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Jens Spahn: Der Mann, der an sich selbst gescheitert ist


Der Luftikus


15.11.2021Lesedauer: 8 Min.
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Gesundheitsminister Jens Spahn: Um den einstigen CDU-HoffnungstrΓ€ger steht es alles andere als gut.
Gesundheitsminister Jens Spahn: Um den einstigen CDU-HoffnungstrΓ€ger steht es alles andere als gut. (Quelle: imago-images-bilder)

Vor wenigen Monaten sondierte Jens Spahn noch seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur, nun steht er vor den Scherben seiner politischen Karriere. Wie konnte es bloß so weit kommen?

Vor drei Wochen wollte Jens Spahn mal wieder einen Akzent setzen. Der Corona-Ausnahmezustand, also die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite", kΓΆnne im November auslaufen, verkΓΌndete der Gesundheitsminister im Fernsehen.

Spahns implizite Botschaft: Ich bin zwar bald nicht mehr fΓΌr das Krisenmanagement verantwortlich und habe in den vergangenen anderthalb Jahren auch nicht immer alles richtig gemacht. Aber immerhin: Zum Ende meiner Amtszeit haben wir das Schlimmste hinter uns gebracht.

Es war so etwas wie Spahns VermÀchtnis. Und, nun ja, ziemlich schlechtes Timing. Denn schnell entpuppte sich der Vorstoß als grobe FehleinschÀtzung. Kurz darauf baute sich auf, was bereits absehbar war: die bislang grâßte Corona-Welle.

Aber die kolossale FehleinschΓ€tzung war nicht Spahns einziges Problem. Denn aus seiner AnkΓΌndigung folgte nicht viel. Sein Ministerium hΓ€tte ein Gesetz vorbereiten mΓΌssen, um das Krisenmanagement kΓΌnftig zu regeln. Doch die werdende Ampelkoalition klagt, es sei nichts passiert.

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Es ist nicht das erste Mal seit Beginn der Pandemie, dass Spahn große Ankündigungen macht und dann nicht, oder nur unzureichend, liefert. Oder dass sich Vorhaben in der RealitÀt als deutlich komplexer herausstellen als vom Minister zuvor schlagzeilengerecht dargestellt.

Die vergangenen Monate gehΓΆren zu den schlimmsten, die die CDU bislang erlebt hat. Aber nur wenige ihrer Spitzenvertreter hat es dazu noch so schlimm erwischt wie Spahn. Um den einstigen CDU-HoffnungstrΓ€ger steht es alles andere als gut. Der Mann, der vor nicht allzu langer Zeit seine Chancen auf eine Kanzlerkandidatur sondierte, tritt nun im Rennen um den Chefposten der Partei gar nicht erst an. Auch die Chancen, seiner Amtszeit als Bundesgesundheitsminister doch noch eine finale, positive Wende zu geben, schwinden dahin.

Dabei sah alles mal ganz anders aus fΓΌr Spahn. Die Krise im Land schien wie ein Beschleuniger fΓΌr seine Karriere zu wirken.

Es gab eine Zeit, sie ist gerade mal ein gutes Jahr her, da wurde Deutschland fΓΌr sein Corona-Krisenmanagement international bewundert. Die Bundesrepublik steuerte gut durch die Krise, so schien es.

Das zahlte auch auf die PersΓΆnlichkeitswerte von Jens Spahn ein, dem wichtigsten Minister der Pandemie. FΓΌr kurze Zeit stieg der 41-JΓ€hrige sogar zum beliebtesten Politiker auf. Was schon damals fast an ein Wunder grenzte, wenn man bedenkt, wie sehr der als konservativer Haudegen geltende MΓΌnsterlΓ€nder in den Jahren zuvor die BevΓΆlkerung spaltete – mit Stimmungsmache zur Bewahrung der deutschen Sprache, zur Leitkultur, einem Islamgesetz, Burkaverbot, mit Aussagen wie mit Hartz IV habe "jeder das, was er zum Leben braucht". Dann war da auch noch die merkwΓΌrdige NΓ€he zu Donald Trumps Botschafter in Berlin, Richard Grenell, die Spahn ΓΆffentlich pflegte.

Doch die hohen Beliebtheitswerte von Spahn sind lΓ€ngst Vergangenheit. Denn auf den rasanten Aufstieg folgte der krachende Absturz. Die Corona-Krise hat den Minister entzaubert. Nach Lage der Dinge kann Spahn im Moment froh sein, wenn er bald Fraktionsvize seiner Partei im Bundestag wird. Es gibt in der Opposition ja nicht mehr allzu viel zu verteilen. Damit steht Spahn vor den Scherben seiner politischen Karriere, die er seit mehr als 20 Jahren mit aller Macht vorantreibt.

Was sich derzeit allerdings aufdrΓ€ngt, ist das Bild eines Mannes, der ein ums andere Mal Dinge ankΓΌndigte, ohne ihre Umsetzbarkeit zu prΓΌfen; der Politik zum Zweck der eigenen Karriere betreibt, nicht fΓΌr das Wohlergehen der Allgemeinheit; dem es zu selten um die Inhalte geht und zu hΓ€ufig um den eigenen Imagegewinn.

Ein politischer Luftikus, der in der Krise auch an sich selbst und seinem Profilierungsdrang scheiterte. Inzwischen steht kaum ein Name so sehr fΓΌr den Verdruss der BΓΌrger ΓΌber die Politik wie der von Jens Spahn. Wie also konnte es so weit kommen? Wie hat sich der kurzzeitige Liebling der Nation nur so schnell selbst zerlegt? Die Antworten liefern die diversen AffΓ€ren dieser Krise.

Das Masken-Desaster

Das Ausmaß der Corona-Infektionswelle Anfang 2020 hat Deutschland wie viele andere LÀnder überrascht. Schnell entstand in den KrankenhÀusern und Pflegeeinrichtungen, bei den ambulanten Pflegediensten und überall sonst im Gesundheitswesen ein eklatanter Mangel an Masken und anderen persânlichen Schutzausrüstungen, die grâßtenteils im Ausland hergestellt wurden.

Ein Notstand, der den Minister zu beherztem Handeln veranlasste. Aus heutiger Sicht aber vor allem eine Überreaktion mit gewaltigen Kosten für die Steuerzahler.

Spahn im Bundestag: Seit diesem Sommer hat der Gesundheitsminister Probleme mit dem Bundesrechnungshof.
Spahn im Bundestag: Seit diesem Sommer hat der Gesundheitsminister Probleme mit dem Bundesrechnungshof. (Quelle: Annegret Hilse/Reuters-bilder)

"Wer nach der Krise nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat alles verkehrt gemacht", polterte Spahns CDU-Kollege Karl-Josef Laumann, der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, bei einer Pressekonferenz im April 2020 und nahm seine Beamten in Schutz, die für die Beschaffung von Schutzmaßnahmen zustÀndig waren. Verteidigte damit das ungewâhnliche Vorgehen, dass die Politik in der Krise nicht auf die Kosten schaue, sondern versuche Tempo zu machen.

Gut mâglich, dass der Mister aus NRW seine Worte, die sich im Nachhinein wie eine Rechtfertigung für Spahn lesen, anders gewÀhlt hÀtte, wÀre zum damaligen Zeitpunkt schon bekannt gewesen, in welchem Ausmaß sein Parteikollege bei der Maskenbeschaffung das Geld der Steuerzahler aus dem Fenster schmiss.

Denn seit diesem Sommer hat Spahn tatsÀchlich den Rechnungshof am Hals. Und die Vorwürfe, sie sich gegen ihn richten, sind alles andere als eine Lappalie. Es geht um Steuergeldverschwendung in Milliardenhâhe wegen "massiver Überbeschaffung" an Masken.

Die habe knapp sieben Milliarden Euro gekostet, heißt es im Bericht des Rechnungshofs.

"In der Not LΓΆcher zu stopfen, ist teurer", verteidigte Spahn die Milliardenkosten. Was jedoch kein Argument dafΓΌr sein kann, dass ihm und seinem Ministerium die Maskenbeschaffung, die er offenbar ΓΌber viele KanΓ€le parallel laufen ließ, entglitt. Im Rahmen eines sogenannten "Open-House-Verfahrens" garantierte Spahns Ministerium HΓ€ndlern die unbegrenzte Abnahme von Masken zu festen Preisen – und zwar zu einer Zeit, als diese weltweit besonders teuer waren und ohne dabei den realen Bedarf zu berΓΌcksichtigen.

Das war aber noch nicht der Hâhepunkt dessen, was inzwischen als "MaskenaffÀre" bekannt ist. Erreicht wurde er erst, als der "Spiegel" herausfand, welch Àußerst fragwürdiger Methode sich Spahn bediente, um Hunderte Millionen nutzloser Masken unbemerkt verschwinden zu lassen. Das Gesundheitsministerium hatte diese im Frühjahr 2020 in China gekauft und wollte nun die nÀchste Steuergeldverschwendung unterschlagen.

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Spahn hatte vor, die wertlosen Masken in die sogenannte Nationale Reserve Gesundheitsschutz des Bundes wandern zu lassen. Dort, so die Hoffnung des Ministers, sollten sie bis zum Erreichen ihres Verfallsdatums liegen und danach eben einfach entsorgt werden. Den anderen Teil der Masken, die nicht vΓΆllig nutzlos waren, aber nur unzureichenden Schutz boten, versuchte das Gesundheitsministerium immer wieder, in Sonderaktionen an Hartz-IV-EmpfΓ€nger, Behinderte oder Obdachlose zu verteilen. Getreu dem perfiden Motto: FΓΌr die reicht es doch.

Wenn Worte und Taten nicht zusammenpassen

Ein besonders peinlicher Vorfall ereignete sich im Zusammenhang mit Spahns eigener Covid-Erkrankung: Wie der "Spiegel" ΓΆffentlich machte, war Spahn am 20. Oktober nach Leipzig zu einem privaten Spendendinner mit Unternehmern gefahren, um fΓΌr seinen Kreisverband Borken Geld zu sammeln. Dabei hatte er noch am Morgen desselben Tages in einem Interview die Republik ermahnt: "Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt. NΓ€mlich beimβ€ˆFeiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party im Klub." Als wΓ€re dieser eklatante Widerspruch zwischen Worten und Taten des Ministers nicht bereits genug, wurde Spahn tags darauf auch noch positiv auf Corona getestet.

Der offenbar nicht immer vorhandene Bezug Spahns zur RealitΓ€t zeigte sich auch an einem anderen Beispiel: WΓ€hrend viele Deutsche in der Krise um ihre berufliche oder wirtschaftliche Existenz bangten, kaufte sich der Minister eine Villa in einem sehr guten Stadtteil in Berlin.

Blankoscheck fΓΌr BetrΓΌger

Auch beim Thema Schnelltests lief es nicht wirklich gut fΓΌr den Gesundheitsminister: Mitte Februar verkΓΌndete er auf Twitter: "Ab 1. MΓ€rz sollen alle BΓΌrger kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests getestet werden kΓΆnnen. Sie sind mittlerweile ausreichend am Markt verfΓΌgbar." Spahn stand zum damaligen Zeitpunkt bereits mΓ€chtig unter Druck, Schnelltests gab es seit Monaten, in Γ–sterreich waren sie zum damaligen Zeitpunkt schon im Einsatz und machten dort eine Lockerung des Lockdowns mΓΆglich.

FΓΌr seine AnkΓΌndigung holte sich Spahn dann allerdings eine richtige Abfuhr von Angela Merkel ein. Denn zu viele Fragen waren noch offen: Unter anderem war nicht geklΓ€rt, wie genau die Schnelltests in den LΓ€ndern organisiert werden sollen und wie viele Tests es fΓΌr jeden ΓΌberhaupt geben sollte.

Eine Aktion, die Spahn den Spitznamen "AnkΓΌndigungsminister" einbrachte, ein Etikett, das seither an ihm haftet. Die Schnelltests kamen dann doch eine gute Woche spΓ€ter. Trotzdem blieb hΓ€ngen: Das mit den Schnelltests hat er auch nicht hinbekommen.

Und es wurde auch nicht wirklich besser: Ein weiterer Punkt auf der Liste von Spahns Fehlern betrifft die Corona-Schnelltestzentren, wo die Bürgerinnen und Bürger sich auf Kosten des Staates gratis auf Corona testen lassen konnten. Die Testzentren wurden in der Regel von privaten Anbietern eingerichtet. Zeitweise gab es rund 15.000 solcher Stationen im Land, die in Vorleistungen gingen, um anschließend dem Staat die Kosten in Rechnung zu stellen. Man werde pragmatisch, flexibel und kreativ vorgehen, hatte Spahn angekündigt. Das klang ein wenig nach: Wir werden schon nicht so genau hinschauen. Nicht, dass Spahn es beabsichtigt hÀtte, aber er sprach damit wohl auch eine Einladung an Betrüger aus.

Und tatsÀchlich: In etlichen Zentren wurden viel mehr Abrechnungen an die Behârden gemeldet und damit dem Staat in Rechnung gestellt als tatsÀchlich durchgeführt. Deutschlandweit ermitteln nun Staatsanwaltschaften. Ein besonders schwerwiegender Fall ereignete sich in Spahns Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen, wo ein Betreiber kommerzieller Schnelltestzentren für mehr als 50 seiner Einrichtungen eine überhâhte Anzahl von Tests abgerechnet haben soll. Insgesamt sei dem Staat durch BetrugsfÀlle im Zusammenhang mit den Testzentren ein Schaden von 3,5 Milliarden Euro entstanden, rechnen die Ermittler vor. Wieder einmal heißt der Sündenbock: Spahn. Der Minister habe es den Verbrechern durch zu laxe Vorschriften und Kontrollen zu leicht gemacht, sagen Kritiker. Überhaupt sei die Einrichtung der Testzentren zu überstürzt und chaotisch gelaufen.

Die Situation in der Pflege

Mit nicht weniger als der AnkΓΌndigung, er werde die Arbeit im Gesundheitswesen und der Pflege grundlegend reformieren, trat Spahn sein Amt als Chef des Gesundheitsressorts 2018 an. Unter anderem mit einer geringeren Belastung und einem hΓΆheren Lohn wollte er die Arbeit von Pflegern attraktiver machen.

Und siehe da: "Spahn hat gehandelt". Oder doch nicht? Denn der Satz stammt von der Internetseite des Gesundheitsministeriums. Spahn stellte sich also selbst ein gutes Zeugnis aus.

Klar ist, dass Spahn trotz unzweifelhaft guten Willens auch auf diesem Gebiet nicht allzu viel geglΓΌckt ist. Nach Monaten der Pandemie haben sich Tausende Pfleger aus ihrem Beruf verabschiedet, eine KΓΌndigungswelle, vor der schon im MΓ€rz gewarnt wurde.

Dass sich die Pfleger von der Politik im Stich gelassen fühlen, daran Ànderte auch die von Spahn beschlossene einmalige Corona-PrÀmie in Hâhe von rund 1.000 Euro nichts. In einer Ende Oktober vom Verband der Intensiv- und Notfallmediziner (Divi) verâffentlichten Mitteilung heißt es, wegen fehlender PflegekrÀfte kânne in jedem dritten Intensivbett kein Patient mehr behandelt werden. "Die zurückliegenden, zermürbenden Monate haben zu einer Verschlechterung der Stimmung und zu weiteren Kündigungen von StammpflegekrÀften geführt!", wird der PrÀsident der Divi, Uwe Janssens, darin zitiert. IntensivkapazitÀten sind inzwischen bereits in einigen Kliniken knapp.

Und jetzt?

NatΓΌrlich war und ist die Corona-Pandemie eine Jahrhundertkrise. Jeder Minister hΓ€tte in dieser Zeit Fehler gemacht. Aber es scheint, als habe Jens Spahn durch seinen Aktionismus, seine vorschnellen AnkΓΌndigungen, sein stΓ€ndiges Schielen auf die Mehrung des eigenen Image, die Lage immer wieder verschlimmbessert.

Im April 2020 wurde Spahn viel gelobt, weil er damals angesichts der Grâße der Herausforderung sagte: "Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen." Nun, viele Monate spÀter, müsste er eigentlich hinzufügen: "Und Sie alle werden mir besonders viel verzeihen müssen."

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