust
Der vielleicht unwürdige Professor Bhakdi

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 23.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Möglicher Titelverlust: Die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz will, dass Sucharit Bhakdi sich nicht mehr Professor nennen darf.Vergrößern des Bildes
Möglicher Titelverlust: Die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz will, dass Sucharit Bhakdi sich nicht mehr Professor nennen darf. (Quelle: Imago Images, Screenshot YouTube, Montage: t-online)

Wie weit geht Wissenschaftsfreiheit? Durch die Corona-Pandemie mit erbittert geführtem Meinungskampf ist die Frage akut: Erstmals soll deshalb ein Professor den Titel verlieren.

Er ist die Ikone aller, die immer glauben wollten, dass Corona harmlos und eine Impfung die eigentliche Gefahr ist. Sucharit Bhakdi, der langjährige Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Mainz, ist eine tragische Figur: Manche seiner wissenschaftlichen Publikationen von einst bringen es auf Hunderte Zitationen, heute wird er manchmal in Hunderten von Telegram-Kanäle aufgegriffen.

Und jetzt will ihm Rheinland-Pfalz verbieten, sich weiter Professor nennen zu dürfen – zehn Jahre, nachdem er in den Ruhestand gegangen ist. Das Land, das ihm 2005 den Verdienstorden verliehen hatte, hält ihn für unwürdig, den Titel noch zu führen.

Bhakdi ist vielfach ausgezeichnet mit renommierten Preisen, doch sein letzter war Ende 2020 das "Goldene Brett vorm Kopf" für unwissenschaftliche Verharmlosung der Covid-19-Pandemie. Die ebenfalls nominierten "Querdenker"-Gründer Michael Ballweg und Verschwörungs-Influencer Attila Hildmann hatten keine Chance gegen den Wissenschaftler, der zu Corona so viel Unsinn verbreitet und nicht richtiggestellt hatte: Im schlimmsten Fall, so hatte er behauptet, würden 3.000 Menschen in Deutschland sterben, eine zweite Welle werde es nicht geben.

Hochschulverband: "Außergewöhnlicher Vorgang"

Das Verfahren gegen Bhakdi ist ein Präzedenzfall in der Corona-Krise und ein heikles Ansinnen: Bei einer Niederlage bekäme das Land einen Verstoß gegen Wissenschafts- und Meinungsfreiheit bescheinigt. Diesem Risiko wolle sich kaum jemand aussetzen, sagt Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbands, dem Berufsverband der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es sei ein "außergewöhnlicher Vorgang", wenn das Instrument zum Einsatz kommt.

Die Länder können die Frage individuell regeln. Das rheinland-pfälzische Hochschulgesetz sieht vor, dass auf Vorschlag der Hochschule das zuständige Ministerium die Weiterführung des Professorentitels wegen Unwürdigkeit untersagen kann. Nachdem Sucharit Bhakdis Anwalt damit an die Öffentlichkeit gegangen war, hat das Bildungsministerium bestätigt: Es werde ein Verfahren geführt. Mehr ist nicht zu hören – um das Verfahren nicht zu gefährden.

Die Regelung zur möglichen Aberkennung gibt es auch in anderen Bundesländern, davon wird aber nach Kenntnis des Hochschulverbands äußerst selten Gebrauch gemacht: "In den meisten Fällen belassen es die Universitäten bei einer inhaltlichen Distanzierung von fraglich anmutenden Äußerungen vereinzelter Hochschullehrer zur Corona-Politik, so absonderlich sie zuweilen auch klingen mögen."

Distanzierungen bereits nach "Fehlalarm"-Buch

Die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und die Albrecht-Christian-Universität Kiel, an denen Bhakdi jahrelang tätig war, waren bereits öffentlich auf Abstand gegangen. Da war noch das Buch "Corona Fehlalarm?" der Anlass, das Bhakdi mit seiner Frau, der Professorin Karina Reiß, veröffentlicht hat und das mit und trotz verkürzten und falschen Darstellungen zu Corona an die Spitze der Spiegel-Bestsellerliste kletterte.

Die Mediziner und Wissenschaftler der Mainzer Uni distanzierten sich "an entscheidenden Stellen von den von Herrn Bhakdi vertretenen Positionen, die wir als irreführend bis falsch betrachten": Die Kieler Uni kritisierte "tendenziöse Aussagen, die die wissenschaftliche Sorgfalt in Deutschland und international in Frage stellten".

Vom Hochschulverband heißt es, es sei "nachvollziehbar", dass sich eine Universität von einem Professor im Ruhestand distanziere, der zu den Protagonisten der "Querdenker"-Szene gehört. Doch für den weiteren Schritt, die Feststellung der Unwürdigkeit, seien die rechtlichen Hürden hoch.

Wissenschaftsfreiheit ist Grundrecht

Jaroch verweist darauf, dass Wissenschaftsfreiheit ein Grundrecht ist. Da spielt es keine Rolle, ob vertretene Positionen "richtig" oder "unrichtig" sind: "Wer den vermeintlich gesicherten Stand der Erkenntnis in Frage stellt, bewegt sich deshalb noch längst nicht außerhalb des Schutzes der grundgesetzlich verbürgten Wissenschaftsfreiheit."

Fehler, Irrtümer, Dissens und Anpassung gehören zur Wissenschaft – sie wird so oft erst vorangebracht. "Sie kennt auch keine autoritativ verkündeten Wahrheiten", so Jaroch. Ein Mäßigungsgebot aus dem Beamtenrecht hat für politische Meinungsäußerungen von Professorinnen und Professoren auch kaum Relevanz, wenn sie nicht für ihre Institution, sondern für sich selbst sprechen.

Die Freiheit von Forschung und Lehre bedeutet aber keinen Freibrief. Jaroch: "Sie endet dort, wo es gar nicht um ernsthafte methodengeleitete Erkenntnisprozesse geht, sondern lediglich um die Verschleierung politischer Agitation, beispielsweise Holocaustleugnung." Wenn es da zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommen sollte, könne dies einer Fortführung des Titels entgegenstehen.

Angeklagt wegen Volksverhetzung

Und Bhakdi erwartet ein Strafprozess wegen Volksverhetzung. In einem Interview mit einem Protagonisten der "Querdenker"-Szene hatte er zur weit gehenden Impfkampagne in Israel gesagt, "das Schlimme" an Juden sei: "Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie." Das Volk, das aus dem Land des Erzbösen geflohen sei, habe das eigene Land "in etwas verwandelt, was noch schlimmer ist, als Deutschland war. Sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt. Deshalb ist Israel jetzt living hell – die lebende Hölle." Nach Bekanntwerden hatten auch sein Verlag und der österreichische Sender Servus-TV die Zusammenarbeit beendet.

Weiteren Ärger handelte er sich im September 2021 mit einer Wahlkampfrede für die Partei Die Basis ein, deren Bundestagskandidat er war. Bhakdi brachte die Zulassung von Covid-19-Impfstoffen in Verbindung mit einem "Endziel" und sprach von einem zweiten Holocaust, wodurch das Schicksal von Jüdinnen und Juden unter der NS-Herrschaft verharmlost worden sein soll (lesen Sie mehr zur Anklage in diesem Text). Jaroch: "Sollte es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommen, könnte dies einer Fortführung des Titels entgegenstehen."

Zu den Grenzen von Wissenschaftsfreiheit gibt es höchstrichterliche Rechtsprechung. Sie greift nicht mehr, wenn ein Werk nicht auf "Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefassten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit verleiht", so das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung. Darauf hindeuten könnten "systematische Ausblendung von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissen, die die Auffassung des Autors in Frage stellen“.

Paradebeispiel für destruktive Wissenschaftskommunikation

Der Vorwurf wird Bhakdi heute häufig gemacht. Er findet sich auch in der Analyse "Die externe Kommunikation der Wissenschaft in der bisherigen Corona-Krise" des Instituts für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg. Bhakdi wird als markantestes Beispiel für "destruktive Wissenschaftskommunikation" aufgeführt: "Abgestützt durch die Reputation, die aus wissenschaftsbetrieblicher Position und/oder fachlicher Expertise oder Nähe bezogen wird, werden heterodoxe [andersgläubige, Anm. d. Red.] Positionen entwickelt und verbreitet, die sich aus einseitiger Auswahl und Deutung von Befunden ergeben und dadurch zum Teil oder in Gänze wissenschaftlich unseriös werden."

Die Zitate des Bundesverfassungsgerichts zur Einordnung von Wissenschaft wird Bhakdi auch von einer eigenen juristischen Niederlage kennen. Der von Bhakdi mitgegründete Verein "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V." (MWGFD) klagte vergebens gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit (lesen Sie dazu mehr hier), die Finanzrichter begründeten dies mit den Passagen der Verfassungsrichter. Bhakdi und der Verein lieferten auch Flyer mit Halb- und Desinformation zum Corona-Thema. die "Freiheitsboten" aus der "Querdenker"-Szene millionenfach in Briefkästen steckten (Einen Text zu diesen Kampagnen finden Sie hier.)

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Juraprofessor Schwab vertritt Bhakdi

Im Verfahren um den Professorentitel will Bhakdi offenbar versuchen, die Richtigkeit seiner Behauptungen zu belegen. Dabei vertritt ihn Martin Schwab, Spitzenkandidat der "Querdenker"-nahen Partei "Die Basis" bei der NRW-Wahl. Schwab hat laut seinen Worten "vier Seiten Schriftsatz abgefeuert, in denen ich angekündigt habe, wozu ich überall Beweis antreten werde". Bhakdis Äußerungen seien auch "nur so zu verstehen, dass er Angst hat, dass sich die Geschichte wiederholt".

Bhakdi-Beistand Schwab gehört selbst zu den radikalen Kritikern der Corona-Maßnahmen und ist Juraprofessor. Er ist durch verschiedene Äußerungen auch in Konflikt mit seiner Universität geraten. Dort in Bielefeld hat er bereits einen Rauswurf zu verschmerzen: Die Band der Juristischen Fakultät, in der er am Keyboard saß, wollte nicht mehr mit ihm spielen.

Doch auch die Uni-Leitung prüft beamtenrechtliche Konsequenzen und hat einen externen Verwaltungsrechtler mit einer Expertise beauftragt. Juradekanin Angelika Siehr sagte der "taz", Schwab sei prinzipiell kooperativ und wolle der Fakultät erkennbar nicht schaden. Meinungsfreiheit schließe auch grundsätzlich ein Recht auf Irrtum ein, es werde aber schwierig, "wenn Meinungsäußerungen auf eklatant falschen Tatsachenbehauptungen beruhen".

Bhakdi-Vertreter sieht in ihm nur den Anfang

Nun sieht Schwab Bhakdi "in Gefahr", wie er in einem Video sagt. Er bestätigte t-online allerdings, dass es im Verfahren ausschließlich um die Frage geht, ob sich Bhakdi Professor nennen darf. Weitere Folgen hätte ein Verbot zum Führen des Titels nicht.

Schwab stellt Bhakdi aber nur als den ersten von möglicherweise weiteren betroffenen Professoren dar: "Wir müssen uns geschlossen vor Sucharit Bhakdi stellen im Interesse von allen, die versuchen, hier gegen offizielle Narrative für die Wahrheit einzustehen", so Schwab im Video. "Wenn das Ministerium es schafft, einen Aufklärer abzuschießen, dann versuchen sie, nach und nach die nächsten vor die Flinte zu nehmen".

Schwab will kostenfrei für Bhakdi arbeiten, aber ein "schlagkräftiges Anwaltsteam" juristisch um den Titel kämpfen lassen. Das bedeutet: Spendenaufrufe in Sicht. "Es kann sein, dass das ohne finanziellen erheblichen Input nicht machbar ist."

Der wie ein netter, besorgter Opi auftretende Bhakdi hat viele Anhänger, die ihm nur zu gerne glauben, die empört auf die Anklage wegen Volksverhetzung reagiert haben. Sie werden ihn sicher auch im Kampf um seinen Professorentitel finanziell unterstützen.

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