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Bauernproteste: Interview mit Martin Häusling (Grüne) zu Agrardiesel


Grünen-Politiker kritisiert
"Das war ein Riesenfehler"

InterviewVon Tom Schmidtgen

12.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Berlin: So protestieren Landwirte gegen die Ampelregierung. (Quelle: t-online)

"Das war ein Riesenfehler", sagt EU-Politiker Martin Häusling über die Agrarkürzungen für die Bauern. Trotzdem ist er generell für die Streichung klimaschädlicher Subventionen.

In Deutschland gehen die Bauern auf die Straße, weil die Bundesregierung die Subventionen für Agrardiesel kürzen will. Doch vieles, was die Landwirte betrifft, wird in Brüssel entschieden. Wie blickt ein EU-Politiker auf die Lage in Deutschland? Martin Häusling, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und agrarpolitischer Sprecher seiner Fraktion, hält die Demonstrationen für maßlos überzogen.

Dennoch sieht er auch Fehler bei der Bundesregierung. "Die Kürzungen belasten die Landwirte überproportional", sagt Häusling. "Ich habe meinen Unwillen über die Beschlüsse direkt an unsere Leute in Berlin weitergegeben." Auch an einem grünen Minister findet Häusling Kritikpunkte.

t-online: Herr Häusling, Sie sind selbst Landwirt. Beteiligen Sie sich an der Protestwoche der Bauern?

Martin Häusling: Nein. Ich bin nur noch Freizeitbauer. Meine Söhne arbeiten aber als Landwirte und haben sich auch nicht beteiligt. Die finden – genau wie ich – den Protest überzogen, so wie er läuft.

Am Montag haben Sie in einer Mitteilung gewarnt, dass die Proteste sich radikalisieren und von rechts unterwandert werden könnten. Hat sich der Bauernverband aus Ihrer Sicht ausreichend distanziert?

Wenn ich mir manche Plakate anschaue und die Galgen sehe, dann nicht. Nur ein paar starke Worte reichen nicht. Dann muss man auch die Leute von den Demos rauswerfen.

Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte im t-online-Interview: "Kommt die geplante Kürzung beim Agrardiesel, ist der Vorschlag ein Sterben auf Raten." Hat er damit recht?

Nein, das ist maßlos überzogen. Das kreide ich dem Bauernverband auch an. Von den Kürzungen hängt nicht die Existenz der Bauern ab. Wir wissen doch alle, dass Diesel die kommenden Jahre – mit oder ohne Subventionen – nicht billiger wird. Es ist richtig, klimaschädliche Subventionen abzubauen. Aber dann muss man den Bauern auch Alternativen zum Diesel geben. Und es gibt noch keinen Elektrotrecker, der wird auch in den nächsten Jahren nicht kommen. Dafür brauchen wir mehr Forschung. Den Umbau schafft die Landwirtschaft nicht von allein.

Also können Sie die Verärgerung Ihrer Landwirtschaftskollegen schon nachvollziehen?

Ja, ich finde auch nicht gut, wie die Politik da agiert hat. Die Kürzungen belasten die Landwirte überproportional. Ich habe meinen Unwillen über die Beschlüsse direkt an unsere Leute in Berlin weitergegeben.

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(Quelle: dts Nachrichtenagentur/imago-images-bilder)

Zur Person

Martin Häusling ist gelernter Agrartechniker. Seit 1988 bewirtschaftet er den Kellerwaldhof nach Bioland-Richtlinien. Seit 15 Jahren sitzt Häusling für die Grünen im Europäischen Parlament. Für seine Fraktionen ist er agrarpolitischer Sprecher. Zuvor war er zwischen 2003 und 2009 Abgeordneter im Hessischen Landtag. Er ist Mitbegründer der hessischen Grünen.

Wie bewerten Sie das Agieren Ihres Parteifreunds und Landwirtschaftsministers Cem Özdemir? Er hat sich von vornherein gegen die Kürzungen ausgesprochen.

Ich bin Cem Özdemir dankbar, dass er sofort klargemacht hat, dass die Landwirte auf die Straßen gehen werden, wie übrigens alle grünen Agrarpolitiker. Andere haben sich schnell vom Acker gemacht. Im Haushaltsplan zahlen die Kürzungen eigentlich bei Finanzminister Lindner ein, nicht bei Cem.

Die Verhandler müssen doch die Position des Landwirtschaftsministers gekannt haben. Das heißt, er wurde offenbar übergangen. Spricht nicht unbedingt dafür, dass Özdemir ein starker Minister ist.

Ich kenne das aus Brüssel. Da verhandelt man bis tief in die Nacht und jeder ist froh, dass es nur noch ein Ende hat. Da sind die Landwirte am Ende hintenübergefallen. Ich will Robert Habeck gar nicht kritisieren, aber im Vordergrund stand wohl, dass man aus dem Haushaltsdilemma herauskommen muss. Es stand Spitz auf Knopf, ob die Regierung überhaupt noch handlungsfähig ist. Man hätte einige Bereiche nicht überproportional belasten dürfen. Das war ein Riesenfehler. Ich habe kurz danach mit Robert Habeck telefoniert und ihn auf die Gefahr hingewiesen. Ich hoffe, das ist jetzt angekommen.

Habeck war doch selbst einmal Landwirtschaftsminister. Er muss doch die Probleme der Landwirte kennen.

Das macht es noch unverständlicher.

Wie hart wird die schrittweise Abschaffung der Dieselsubventionen Ihren Hof treffen?

Uns Futterbaubetriebe, wie ich auch einen habe, trifft es härter. Viele meiner Felder liegen teilweise zehn Kilometer weit weg. Mein Betrieb verliert dadurch 5.000 bis 7.000 Euro im Jahr. Dazu kommen auch noch die Steigerungen beim CO2-Preis oder der höhere Mindestlohn. Das sind alles Mehrkosten. Jeder Euro, der im Betrieb fehlt, tut doppelt weh. Und Bauern können den Verlust nicht ausgleichen.

Warum nicht?

Der Preis wird durch den Marktpreis künstlich klein gehalten. Bauern haben keine Gewerkschaft, die höhere Preise verhandelt. Getreide wird beispielsweise über die Börse in Chicago gehandelt. Davon müssen wir wegkommen. Landwirte müssen wieder von ihrer Arbeit leben können und nicht vom Geld der Steuerzahler.

Bisher ist es anders. Das Einkommen von Landwirten besteht zur Hälfte aus Subventionen – vor allem aus Brüssel. Finden Sie das richtig?

Nein, natürlich nicht. Kein Landwirt will abhängig von Subventionen sein. Aber dahinter steht ein gesellschaftlicher Deal. Dafür bleiben die Nahrungsmittelpreise niedrig.

Die Inflation hat auch die Preise ansteigen lassen.

Das hat die Landwirte maßlos geärgert. Von den Preissteigerungen haben die Bauern nichts gehabt. Die Lebensmittelhändler haben gesagt, die Bauern fordern zu viel. Von einem Brötchen gehen aber gerade einmal drei Cent an den Getreidebauern. Die Preissteigerungen hat sich der Handel abgeschöpft.

Die meisten Entscheidungen der Landwirtschaft werden gar nicht hierzulande, sondern in Europa getroffen. Müssten die Bauern nicht eher in Brüssel stehen?

Wir könnten daran etwas ändern und die Gelder gezielter ausgeben. Bisher gibt es das meiste Geld für Hektar. Wer wenig Land hat, hat Pech. Das befördert den Strukturwandel immer weiter: Höfe sterben, andere werden immer größer.

Was müsste sich ändern?

Das ist kein Hexenwerk. Ein Beispiel: Wenn die Milchpreise nur zehn Cent höher wären, könnten die Milchbauern ohne Förderung leben. Aber der Preis wird von der Industrie künstlich klein gehalten, ein Stück weit unter dem Weltmarktpreis, damit die Molkereien die Milch weltweit exportieren können. Das muss aufhören.

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Wie sieht für Sie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aus?

Wir müssen den Pestizideinsatz massiv verringern. Sonst leidet die Biodiversität immer weiter. Langfristig müssen wir umstellen. Daran führt kein Weg vorbei. Eine französische Studie sagt sogar, dass 40 Prozent des aktuellen Pestizideinsatzes unsinnig ist. Aber es ist halt sehr einfach, Glyphosat über die Felder zu spritzen und schon ist der Dreck weg. Auf Dauer können wir uns das nicht leisten.

Wie wollen Sie das einer Berufsgruppe erklären, die bundesweit wegen ein paar Tausend Euro jährlich eine Woche lang auf die Straßen geht? Wenn das kommt, gehen die Landwirte erst recht auf die Barrikaden.

Aktuell gehen vor allem die auf die Straße, die von viel Chemie und "Alles bleibt so, wie es ist" profitieren. Ohne Einschnitte wird es nicht gehen. Darüber sind sich auch alle einig, von Umweltverbänden bis hin zum Bauernverband. Irgendwann wird die Gesellschaft fragen: Warum sollen wir dieses umweltzerstörerische System noch honorieren? Ich will den Bauern Geld dafür geben, dass sie ihre Höfe umwelt- und tiergerecht umbauen.

Wie geht es denn Ihrem Hof wirtschaftlich?

Der läuft. Das liegt aber daran, dass wir viel direkt vermarkten. Das kann nicht jeder Landwirt leisten. Ich beschäftige allein drei Personen für das Marketing. Ich habe eine eigene Molkerei für die Käseproduktion gebaut. So was kostet viel Geld. Aber dadurch haben wir uns langfristig unabhängig gemacht von den Milchpreisen. Wer das kann, sollte das machen. Gerade im Ökobereich ist das aber noch schwer. Wir müssen die Verbraucher dazu bringen, mehr Geld auszugeben, wenn die Qualität stimmt und das Produkt umweltgerecht ist. Solange das konventionelle Produkt die Hälfte kostet, funktioniert das nicht.

Verwendete Quellen
  • Videogespräch mit Martin Häusling
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