SPD-Chef bei "Markus Lanz" Walter-Borjans: "Das Brett ist dicker, als ich dachte"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zumindest kein Desaster-Auftritt: Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans schlug sich mit zurückhaltender Rhetorik recht wacker bei Markus Lanz – dafür überdrehte diesmal der Moderator gelegentlich bei seinen Provokations-Bemühungen.
Zunächst mal bescheinigte Markus Lanz seinem Gast Humor, weil der die Einladung mit den Worten "Ich hab mal wieder Selbstgeißelungsgelüste" angenommen habe. Eine typische Lanz-Finte zur Vorbereitung einer umso fieseren Falle? Diesmal nicht. Stattdessen bekam der SPD-Chef Norbert Walter-Borjans Gelegenheit, seine Einschätzung der potenziellen Unions-Kanzlerkandidaten auszubreiten.
Wenig überraschend fand er "beide auf unterschiedliche Art nicht geeignet". Armin Laschet sei "etwas unstet, wenn es um das Management geht", ihm fehle "eine geradlinige Haltung, das Organisatorische, Verlässliche". Markus Söder wiederum habe zwar "einen starken Auftritt" und wisse, welches Thema ihm einen Auftritt im "Morgenmagazin" bescheren könne, die "harte Arbeit dahinter" sei dagegen nicht seine große Stärke. Und der viel diskutierte "Brückenlockdown"? "Eine typisch Laschet’sche Wortschöpfung, als Befreiungsschlag geplant, die aber dann nicht zündet."
Etwas überraschend nach dieser von ihm selbst angebotenen Eröffnung warf Lanz dem SPD-Chef "Wahlkampf" vor. "Sie twittern: SPD-Minister sind besser. Was soll das sein?" Walter-Borjans: "Wahrheit." Als er auch die Verantwortung für die schleppende Auszahlung der Novemberhilfen nicht bei Olaf Scholz sah (der Finanzminister stelle das Geld nur zur Verfügung, die Verteilung sei Sache der Ressorts), wollte Lanz wissen, warum die SPD dann nicht die Regierung platzen lasse – mitten in der Pandemie und ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl keine ernst zu nehmende Frage. Sein folgendes Nachhaken, ob es "verantwortungsvoll" sei, jetzt Wahlkampf zu machen, passte auch nicht dazu. "Sie fragen mich doch, wen ich für verantwortlich halte", entgegnete Walter-Borjans trocken.
Warum profitiert die SPD nicht von den Korruptionsaffären in der Union?
Gehaltvoller geriet die zweite Gesprächsrunde mit dem SPD-Politiker, die Lanz nach Exkursen über Risikoabwägung (mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin) und Überversorgung auf Intensivstationen (mit dem Mediziner Uwe Janssens) kurz nach Mitternacht einläutete. "Warum profitiert die SPD nicht von den Masken- und Korruptionsaffären in der Union?", wandte er sich wieder an Norbert Walter-Borjans. "Das trifft die Regierung", versuchte der sich an einer Erklärung, das Abwenden der Wähler von CDU/CSU führe nicht zu einer Hinwendung zur SPD: "Der Automatismus ist zunächst mal: Entweder ich find die Regierung gut – Team Merkel. Davon profitiert der große Koalitionspartner. Oder ich hab ein Problem mit ihr – dann überleg ich mir, wer von der Opposition für mich infrage kommt."
Dass das SPD-Regierungshandeln in der Vergangenheit "natürlich auch Menschen enttäuscht" habe, räumte er aber ebenfalls ein und gestand, es sei schwierig, dieses Vertrauen zurückzugewinnen: "Das Brett ist dicker, als ich dachte." Womit das Gespräch wieder auf Olaf Scholz kam, diesmal in seiner Eigenschaft als Kanzlerkandidat. Es sei doch "eine gewisse Absurdität", dass ausgerechnet der von Walter-Borjans und Saskia Esken bei der Vorsitzendenwahl bezwungene Finanzminister die Partei nun in den Wahlkampf führen solle, warf die Journalistin Melanie Amann ein, das sei "schwer zu erklären".
Walter-Borjans versuchte es so: "Es war gut, dass die Mitglieder uns gewählt haben", denn "das Zusammenführen von Strömungen" sei ihnen gelungen. "Aber das Angebot für die Wählerinnen und Wähler, wer ist der Richtige, eine Regierung zu führen, kann durchaus an anderen Maßstäben gemessen werden." Er selbst sei nie mit dem Anspruch angetreten, Kanzlerkandidat zu werden. Amanns Replik "Sie treten ja nicht mal für den Bundestag an" führte zu einem erneuten Vergaloppieren bei Lanz: "Sie treten nicht mehr an?", fragte er, als glaube er, Walter-Borjans habe derzeit ein Bundestagsmandat inne. "Bitte?", fragte der zurück. "Sie treten nicht mehr an?", wiederholte Lanz. "Was heißt nicht mehr? Ich trete nicht an", stellte Walter-Borjans klar. Der Vorteil sei, dass er sich nicht für eigene Ambitionen "in irgendeine Abhängigkeit" geben müsse. Leicht kokett erwähnte er gleich zweimal ein kürzlich erschienenes Porträt der "Süddeutschen Zeitung" über ihn, das mit "Die Macht des Verzichts" überschrieben war. "Ich weiß, was damit gemeint ist", stellte er fest.
Immerhin eine schöne Formulierung konnte Lanz an diesem nicht brillanten Abend auch noch anbringen. "Kann man das so zusammenfassen: Olaf Scholz muss jetzt im Wahlkampf sehr rot tun, ohne rot zu werden?", piesackte er Walter-Borjans. Der verwies zwar auf die "hohe Übereinstimmung", die es zwischen den Parteivorsitzenden und dem Kanzlerkandidaten gebe und die "kein Spiel fürs Schaufenster" sei – aber die Farb-Pointe saß trotzdem.
- "Markus Lanz" vom 8.4.2021