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Hohes Ansteckungsrisiko: Beengte Verhältnisse - Flüchtlingsheime als Corona-Hotspots?


Forscher warnen
Weiterer Ausbruch: Flüchtlingsheime könnten Corona-Hotspots werden

Von dpa
Aktualisiert am 20.05.2020Lesedauer: 3 Min.
Schwierige Lage: Mitarbeiter des Ordnungsamtes bei einer Flüchtlingsunterkunft der Zentralen Unterbringungseinrichtung ZUE Sankt Augustin I.Vergrößern des BildesSchwierige Lage: Mitarbeiter des Ordnungsamtes bei einer Flüchtlingsunterkunft der Zentralen Unterbringungseinrichtung ZUE Sankt Augustin I. (Quelle: Oliver Berg/dpa)
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In Frankfurt ist ein weiterer Corona-Ausbruch in einem Flüchtlingsheim festgestellt worden. Eine neue Studie warnt vor erheblichen Risiken. Forscher und Organisationen nehmen die Politik in die Pflicht.

Beengte Verhältnisse, viele Betten in einem Schlafraum, gemeinsam genutzte Sanitäranlagen und Sammelküche: Kommt es zu einer Corona-Infektion in einer Flüchtlingsunterkunft, ist einer Studie zufolge das Risiko einer Ansteckung etwa so hoch wie auf einem Kreuzfahrtschiff.

Virus kann sich in Unterkunft schnell ausbreiten

Das hat eine Untersuchung unter Leitung des Forschers Kayvan Bozorgmehr von der Uni Bielefeld ergeben. Das Virus könne sich rasch ausbreiten, wenn es einmal durch Bewohner oder Personal in die Unterkunft gelangt sei, sagt der Studienleiter der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Pro Asyl und die Flüchtlingsräte warnen schon länger vor erhöhten Risiken für die Bewohner der Unterkünfte. An diesem Mittwoch vermeldete die Stadt Frankfurt am Main 67 positive Tests in einer Unterkunft im Stadtteil Bockenheim. Zuvor hatten die Fälle von 165 Infizierten in einem Heim in St. Augustin bei Bonn Besorgnis ausgelöst. "In allen Bundesländern gibt es große Flüchtlingseinrichtungen. Ob dort die Pandemie ausbricht oder nicht, ist reiner Zufall", meint der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Es sei wichtig, dass sich nun erstmals eine wissenschaftliche Untersuchung speziell mit den Auswirkungen von Corona auf Flüchtlingsheime befasse.

23 Unterkünfte untersucht

Forscher des Kompetenznetzwerks Public Health Covid-19 hatten unter Bozorgmehrs Leitung 23 Unterkünfte in NRW, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt untersucht. Grundsätzlich sei die Datenbasis auf diesem Feld "prekär", bundesweite Statistiken zu Corona-Ausbrüchen gebe es nicht, schildert der Bielefelder Experte. Daher habe man die 1.367 bestätigten Infektionsfälle in den 23 Einrichtungen zur Grundlage genommen und diese in Bezug gesetzt zu der gesamten Bewohnerzahl – 6.083 Personen (Stand: 8. Mai).

Man könne die Studienergebnisse nicht auf alle Flüchtlingsheime übertragen, stellt Bozorgmehr klar. Es gebe auch zahlreiche Unterkünfte ohne Corona-Fälle. Aber Abstandsgebot und Kontaktauflagen könnten in den Heimen kaum eingehalten werden. Kleine Räume für mehrere Personen, Gemeinschaftsküchen, wenige Toiletten und Duschen für viele Bewohner seien in der Pandemie hochproblematische Lebensbedingungen.

Lage vergleichbar Kreuzfahrtschiffen

Die Untersuchung zeige: Tritt ein Infektionsfall auf, so stecken sich schnell viele weitere Personen an. Und zwar in vergleichbarer Höhe wie auf Kreuzfahrtschiffen. Dort hatten Corona-Ausbrüche mit teilweise Hunderten Infizierten und einzelnen Todesfällen mehrfach für Aufsehen gesorgt. Die strikte Trennung infizierter Flüchtlinge von Nicht-Infizierten sei aus räumlichen Gründen oft nicht möglich, erläutert Bozorgmehr.

Gelinge eine frühe Identifizierung und effektive Isolierung, seien die einzelnen Risiken in den Einrichtungen eher gering. Könnten aber Infizierte und Nicht-Infizierte nicht wirksam getrennt werden oder die Gesamteinrichtung werde unter Quarantäne gestellt, "erreichen wir das Risiko von Kreuzfahrtschiffen oder einen höheren Wert". Über die noch unveröffentlichte Studie hatten zunächst SWR und tagesschau.de berichtet.

Pro Asyl: "Gefahr unterschätzt"

Pro Asyl kritisiert: "Die Gefahr wird völlig unterschätzt." Bund und Länder müssten nun schnell dafür sorgen, dass große Einrichtungen "geleert" würden und man wegkomme von den Massenunterkünften. Man laufe dort sonst "sehenden Auges in eine Pandemie-Situation hinein, die vermeidbar wäre", unterstreicht Burkhardt.

Um das Ansteckungsrisiko zu senken, fordert auch der Flüchtlingsrat NRW eine dezentrale Unterbringung. Vorrangig sollten Menschen aus der Risikogruppe etwa in Ferienwohnungen oder Jugendherbergen untergebracht werden. "Entzerrung ist das Gebot der Stunde", sagt Geschäftsführerin Birgit Naujoks. Und: "Oft gibt es keine oder nicht genug Masken oder Desinfektionsmittel. Reinigungspersonal geht zum Teil nicht mehr in die Einrichtungen rein aus Angst vor einer Ansteckung."

Landesunterkunft war in Vollquarantäne

Die Heime werden Naujoks zufolge zu "Corona-Brutstätten" gemacht, wenn man sie mit allen Bewohnern in eine "Vollquarantäne" nehme. "Damit erhöht man die Ansteckungsgefahr für alle Flüchtlinge massiv, das Virus muss sich dann ja schnell ausbreiten." Auch in der Landesunterkunft in St. Augustin sei es zu einer Vollquarantäne gekommen, zudem in Bonn, Bielefeld, Marl und Euskirchen sowie in einigen Einrichtungen anderer Bundesländer.

"Man muss unbedingt gewährleisten, dass die Unterbringung der Flüchtlinge coronaschutzkonform ist", mahnt Bozorgmehr. Aus Infektionsschutzsicht heiße das: Einzelzimmer und keine weitere gemeinschaftliche Nutzung von Küche, Dusche und WC durch mehrere Familien gleichzeitig. "Wenn die Politik es ernst meint mit einer Eindämmung der Pandemie, muss sie effektive Ansätze für die Flüchtlingsheime in ihre Pläne einbauen. Flüchtlinge sind keine Marginalgruppe."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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