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GdP-Vize Jörg Radek zu "Querdenken"-Einsätzen: "Wir haben jetzt im Einsatz andere Möglichkeiten"


Polizei und "Querdenken"
"Wir haben jetzt andere Möglichkeiten"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

03.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Jörg Radek: Der Hauptkommissar ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Das Interesse des Folterbeauftragten der UN an Polizeieinsätzen bei "Querdenken"-Demos wundert ihn.Vergrößern des Bildes
Jörg Radek: Der Hauptkommissar ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Das Interesse des Folterbeauftragten der UN an Polizeieinsätzen bei "Querdenken"-Demos wundert ihn. (Quelle: GdP / Hagen Immel, Imago Images, Montage t-online)

Zum zweiten Mal hat der UN-Sonderbeauftragte für Folter nach Demos der "Querdenker"-Szene Zweifel am Polizeieinsatz angemeldet. Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, erklärt, wie es zur Gewaltanwendung kommt.

Nach den Versammlungen der "Querdenken"-Szene in Berlin hat der UN-Sonderbeauftragte für Folter, der Rechtsanwalt Nils Melzer, Betroffene und Zeugen von möglicher Polizeigewalt um Hinweise gebeten. Es ist bereits das zweite Mal, dass der Schweizer nach "Querdenker"-Versammlungen Fragen an Deutschland richtet. t-online hat bei der Gewerkschaft der Polizei nachgefragt, wie man dort die Intervention sieht und wie die Polizei mit der "Querdenken"-Szene umgehen. Jörg Radek, der Vize-Vorsitzende, gibt im Interview Einblicke.

Herr Radek, hätten Sie vor einigen Wochen gewusst, wer der UN-Sonderberichterstatter über Folter ist?

Jörg Radek: Ich muss gestehen, ich kannte ihn nicht. Das war niemand, der mir in meiner Tätigkeit begegnet ist.

Und jetzt hat er sich nach dem Wochenende zum zweiten Mal nach Demos von "Querdenkern" eingeschaltet.

Ich sehe darin das Ergebnis einer Öffentlichkeitsarbeit, die die "Querdenken"-Bewegung macht – sowohl nach innen, um die Anhänger zu binden, aber auch nach außen. Das ist Bestandteil eines Manövers, von den massiven Widerständen gegen staatliche Institutionen abzulenken.

Es ist also nichts "schlimmer" geworden, dass er nun auf den Plan treten müsste?

Wir haben nach meiner Wahrnehmung beim Umgang der Kollegen mit solchen Lagen keine Auffälligkeiten, die seinen Einsatz irgendwie notwendig machen würden. Allein die Berliner Polizei hat im vergangenen Jahr 5.500 Versammlungslagen abgearbeitet, die Beamten legen hohe Professionalität an den Tag.

Glauben Sie denn, dass die Stelle eines Folterbeauftragten bei der UN mit dem Gedanken an so ein Geschehen wie am Wochenende in Berlin eingerichtet worden ist?

Ich kenne den Gründungsgedanken nicht. Es gibt global ein unterschiedliches Verständnis von Polizei und unterschiedliche Polizeikultur. Ich glaube nicht, dass man international mit einem Maßstab messen kann. Maßstab für mich ist unsere Verfassung, damit müssen unsere Eingriffsmaßnahmen im Einklang sein.



Also kein Unverständnis darüber, dass sich der Folterbeauftragte eingeschaltet hat?

Dazu habe ich eine zu hohe Meinung von der UN. Da wird man sich Gedanken gemacht haben, als man diese Institutionen eingerichtet hat. Eine solche überstaatliche Institution muss aber auch darauf achten, dass sie nicht zum Instrument für Ablenkungsmanöver wird und sich nicht instrumentalisieren lässt. Da muss man sich im Klaren sein, dass die Bewegung die Verfassung verändern will, und zwar nicht zum Wohle aller. Es ist gut, dass der Berliner Innensenator mit Herrn Melzer gesprochen hat, um Situation und Demonstrationsgeschehen zu verdeutlichen.

Ändert es denn etwas für eingesetzte Beamte, wenn “Querdenker” ihnen Sätze wie “Die UN beobachtet Euch!” zubrüllen?

Die Kollegen können sehr gut damit umgehen, wenn irgendwas gebrüllt wird. Gerade die Berliner Kollegen sind gewohnt, dass man sie beschimpft, da rufen schon mal 5.000: “Ganz Berlin hasst die Polizei”. Ich glaube, die Kollegen können das gut ins Verhältnis der Gesamtbevölkerung setzen, in der es großen gesellschaftlichen Rückhalt gibt. Über 80 Prozent der Deutschen stehen zur Polizei. Belastender als solche Rufe ist etwas anderes.

Was?

Bei Versammlungen aus der "Querdenker"-Szene hat sich entwickelt, dass von Sprechern oder den Veranstaltern von der Bühne Klarnamen von Einsatzverantwortlichen genannt werden mit Vorschlägen, doch ein paar Tage später mal bei denen zum Diskutieren vorbeizugehen. Es wird sehr subtil Druck ausgeübt. Das fließt aber auch bei der Beurteilung über den Anmelder bei der nächsten Veranstaltung mit ein.

In der Öffentlichkeit gab es schon früh die Forderung nach konsequenterem Vorgehen der Polizei.

Polizei vorzuführen und Kritik am polizeilichen Einsatz zu provozieren ist durchaus Teil der "Querdenken"-Strategie gewesen. Veranstalter haben meist nicht mal das Kooperationsgespräch mit der Polizei gesucht. Für die Polizei ist es jedes Mal eine Abwägungsentscheidung, lasse ich jemand ohne Maske gewähren oder greife ich ein, während wir die Versammlung schützen. Da war Unverständnis manchmal groß: Warum geht ihr jetzt nicht mit Wasserwerfern vor?

Und warum nicht?

Das wäre in den jeweiligen Situationen unverhältnismäßig gewesen. Und weil sich solche Fälle summiert haben, ist die Polizei in den Verdacht geraten, die "Querdenker"-Bewegung mit Samthandschuhen anzufassen. Das hat etwas damit zu tun, dass wir immer verhältnismäßig vorgehen müssen.

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Die Polizei stand gefühlt Spalier.

Wenn ich als Polizei gegen angemeldete Versammlungen mit sehr vielen Teilnehmern mit meiner Personalstärke nicht gegenhalten kann, stehe ich als Entscheidungsträger vor der Frage: Lasse ich die mir in der Masse überlegene Gruppe gewähren, begleite sie und greife nur ein, wo schwere Straftaten vorbereitet werden oder versuche ich noch mehr Kräfte heranzuführen für eine Auseinandersetzung. Man hat sich darauf konzentriert, massive Verstöße zu verhindern.

Und jetzt?

Bei den jüngsten Demonstrationen kann man sehen, wie sich taktisch mit der "Querdenken"-Bewegung auseinandergesetzt wird. Die Polizei weiß mittlerweile, wer die Rädelsführer sind. Und man hat auch bei einer hohen Anzahl von Rädelsführern freiheitsentziehende Maßnahmen getroffen.

Rädelsführer werden rausgezogen.

Das kommt häufiger vor. Wir haben jetzt auch wesentlich mehr Ermittlungsverfahren, weil bereits die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung justiziabel sein kann. Da ist im Zusammenspiel mit den Anmeldungsbehörden und den Gerichten ein Lernprozess durchlaufen worden, mit der Bewegung umzugehen. Das führt jetzt zum Ergebnis, dass sie sich buchstäblich verliert, weil die Teilnehmer orientierungslos durch die Großstadt laufen.

Und weniger mit Samthandschuhen angefasst werden?

Seitdem Gerichte nach den Erfahrungen der Vergangenheit solche Versammlungen verbieten, und da wir als Polizei verbotene Veranstaltungen zu unterbinden haben, gibt es für uns im Einsatz andere Möglichkeiten, Zwangsmittel einzusetzen. So wie wir es am Wochenende in Berlin gesehen haben.

Mit Bildern, die manche erschrecken.

Als Bürger ist man nicht unbedingt vertraut mit dem polizeilichen Handeln. Jetzt nehmen Leute, die sich bisher für Demos nicht interessiert haben, Eskalationsstufen wahr. Da wird jemand Bestandteil einer Gruppe und gerät ins Reizgas, weil er sich hat mitreißen lassen, ohne zu erkennen, dass er als Mittel zum Zweck genutzt wird. Menschen, die nur ihr Grundrecht auf Meinungsäußerung wahrnehmen wollten, werden von Veranstaltern missbraucht. Wir als Polizei versuchen auch zu erläutern, dass wir uns an Gesetz und Recht halten.

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Macht sich jemand steif, um eine Fesselung zu verhindern, können Schläge auf einen am Boden Liegenden legitimes Mittel sein, um den Widerstand zu lösen. Aber die Polizei selbst ermittelt wegen mancher Szenen in Videos.

Ich bin inzwischen bei Videoaufzeichnungen sehr skeptisch. Sie zeigen oft nur einen Ausschnitt des Geschehens, nicht die Entstehungsgeschichte und nicht den Anlass. Ich will nichts verteidigen, ich will nur versuchen, es zu objektivieren. Eine Videosequenz kann richtig sein, aber auch Geschehen sehr verzerrt abbilden. Da würde ich nie eine Bewertung vornehmen.

Auch nicht, wenn man sieht, wie ein Polizist einem Mann, der von zwei Beamten geschleift wird, das Knie gegen den Kopf stößt?

Ich mache nicht den Bewerter von Einsatzlagen und sage aus der Ferne, das hätte er anders machen müssen. Man sollte es nicht nur beurteilen anhand des Videomitschnitts. Es ist aber klar: Wenn es polizeiliche Übergriffe gegeben hat, müssen wir die ausermitteln, und das muss dann auch Konsequenzen haben. Wir wollen ja auch besser werden.

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Können sich Bürger denn da sicher sein? Der Polizist mit dem Kniestoß ist nach Tagesspiegel-Recherchen ein Zugführer, der mehrfach mit unverhältnismäßiger Gewalt aufgefallen sein soll.

Ich habe auch nur die Informationen aus der Zeitung, aber ich denke, dass der Bürger sich sicher sein kann, dass das Verhalten überprüft wird. Und ich denke, dass auch die Politik das mit dem ansonsten sehr wachsamen Auge auf die Polizei genau verfolgt. Umgekehrt ist es aber auch mittlerweile alltäglich geworden, dass nach Einsatzmaßnahmen sofort eine Gegenanzeige wegen Körperverletzung im Amt erhoben wird.

“Querdenker” behaupten regelmäßig, die Polizei sei insgeheim auf ihrer Seite.

Das ist eine Vermutung, die ich als Polizist in meinem Berufsleben schon häufig erlebt habe, sei es bei der Begleitung von Auswärtsfans bei Fußballspielen oder bei Anti-AKW-Demos. Um dies klarzustellen: Die Polizei schützt die Versammlung, sie schützt nicht die auf der Versammlung geäußerten Meinungen. Wir richten auch unsere Eingriffsmaßnahmen nicht danach aus, welches Ziel eine Versammlung hat, sondern uns geht es darum, Versammlungsrecht durchzusetzen.



Am Samstag hat ein Beamter aus NRW in seiner Uniform mit der „Querdenker“-Szene demonstriert, ein Verein “Polizisten für Aufklärung” aus der Szene feiert den “mutigen Kollegen”.

Um in Deutschland einen Verein zu gründen, braucht es sieben Leute. Ich weiß, dass in diesen Fällen der jeweilige Dienstherr sehr genau prüft, welche dienstrechtlichen Folgen das hat. Das gilt selbst für Ruhestandsbeamte.

Danke für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Jörg Radek
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