Eklat um Tönnies-Adressliste – Ministerium ordnete Verteilung an
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Auf den Corona-Ausbruch im Schlachthof Tönnies folgt der Dateneklat. Das Gesundheitsministerium wies per Erlass die Verteilung der Adressliste von Beschäftigten an. Datenschützer sind entsetzt.
Der mutmaßliche Datenskandal um die Adressliste der Tönnies-Beschäftigten weitet sich aus. Recherchen von t-online.de ergeben: Behörden in drei Regierungsbezirken reichten die Liste der vom Corona-Ausbruch betroffenen Beschäftigten am Standort Rheda-Wiedenbrück an Hunderte Pflegeeinrichtungen weiter. Alle drei Bezirksregierungen geben an: Das sei auf Anweisung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums geschehen. Datenschützer üben scharfe Kritik.
Grundlage war Erlass des Ministeriums
Das Gesundheitsministerium NRW bestätigte t-online.de: Die Weiterleitung der Liste an Pflegeeinrichtungen sei am 21. Juni per Erlass vom Ministerium angewiesen worden. Die Einrichtungen sollten auf dieser Grundlage "schnellstmöglich den erforderlichen Abgleich zu den Wohnorten ihrer Beschäftigten durchführen", um Überschneidungen schnellstmöglich zurückzumelden.
In den Regierungsbezirken Detmold, Arnsberg und Münster erreichte die Liste mit den Wohnanschriften von über 7.400 Tönnies-Beschäftigten daraufhin zahlreiche Empfänger. Allein in der Stadt Dortmund erhielten 164 Einrichtungen außerhalb von Behörden das Excel-Dokument, wie t-online.de berichtete. Auch der Kreis Warendorf und der Kreis Paderborn bestätigten t-online.de die dortige Weiterleitung an Einrichtungen. In dem Dokument sind zwar keine Namen enthalten, es lässt aber Rückschlüsse auf Beschäftigte zu.
Datenschutzbeauftragter prüft
Der Datenschutzbeauftragte des Landes NRW prüft anlässlich mehrerer Beratungsanfragen den Sachverhalt. Eine abschließende rechtliche Bewertung liegt noch nicht vor. Das Gesundheitsministerium gibt an, dass es die Weiterleitung der Listen vom Infektionsschutzgesetz und dem Wohn- und Teilhabegesetz gedeckt sehe. Die Datenschutzgrundverordnung stehe der Maßnahme nicht im Wege. Es sei besonderer Eilbedarf gegeben, um Bewohner der Einrichtungen vor der Corona-Pandemie zu schützen.
Datenschutz-Initiativen üben hingegen scharfe Kritik am Vorgehen. "Die Weitergabe der Listen ist eindeutig unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig", sagte Thilo Weichert, Sprecher der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, t-online.de. Dafür spiele es keine Rolle, dass Betroffene nicht namentlich genannt werden. Es handele sich um "eine umfangreiche Vorratsdatenübermittlung" von sensitiven Gesundheitsdaten. Geringer einschneidende Maßnahmen zum Schutz der Bewohner von Pflegeheimen seien möglich gewesen.
Auch die Stiftung Datenschutz äußert Zweifel an den Rechtsgrundlagen. "Wenn personenbezogene Daten an diverse private Einrichtungen verteilt werden, kann das unnötige Risiken für die Rechte der Betroffenen haben", sagte Stiftungssprecher Frederick Richter t-online.de. "Es muss geprüft werden, ob die Rechtsgrundlage eine solch großflächige Verteilung von Beschäftigtendaten an private Einrichtungen tatsächlich erlaubt." Die Kontaktnachverfolgung sei allein Sache der Gesundheitsämter.