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Corona-Talk bei Anne Will: "Mutante wird die Führung übernehmen"


Corona-Talk bei Anne Will
"Mutante wird die Führung übernehmen. Da bin ich sehr sicher"

Von Nina Jerzy

Aktualisiert am 25.01.2021Lesedauer: 5 Min.
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Anne Will im Gespräch mit Kanzleramtschef Helge Braun: Bei dem Talk ging es erneut um die Corona-Situation in Deutschland.Vergrößern des Bildes
Anne Will im Gespräch mit Kanzleramtschef Helge Braun: Bei dem Talk ging es erneut um die Corona-Situation in Deutschland. (Quelle: NDR/Wolfgang Borrs)

Angesichts fortbestehender Corona-Beschränkungen wird die Stimmung in der Bevölkerung schlechter, das glauben auch die Gäste von Anne Will. Und: Die Furcht vor der neuen Virusvariante wächst.

Mutanten, fehlender Impfstoff, Bund-Länder-Hickhack: Von Aufbruchstimmung ist Anfang 2021 im Kampf gegen das Coronavirus kaum etwas zu spüren. Stattdessen macht sich Ermattung breit, die Zustimmung für den staatlichen Anti-Corona-Kampf bröckelt. Weiter so oder ein radikaler "Null Covid"-Strategiewechsel? Darüber diskutierten am Sonntagabend die Gäste bei "Anne Will".

Die Gäste

  • Helge Braun (CDU), Chef des Bundeskanzleramts
  • Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
  • Uwe Janssens, Intensivmediziner und Chefarzt am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler
  • Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft
  • Vanessa Vu, Redakteurin "Zeit Online"

Die Positionen

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erwartet, dass sich die britische Variante des Coronavirus flächendeckend in ganz Deutschland ausbreiten wird. "Es ist bei uns im Land angekommen", sagte der promovierte Mediziner bei "Anne Will" angesichts erster Fälle in Krankenhäusern. "Deshalb wird sie irgendwann wie in anderen Ländern auch die Führung übernehmen." "Da sind Sie sicher?", fragte die Gastgeberin nach. "Da bin ich sehr sicher", bekräftigte Braun.

Umso wichtiger ist es laut Braun jetzt, nach den Bund-Länder-Beschlüssen vom Dienstag Kurs zu halten und die Infektionszahlen dauerhaft zu drücken, damit die Gesundheitsämter Infektionsketten wieder verlässlich nachvollziehen können. "Bei niedrigen Zahlen können wir dann die Stammvariante und die Mutante viel besser kontrollieren", bis die Menschen geimpft seien, sagte Braun und stellte für diesen Fall eine baldige Lockerung der Corona-Beschränkungen in Aussicht: "Dann haben wir in zwei, drei Wochen wirkliche Öffnungsperspektiven, weil es realistisch ist, deutlich unter (eine Inzidenz von) 50 zu kommen."

Doch kaum war der Beschluss für die nächsten Wochen gefasst, bröckelte der Zusammenhalt auch schon. Rheinland-Pfalz etwa wird die Grundschulen ab 1. Februar wieder für Wechselunterricht öffnen. Braun hat frühe Schulöffnungen als gefährlich kritisiert. Ist dies also nicht ein Verstoß gegen die gerade getroffene Vereinbarung? Malu Dreyer (SPD) ist sich da offenbar selbst nicht ganz sicher. Erst beharrte die zugeschaltete Ministerpräsidentin darauf, "im Geiste des Beschlusses interpretiert" zu haben.

Das klang kurz darauf nicht mehr ganz so harmonisch. "Wir setzen uns jetzt nicht krass gegen den Beschluss", meinte sie. Grundsätzlich bekannte sich die Ministerpräsidentin aber zum verlängerten und in Teilen verschärften Lockdown. "Es ist absolut verantwortungsvoll, was wir getan haben", sagte sie. Deutschland sei "insgesamt gut durch die Pandemie gekommen" und befinde sich in der zweiten Welle auf einem guten Weg.

"Wir sind nicht gut durchgekommen", widersprach der Internist Uwe Janssens. Er war bis Anfang des Jahres Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Den Lockdown zu verlängern sei sicher richtig gewesen, aber: "Wir vermissen nur klare Ziele, die über Februar hinausgehen." Die britische Mutante ist dem Experten zufolge erst der Anfang, weitere Variationen des Erregers aus Südafrika und Brasilien seien noch besorgniserregender. Sollten die bisherigen Impfstoffe gegen sie nicht schützen, wäre die "furchtbare" dritte Welle da. Janssens forderte, sich vom Ziel von 50 Neuinfektionen je 100.000 Menschen innerhalb einer Woche zu verabschieden. "Wir müssen das Ziel deutlich weiter unten ansiedeln", verlangte der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler.

Genau das verlangen die Verfechter der "Null Covid"-Kampagne, die Anfang der Woche Merkel vorgelegt wurde. Die Inzidenz soll mit harten Einschränkungen auf nahezu null gedrückt werden. Fallen die Neuinfektionen in einer Region unter zehn neue Fälle je 100.000 Einwohner, wechselt die Ampel für die Zone von rot auf grün und die Bürger haben wieder mehr Bewegungsfreiheit. "Im Grundsatz finde ich den Grundgedanken der 'Null Covid'-Strategie absolut richtig", sagte Kanzleramtschef Braun. Er und Dreyer bezweifelten jedoch, dass dies bei einem Land in der Mitte Europas mit offenen Grenzen funktionieren kann. Dreyer erwartete zudem keine große Unterstützung der Bürger für einen extremen "Null Covid"-Shutdown: "Ich glaube, dass dieses Ziel so ehrgeizig ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Bevölkerung da mitgehen kann."

Für "Zeit Online"-Redakteurin Vanessa Vu ist hingegen die ständige Verlängerung des aktuellen Lockdowns die größere Zumutung. "Wohin soll uns das als Gesellschaft führen? Die Leute sind zermürbt", warnte die prominente Verfechterin der "Null Covid"-Strategie, die am Donnerstag auch bei "Markus Lanz" eingeladen war.

Der Aufreger des Abends

Erklärter Gegner der "Null Covid"-Strategie war erwartungsgemäß Michael Hüther. Die niedrigsten Inzidenzzahlen seien natürlich die besten, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft: "Wir müssen aber auch realistisch sein und gucken, was gelingen kann." Mit Verweis auf den Epidemiologen Klaus Stöhr sagte er: "Wenn ich Herrn Stöhr und Andere zur Kenntnis nehme, dann ist eine Inzidenz von 100 eine, mit der wir auch irgendwie auskommen, also zumindest in dieser Witterungsperiode." Das sorgte bei Vu für ungläubiges Lachen.

"Das ist ja ein zynischer Umgang mit Menschenleben. Ich verstehe gar nicht, wie man so argumentieren kann", kommentierte die Journalistin. "Das ist ja eine Kapitulation vor diesem Virus." Hüther schlug mit selber Keule gegen die "Null Covid"-Anhängerin zurück. "Dann sage ich Ihnen, Sie nehmen die ganzen vielen Todesfälle in Kauf, die Sie mit der wirtschaftlichen Zerrüttung, die Sie mit dem Modell auslösen, verursachen."

Der Faktencheck

Muss Deutschland laut dem Epidemiologen Stöhr mit einer Inzidenz von 100 "auskommen", wie es Hüther dargestellt hat? Stöhr hatte die Strategie der Bundesregierung im Gespräch mit "n-tv.de" kritisiert. Ein Inzidenzwert von unter 50 im Winter sei hierzulande unter den aktuellen Bedingungen "illusorisch", sagte der Virologe, der früher bei der Weltgesundheitsorganisation WHO Forschungsgruppen zu Influenza und SARS geleitet hat. Er begründete sein Urteil mit dem Verweis auf vergleichbare Atemwegsinfektionserreger wie das Influenzavirus. Die zirkulierten im Winter auf einem ähnlichen Niveau wie Covid-19 – "und das, obwohl dagegen viel mehr Menschen immun sind als gegen Corona".

Allerdings sind sich Experten auch bei dieser Einschätzung uneins. "Die Auffassung Stöhrs steht im krassen Gegensatz zu einem Positionspapier, das mehr als 300 renommierte europäische Wissenschaftler unterstützen, unter ihnen Christian Drosten", berichtete "n-tv.de". Diese Forscher hatten eine grenzüberschreitende Strategie gefordert, um die Inzidenz auf sieben Fälle pro 100.000 Einwohner zu drücken. Das wäre quasi "Null Covid", urteilte "t-online".

Das Zitat des Abends

Ob Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit früheren Schulöffnungen nun den Bund-Länder-Beschluss "interpretieren" oder sich ihm "nicht krass" widersetzen – die Bundesrepublik ist nach Ansicht von Intensivmediziner Janssens in ganz schlechten Händen. 16 Ärzte plus eine Chefärztin Merkel würden an dem Patienten Deutschland herumdoktern – alle mit einer völlig anderen Meinung. Die Folge seien halbherzige Therapien, neue Infektionsschübe und resistente Keime. "Deshalb geht die Bevölkerung auch nicht mehr mit", warnte er angesichts sinkender Umfragewerte für die Anti-Corona-Maßnahmen. "Weil sie 16 verschiedene Meinungen hören und 16 verschiedene Therapieempfehlungen. Dann sagen sie: Dann gehe ich halt zu einem anderen Arzt."

Verwendete Quellen:

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