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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Offensive Das Ost-Problem der Grünen

Die Grünen und der Osten – eine Liebesgeschichte war das nie. Doch aktuell läuft es für die Partei dort besonders schlecht. Die Parteispitze will das ändern und startet eine Offensive.
Sie sind raus. Nur 3,2 Prozent holten die Grünen bei der Landtagswahl in Thüringen im vergangenen September – und flogen damit aus dem Landtag. Nur wenige Wochen später: 4,1 Prozent in Brandenburg. Wieder waren die Grünen raus – Niederlage auf ganzer Linie. Auch bei der Bundestagswahl schnitten die Grünen im Osten nicht gut ab. Bei der Partei wächst seitdem die Erkenntnis: Sie hat ein Ostproblem.
Die Grünen sind im Osten Deutschlands traditionell schwächer als im Westen. Auch der Abwärtstrend der Partei hat sich in den vergangenen Jahren dort noch einmal stärker widergespiegelt als im Westen. Hinzu kommt aktuell: Mit dem Erstarken der Linken lauert im Osten eine neue Gefahr. Denn die Linke fischt im selben Wählermilieu. Die grüne Parteispitze, die bundesweit mit schlechten Umfragewerten zu kämpfen hat, will im Osten nun zu neuer Stärke finden. Am Dienstag hat sie in Berlin ihre Pläne dazu präsentiert.
Parteichef öffnet Büro in Brandenburg
Parteichef Felix Banaszak formuliert das Problem seiner Partei in den ostdeutschen Bundesländern so: Die Grünen seien in den vergangenen Jahren noch stärker als früher als eine "sehr westdeutsch geprägte", von den Lebensrealitäten im Osten weit entfernte Partei wahrgenommen worden. Er gibt das Ziel vor: mehr Präsenz zeigen.
Doch wie soll das gehen? Die Partei will ihre Mitglieder in Ost und West stärker vernetzen. Im September veranstalten die Grünen einen Ostkongress zum gemeinsamen Austausch. Ein neuer Beirat, in dem auch externe Mitglieder sitzen sollen, soll weitere Ideen und Anregungen entwickeln. In einem neuen Papier der Partei heißt es, ostdeutsche Köpfe sollten an entscheidenden Stellen mitarbeiten, eine feste Quote solle es aber nicht geben.
Banaszak, im Westen geboren und aufgewachsen, versucht es außerdem mit einer ungewöhnlichen Idee. Der 35 Jahre alte Duisburger eröffnet ein Büro in Brandenburg an der Havel – also in dem Bundesland, in dem die Partei vergangenes Jahr aus dem Landtag geflogen ist. Der Westdeutsche aus Nordrhein-Westfalen mit einem symbolischen Wahlkreisbüro im Osten – wie gut das bei den Menschen vor Ort ankommen wird, ist offen.
Experte: "Schwer, sich Gehör zu verschaffen"
Das Problem der Partei im Osten Deutschlands ist jedenfalls grundsätzlicher Natur – obwohl sie mit "Bündnis 90" sogar die Wiedervereinigung im Namen trägt. Die Grünen seien aus einem spezifischen Milieu in der alten Bundesrepublik hervorgegangen, erklärt der Parteienforscher Benjamin Höhne, der an der TU Chemnitz lehrt. "Dieses Milieu hat man mit dem Begriff des Postmaterialismus beschrieben", so Höhne. Damit war gemeint: Es habe einen Wertewandel in der Gesellschaft gegeben – "weg von materiellen Werten hin zur Selbstverwirklichung, zum Einsetzen für den Umweltschutz, Feminismus und Frieden".
Diese postmateriellen Wertvorstellungen basierten darauf, dass materielle Ideale im Westen realisiert werden konnten. "Es gab Wohlstand für alle, der Sozialstaat wurde ausgebaut. Man hatte sein Häuschen, konnte regelmäßig in den Urlaub fliegen", sagt der Experte. Ganz anders sah es nach 1990 in Ostdeutschland aus. Dies sei eine Zeit von Transformation und Massenarbeitslosigkeit gewesen. Also: alles andere als günstige Bedingungen für grüne Werte. Hinzu komme, dass die Grünen auch personell westlich dominiert seien. "Die Ostgrünen haben es da schwer, sich Gehör zu verschaffen."
Das belegt auch ein Blick in den Bundesvorstand der Partei. Hier ist das einzige ostdeutsche Gesicht Heiko Knopf. Der 36-Jährige aus Jena ist seit Februar 2022 stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen. "Ich bin sehr stolz darauf, in Thüringen geboren zu sein", sagt er bei der Vorstellung des Ostpapiers seiner Partei. Mit Blick auf die neue Offensive seiner Partei spricht er von einem "Marathon" – ein "Sprint" werde es gewiss nicht.
Mit dem neuen Vorstandsbeirat Bündnisgrüner Osten, den die Partei nun plant, solle es künftig nicht länger dem Zufall überlassen werden, ob ostdeutsche Perspektiven mitgedacht werden oder nicht, betont Knopf. Noch wirkt das neue Gremium aber abstrakt, es gibt einige offene Fragen. So ist noch unklar, wer darin überhaupt Mitglied sein wird. Auch wer die Mitglieder nach welchen Kriterien auswählt, hat die Partei bisher nicht bekannt gegeben.
Insgesamt lag die Zahl der Grünen-Mitglieder in Ostdeutschland Ende 2024 nach Angaben der Partei bei 12.542 – Berlin nicht mitgerechnet. In ganz Deutschland zählte die Partei zu dem Zeitpunkt 150.000 Mitglieder, mittlerweile sind noch einmal rund 30.000 hinzugekommen. Gemessen am Anteil der Ostdeutschen in der Gesamtbevölkerung (15 Prozent) sind ostdeutsche Mitglieder in der Partei damit unterrepräsentiert.
Banaszak ist sich bewusst: Mehr Präsenz allein wird nicht ausreichen, um die Partei in den ostdeutschen Bundesländern nach vorn zu bringen. Auch wie an Themen herangegangen wird, müsse überdacht werden. Als Beispiel nennt er den Klima- und Umweltschutz. Der damit einhergehende Umbau stoße vielleicht im Osten auf größere Skepsis, weil man dort einen radikalen Umbau schon einmal erlebt und nicht als besonders erfolgreich wahrgenommen habe. Auch die unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse müsse man berücksichtigen, sagt der Parteichef. Und beim Thema Ukraine dürfe man nicht mit dem "reflexartigen Vorwurf der Kreml- oder Russlandnähe oder gar Putinnähe" antworten.
Bedrohung von links
Thematisch haben die Grünen allerdings zuletzt Konkurrenz bekommen – nämlich von der Linken. Nach dem Ausscheiden von Sahra Wagenknecht konzentriert sich die Partei mit ihrem Shootingstar Heidi Reichinnek wieder auf ihren linken Kern – grenzt sich viel schärfer von rechts ab. Ähnlich wie die Grünen setzen die Linken auf Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Und damit hat die Linke bei der Bundestagswahl Erfolg gehabt – zum Nachteil der Grünen. Schaut man sich an, an welche Partei die Grünen Wählerinnen und Wähler bei der Abstimmung im Januar verloren haben, liegt die Linke mit Abstand auf dem ersten Platz.
Das ist bundesweit – aber besonders im Osten – für die Grünen ein Problem. Denn in Ostdeutschland sind sie besonders in den eher linken Universitätsstädten stark, während sie in westdeutschen Bundesländern wie Baden-Württemberg auch in der Fläche Zuspruch erfahren. In den Universitätsstädten gebe es ähnlich links-grüne Milieus wie im Westen, sagt Politikwissenschaftler Höhne. "Gerade junge Menschen aus Universitätsstädten haben bei der letzten Bundestagswahl ihre politische Heimat bei den Linken und nicht bei den Grünen gesehen." Mit dem Erstarken der Linken verlieren die Grünen im Osten weiteren Rückhalt.
Ob die Grünen mit ihrem Ost-Vorstoß Erfolg haben werden, wird sich wohl erst im kommenden Jahr richtig zeigen. Dann wird in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Dann entscheiden die Wählerinnen und Wähler, ob sich das Schicksal, das die Partei in Thüringen und Brandenburg erlitten hat, wiederholt – und sie aus dem Landtag fliegt. Zumindest der Blick auf aktuelle Umfragen zeigt: Ein unwahrscheinliches Szenario ist das nicht.
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