Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Junge Grüne und die deutsche Debattenkultur Es ist alles so sinnlos

Die Co-Vorsitzende der Grünen Jugend zeigt sich in einem Pullover mit polizeifeindlichem Aufdruck. Sie will damit eine Debatte über die Polizei anstoßen. Behauptet sie. Und scheitert an sich selbst.
"ACAB" steht für "All Cops are Bastards". "ACAB" stand auch auf dem Pullover, in dem Jette Nietzard meinte, sich am Wochenende auf Instagram zeigen zu müssen. "Alle Bullen sind Schweine", könnte man das Akronym übersetzen. Die Co-Vorsitzende der Grünen Jugend hielt das offenbar für einen guten Debattenbeitrag.
Zu welcher Debatte eigentlich, so könnte man sich fragen. Inzwischen bemüht sich Jette Nietzard, mehr über ausufernde Polizeigewalt und rechtsextreme Strukturen innerhalb des Polizeiapparates zu sprechen und weniger über die hochproblematische "ACAB"-Verkürzung. Sie tut dies allerdings erst, seitdem sie wegen des Posts mit dem Pullover öffentlich wie parteiintern unter großen Druck geraten ist. Den Dialog, den sie jetzt angeblich führen will, hat sie zuvor selbst nachhaltig vergiftet.
Was lässt sich daraus lernen? Die falschen Leute führen die richtigen Debatten im falschen Tonfall. Das übertönt die richtigen Argumente und verhindert am Ende, was am meisten gebraucht wird: Austausch. Lösungen. Fortschritt.
Mit Anlauf übers Stöckchen gesprungen
Das Muster ist immer dasselbe. Die eine Seite nutzt Reichweite (so wie in diesem Fall Jette Nietzard ihre 22.000 Follower bei Instagram), um eine möglichst stark überzeichnete Provokation zu veröffentlichen (so wie in diesem Fall mit dem Akronym "ACAB"). Die andere Seite springt mit Anlauf und wutentbranntem Doppelsalto über das Stöckchen: Im vorliegenden Fall tat ihr Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, den Gefallen.
Wendt gefällt sich seit Jahren in der Rolle des konservativen Scharfmachers in Sachen "Law and Order", mindestens ebenso sehr wie Nietzard ihr Image als linke Systemsprengerin hegt und pflegt. Von der "Bild"-Zeitung ließ sich Wendt gerne mit folgender Replik auf Nietzard zitieren: "Die sogenannte Grüne Jugend ist leider nichts anderes als ein wohlstandsverwahrloster Haufen von Linksextremisten, dem alles Potenzial für demokratisches Bewusstsein fehlt." In seiner zweiten Heimat bei Welt TV legte er nach: Pauschale Verunglimpfungen einer ganzen Berufsgruppe seien unanständig: "Und das gehört sich schlicht nicht."
So richtig das ist, so wenig greift das natürlich auf, dass es durchaus rechtsextreme Chatgruppen unter deutschen Polizisten gibt. Und so korrekt der Verweis auf solcherlei Missstände in der Polizei durch Nietzard ist, so wenig ist sie umgekehrt bereit zuzugestehen, dass eine große Zahl von Polizisten in Deutschland buchstäblich mit dem Körper für die Verfassung und die Demokratie einsteht.
Es geht nur um "die" gegen "wir"
In solchen öffentlichen Scheingefechten ist kein Raum für die Grautöne, aus denen gesellschaftliche Wirklichkeit eben besteht. Es geht um Schwarz und Weiß, um "die" und "wir", um "Gut" und "Böse". Diskutiert werden öffentlich ausschließlich die Provokation von Nietzard sowie die Antwort von Wendt. Wer es auch bei anderen Themen mit der Co-Vorsitzenden der Grünen Jugend hielt, der springt ihr auch jetzt bei und kanzelt Ordnungshüter in toto ab als Rechtsradikale.
Und wer es eher mit dem eisernen Besen von Rainer Wendt hält, für den ist jede einzelne öffentliche Äußerung von Jette Nietzard ein Beleg für "wohlstandsverwahrloste Jugend" oder "Linksextremismus". Kleiner hat es keiner. Lösungsvorschläge? Fehlanzeige.
Dieses öffentliche Schattenboxen, dieses publikumswirksame Betteln um Aufmerksamkeit in der eigenen Bubble, findet in Bezug auf viele Themen statt, zumindest auf Social Media. Migration beispielsweise wird entweder als Ausdruck einer bunter werdenden Gesellschaft gesehen, die alleine deshalb nicht problematisiert werden darf, oder sie wird pauschal für jede einzelne Messerattacke in Deutschland verantwortlich gemacht und ohnehin als Teil eines gefühlten großen "Umvolkungsprojektes" verstanden (was immer das heißen soll). Wer sich zum Nahostkonflikt äußert, der steht entweder auf der Seite Netanjahus und hat jeden noch so gewalttätigen Angriff auf Gaza mitzutragen, oder er fordert ein Palästina "from the river to the sea", leugnet das Existenzrecht Israels und ist somit Antisemit. Für den Zwischenraum ist auf Social Media kein Platz.
Immerhin: Sie gibt es zu
Jette Nietzard hat nach ihrem "ACAB"-Post in einer weiteren öffentlichen Nachricht am Wochenende zugegeben: "Ich spalte gerne die Gesellschaft." Immerhin: Sie gibt es zu. Für Rainer Wendt dürfte dasselbe gelten (was er freilich nie öffentlich zugeben würde).
Solange Stimmen wie diese die Debatten bestimmen, steuern und nach Belieben übernehmen können, driftet die Gesellschaft auf ein unerträgliches Klima wie in den USA zu. Es gibt nur noch zwei Schützengräben, die sich gegenseitig ohne Rücksicht auf Kollateralschäden unter Feuer nehmen. Wer sich nicht einordnet, gerät ins Kreuzfeuer. Um Lösungen geht es keiner Seite. Nur um den Beschuss. Höchste Zeit, endlich abzurüsten.