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Jens Spahn: Der Mann, der an sich selbst gescheitert ist


Bilanz von Jens Spahn
Der Luftikus

Von Sebastian Späth

15.11.2021Lesedauer: 8 Min.
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Gesundheitsminister Jens Spahn: Um den einstigen CDU-Hoffnungsträger steht es alles andere als gut.Vergrößern des Bildes
Gesundheitsminister Jens Spahn: Um den einstigen CDU-Hoffnungsträger steht es alles andere als gut. (Quelle: imago-images-bilder)

Vor wenigen Monaten sondierte Jens Spahn noch seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur, nun steht er vor den Scherben seiner politischen Karriere. Wie konnte es bloß so weit kommen?

Vor drei Wochen wollte Jens Spahn mal wieder einen Akzent setzen. Der Corona-Ausnahmezustand, also die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite", könne im November auslaufen, verkündete der Gesundheitsminister im Fernsehen.

Spahns implizite Botschaft: Ich bin zwar bald nicht mehr für das Krisenmanagement verantwortlich und habe in den vergangenen anderthalb Jahren auch nicht immer alles richtig gemacht. Aber immerhin: Zum Ende meiner Amtszeit haben wir das Schlimmste hinter uns gebracht.

Es war so etwas wie Spahns Vermächtnis. Und, nun ja, ziemlich schlechtes Timing. Denn schnell entpuppte sich der Vorstoß als grobe Fehleinschätzung. Kurz darauf baute sich auf, was bereits absehbar war: die bislang größte Corona-Welle.

Aber die kolossale Fehleinschätzung war nicht Spahns einziges Problem. Denn aus seiner Ankündigung folgte nicht viel. Sein Ministerium hätte ein Gesetz vorbereiten müssen, um das Krisenmanagement künftig zu regeln. Doch die werdende Ampelkoalition klagt, es sei nichts passiert.

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Es ist nicht das erste Mal seit Beginn der Pandemie, dass Spahn große Ankündigungen macht und dann nicht, oder nur unzureichend, liefert. Oder dass sich Vorhaben in der Realität als deutlich komplexer herausstellen als vom Minister zuvor schlagzeilengerecht dargestellt.

Die vergangenen Monate gehören zu den schlimmsten, die die CDU bislang erlebt hat. Aber nur wenige ihrer Spitzenvertreter hat es dazu noch so schlimm erwischt wie Spahn. Um den einstigen CDU-Hoffnungsträger steht es alles andere als gut. Der Mann, der vor nicht allzu langer Zeit seine Chancen auf eine Kanzlerkandidatur sondierte, tritt nun im Rennen um den Chefposten der Partei gar nicht erst an. Auch die Chancen, seiner Amtszeit als Bundesgesundheitsminister doch noch eine finale, positive Wende zu geben, schwinden dahin.

Dabei sah alles mal ganz anders aus für Spahn. Die Krise im Land schien wie ein Beschleuniger für seine Karriere zu wirken.

Es gab eine Zeit, sie ist gerade mal ein gutes Jahr her, da wurde Deutschland für sein Corona-Krisenmanagement international bewundert. Die Bundesrepublik steuerte gut durch die Krise, so schien es.

Das zahlte auch auf die Persönlichkeitswerte von Jens Spahn ein, dem wichtigsten Minister der Pandemie. Für kurze Zeit stieg der 41-Jährige sogar zum beliebtesten Politiker auf. Was schon damals fast an ein Wunder grenzte, wenn man bedenkt, wie sehr der als konservativer Haudegen geltende Münsterländer in den Jahren zuvor die Bevölkerung spaltete – mit Stimmungsmache zur Bewahrung der deutschen Sprache, zur Leitkultur, einem Islamgesetz, Burkaverbot, mit Aussagen wie mit Hartz IV habe "jeder das, was er zum Leben braucht". Dann war da auch noch die merkwürdige Nähe zu Donald Trumps Botschafter in Berlin, Richard Grenell, die Spahn öffentlich pflegte.

Doch die hohen Beliebtheitswerte von Spahn sind längst Vergangenheit. Denn auf den rasanten Aufstieg folgte der krachende Absturz. Die Corona-Krise hat den Minister entzaubert. Nach Lage der Dinge kann Spahn im Moment froh sein, wenn er bald Fraktionsvize seiner Partei im Bundestag wird. Es gibt in der Opposition ja nicht mehr allzu viel zu verteilen. Damit steht Spahn vor den Scherben seiner politischen Karriere, die er seit mehr als 20 Jahren mit aller Macht vorantreibt.

Was sich derzeit allerdings aufdrängt, ist das Bild eines Mannes, der ein ums andere Mal Dinge ankündigte, ohne ihre Umsetzbarkeit zu prüfen; der Politik zum Zweck der eigenen Karriere betreibt, nicht für das Wohlergehen der Allgemeinheit; dem es zu selten um die Inhalte geht und zu häufig um den eigenen Imagegewinn.

Ein politischer Luftikus, der in der Krise auch an sich selbst und seinem Profilierungsdrang scheiterte. Inzwischen steht kaum ein Name so sehr für den Verdruss der Bürger über die Politik wie der von Jens Spahn. Wie also konnte es so weit kommen? Wie hat sich der kurzzeitige Liebling der Nation nur so schnell selbst zerlegt? Die Antworten liefern die diversen Affären dieser Krise.

Das Masken-Desaster

Das Ausmaß der Corona-Infektionswelle Anfang 2020 hat Deutschland wie viele andere Länder überrascht. Schnell entstand in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, bei den ambulanten Pflegediensten und überall sonst im Gesundheitswesen ein eklatanter Mangel an Masken und anderen persönlichen Schutzausrüstungen, die größtenteils im Ausland hergestellt wurden.

Ein Notstand, der den Minister zu beherztem Handeln veranlasste. Aus heutiger Sicht aber vor allem eine Überreaktion mit gewaltigen Kosten für die Steuerzahler.

"Wer nach der Krise nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat alles verkehrt gemacht", polterte Spahns CDU-Kollege Karl-Josef Laumann, der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, bei einer Pressekonferenz im April 2020 und nahm seine Beamten in Schutz, die für die Beschaffung von Schutzmaßnahmen zuständig waren. Verteidigte damit das ungewöhnliche Vorgehen, dass die Politik in der Krise nicht auf die Kosten schaue, sondern versuche Tempo zu machen.

Gut möglich, dass der Mister aus NRW seine Worte, die sich im Nachhinein wie eine Rechtfertigung für Spahn lesen, anders gewählt hätte, wäre zum damaligen Zeitpunkt schon bekannt gewesen, in welchem Ausmaß sein Parteikollege bei der Maskenbeschaffung das Geld der Steuerzahler aus dem Fenster schmiss.

Denn seit diesem Sommer hat Spahn tatsächlich den Rechnungshof am Hals. Und die Vorwürfe, sie sich gegen ihn richten, sind alles andere als eine Lappalie. Es geht um Steuergeldverschwendung in Milliardenhöhe wegen "massiver Überbeschaffung" an Masken.

Die habe knapp sieben Milliarden Euro gekostet, heißt es im Bericht des Rechnungshofs.

"In der Not Löcher zu stopfen, ist teurer", verteidigte Spahn die Milliardenkosten. Was jedoch kein Argument dafür sein kann, dass ihm und seinem Ministerium die Maskenbeschaffung, die er offenbar über viele Kanäle parallel laufen ließ, entglitt. Im Rahmen eines sogenannten "Open-House-Verfahrens" garantierte Spahns Ministerium Händlern die unbegrenzte Abnahme von Masken zu festen Preisen – und zwar zu einer Zeit, als diese weltweit besonders teuer waren und ohne dabei den realen Bedarf zu berücksichtigen.

Das war aber noch nicht der Höhepunkt dessen, was inzwischen als "Maskenaffäre" bekannt ist. Erreicht wurde er erst, als der "Spiegel" herausfand, welch äußerst fragwürdiger Methode sich Spahn bediente, um Hunderte Millionen nutzloser Masken unbemerkt verschwinden zu lassen. Das Gesundheitsministerium hatte diese im Frühjahr 2020 in China gekauft und wollte nun die nächste Steuergeldverschwendung unterschlagen.

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Spahn hatte vor, die wertlosen Masken in die sogenannte Nationale Reserve Gesundheitsschutz des Bundes wandern zu lassen. Dort, so die Hoffnung des Ministers, sollten sie bis zum Erreichen ihres Verfallsdatums liegen und danach eben einfach entsorgt werden. Den anderen Teil der Masken, die nicht völlig nutzlos waren, aber nur unzureichenden Schutz boten, versuchte das Gesundheitsministerium immer wieder, in Sonderaktionen an Hartz-IV-Empfänger, Behinderte oder Obdachlose zu verteilen. Getreu dem perfiden Motto: Für die reicht es doch.

Wenn Worte und Taten nicht zusammenpassen

Ein besonders peinlicher Vorfall ereignete sich im Zusammenhang mit Spahns eigener Covid-Erkrankung: Wie der "Spiegel" öffentlich machte, war Spahn am 20. Oktober nach Leipzig zu einem privaten Spendendinner mit Unternehmern gefahren, um für seinen Kreisverband Borken Geld zu sammeln. Dabei hatte er noch am Morgen desselben Tages in einem Interview die Republik ermahnt: "Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt. Nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party im Klub." Als wäre dieser eklatante Widerspruch zwischen Worten und Taten des Ministers nicht bereits genug, wurde Spahn tags darauf auch noch positiv auf Corona getestet.

Der offenbar nicht immer vorhandene Bezug Spahns zur Realität zeigte sich auch an einem anderen Beispiel: Während viele Deutsche in der Krise um ihre berufliche oder wirtschaftliche Existenz bangten, kaufte sich der Minister eine Villa in einem sehr guten Stadtteil in Berlin.

Blankoscheck für Betrüger

Auch beim Thema Schnelltests lief es nicht wirklich gut für den Gesundheitsminister: Mitte Februar verkündete er auf Twitter: "Ab 1. März sollen alle Bürger kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests getestet werden können. Sie sind mittlerweile ausreichend am Markt verfügbar." Spahn stand zum damaligen Zeitpunkt bereits mächtig unter Druck, Schnelltests gab es seit Monaten, in Österreich waren sie zum damaligen Zeitpunkt schon im Einsatz und machten dort eine Lockerung des Lockdowns möglich.

Für seine Ankündigung holte sich Spahn dann allerdings eine richtige Abfuhr von Angela Merkel ein. Denn zu viele Fragen waren noch offen: Unter anderem war nicht geklärt, wie genau die Schnelltests in den Ländern organisiert werden sollen und wie viele Tests es für jeden überhaupt geben sollte.

Eine Aktion, die Spahn den Spitznamen "Ankündigungsminister" einbrachte, ein Etikett, das seither an ihm haftet. Die Schnelltests kamen dann doch eine gute Woche später. Trotzdem blieb hängen: Das mit den Schnelltests hat er auch nicht hinbekommen.

Und es wurde auch nicht wirklich besser: Ein weiterer Punkt auf der Liste von Spahns Fehlern betrifft die Corona-Schnelltestzentren, wo die Bürgerinnen und Bürger sich auf Kosten des Staates gratis auf Corona testen lassen konnten. Die Testzentren wurden in der Regel von privaten Anbietern eingerichtet. Zeitweise gab es rund 15.000 solcher Stationen im Land, die in Vorleistungen gingen, um anschließend dem Staat die Kosten in Rechnung zu stellen. Man werde pragmatisch, flexibel und kreativ vorgehen, hatte Spahn angekündigt. Das klang ein wenig nach: Wir werden schon nicht so genau hinschauen. Nicht, dass Spahn es beabsichtigt hätte, aber er sprach damit wohl auch eine Einladung an Betrüger aus.

Und tatsächlich: In etlichen Zentren wurden viel mehr Abrechnungen an die Behörden gemeldet und damit dem Staat in Rechnung gestellt als tatsächlich durchgeführt. Deutschlandweit ermitteln nun Staatsanwaltschaften. Ein besonders schwerwiegender Fall ereignete sich in Spahns Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen, wo ein Betreiber kommerzieller Schnelltestzentren für mehr als 50 seiner Einrichtungen eine überhöhte Anzahl von Tests abgerechnet haben soll. Insgesamt sei dem Staat durch Betrugsfälle im Zusammenhang mit den Testzentren ein Schaden von 3,5 Milliarden Euro entstanden, rechnen die Ermittler vor. Wieder einmal heißt der Sündenbock: Spahn. Der Minister habe es den Verbrechern durch zu laxe Vorschriften und Kontrollen zu leicht gemacht, sagen Kritiker. Überhaupt sei die Einrichtung der Testzentren zu überstürzt und chaotisch gelaufen.

Die Situation in der Pflege

Mit nicht weniger als der Ankündigung, er werde die Arbeit im Gesundheitswesen und der Pflege grundlegend reformieren, trat Spahn sein Amt als Chef des Gesundheitsressorts 2018 an. Unter anderem mit einer geringeren Belastung und einem höheren Lohn wollte er die Arbeit von Pflegern attraktiver machen.

Und siehe da: "Spahn hat gehandelt". Oder doch nicht? Denn der Satz stammt von der Internetseite des Gesundheitsministeriums. Spahn stellte sich also selbst ein gutes Zeugnis aus.

Klar ist, dass Spahn trotz unzweifelhaft guten Willens auch auf diesem Gebiet nicht allzu viel geglückt ist. Nach Monaten der Pandemie haben sich Tausende Pfleger aus ihrem Beruf verabschiedet, eine Kündigungswelle, vor der schon im März gewarnt wurde.

Dass sich die Pfleger von der Politik im Stich gelassen fühlen, daran änderte auch die von Spahn beschlossene einmalige Corona-Prämie in Höhe von rund 1.000 Euro nichts. In einer Ende Oktober vom Verband der Intensiv- und Notfallmediziner (Divi) veröffentlichten Mitteilung heißt es, wegen fehlender Pflegekräfte könne in jedem dritten Intensivbett kein Patient mehr behandelt werden. "Die zurückliegenden, zermürbenden Monate haben zu einer Verschlechterung der Stimmung und zu weiteren Kündigungen von Stammpflegekräften geführt!", wird der Präsident der Divi, Uwe Janssens, darin zitiert. Intensivkapazitäten sind inzwischen bereits in einigen Kliniken knapp.

Und jetzt?

Natürlich war und ist die Corona-Pandemie eine Jahrhundertkrise. Jeder Minister hätte in dieser Zeit Fehler gemacht. Aber es scheint, als habe Jens Spahn durch seinen Aktionismus, seine vorschnellen Ankündigungen, sein ständiges Schielen auf die Mehrung des eigenen Image, die Lage immer wieder verschlimmbessert.

Im April 2020 wurde Spahn viel gelobt, weil er damals angesichts der Größe der Herausforderung sagte: "Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen." Nun, viele Monate später, müsste er eigentlich hinzufügen: "Und Sie alle werden mir besonders viel verzeihen müssen."

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