Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Handyverbot an Schulen Die Politik verschläft die Entwicklung

Immer mehr Bundesländer machen Druck, nun fordert auch die Bundesbildungsministerin ein Handyverbot an deutschen Schulen. Wäre das richtig?
Der Ruf nach einem Verbot von privaten Handys an Schulen wird lauter. Nachdem einige Bundesländer wie Hessen es bereits anstreben, hat nun auch Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) gefordert, die Nutzung von privaten Handys an Grundschulen bundesweit zu verbieten. "Die Studienlage wird zunehmend klarer: Zu lange Bildschirmzeiten führen zu schlechteren Lernleistungen, zu geringeren sozialen Kompetenzen und zu psychischen Problemen", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Kritiker warnen dagegen, ein Handyverbot an Schulen könne ein Rückschritt auf dem Weg zur digitalen Kompetenz sein. Die Frage ist also:
Sollten Handys in deutschen Klassenzimmern verboten werden?

Die Politik verschläft die Entwicklung
Wer an Schulen in Deutschland arbeitet, mit Lehrern und Schulleitern spricht, merkt, dass die politische Forderung nach einem Handyverbot im Grunde zu spät kommt. Denn eine große Anzahl an Schulen praktiziert schon eine eigene, auf die Schule zugeschnittene Regelung. Viele haben Handys generell verboten, andere nur für die Unterstufe – aber der Trend ist eindeutig. So lächeln viele Beschäftigte an den Schulen im Land eher und denken sich in Richtung Politik: Schön, dass ihr es auch merkt.
Klar, es gibt viele Argumente gegen ein Handyverbot. Das Wichtigste: Medienkompetenz. Schüler müssen in der Schule lernen, verantwortungsvoll mit Medien umzugehen. Experten sollen sie in die Irrungen und Wirrungen von TikTok, Instagram und Snapchat einführen. Die Frage ist: Wer soll sie begleiten? Lehrer, die meist selbst kein TikTok auf ihrem Handy haben, weil sie die App zu Recht gefährlich finden? Und für externe Experten ist in unserem unterfinanzierten Bildungswesen ohnehin kein Geld da. Außerdem könnte Medienkompetenztraining auch mit Geräten der Schule durchgeführt werden. Das Argument ist also keines.
Für ein Handyverbot spricht hingegen vor allem, dass Jugendliche von dem Telefon in der Tasche massiv abgelenkt werden. Laut aktuellen Studien der gemeinnützigen Organisation Common Sense Media (CSM) erhält die Hälfte aller Jugendlichen gut 240 Benachrichtigungen am Tag. Bei 14 Stunden, die die Jugendlichen wach sind, sind das gut 17 in der Stunde. Wie soll sich ein Schüler da im Unterricht konzentrieren können, wenn das Handy in der Hosentasche fast alle drei Minuten vibriert?
Natürlich spielt sich die Lebensrealität der Schüler heute größtenteils im Netz ab – und es wäre blauäugig zu sagen, dass ein Handyverbot an Schulen die Probleme mit den digitalen Medien lösen könnte. Aber Schule würde dadurch wieder zu dem werden, was sie sein soll: ein Ort des konzentrierten Lernens im Unterricht und auf dem Pausenhof, ein Ort für direkte Kommunikation, Sport und Erholung. Allein deshalb lohnt sich ein bundesweites Verbot. Ja, die Politik ist viel zu spät dran, aber besser sie handelt jetzt als nie.

Hier müffelt es nach "Früher war alles besser"
Deutschland hinkt in der Bildung seit Jahren hinterher. Viele Kommunen haben zu wenig Geld und Personal, die Schulgebäude verfallen, zu viel Unterricht fällt aus. Daran etwas zu ändern, wäre tatsächlich ein echter, großer Fortschritt. Aber das kostet und birgt zudem ein altes Dilemma: Wer teure, gute Bildungspolitik sät, erntet erst viele Jahre später die Früchte, wenn die Schüler ihren Abschluss machen. Viele Politiker wollen und müssen aber vor allem bis zur nächsten Wahl denken. Nachhaltige Bildung passt in keine Legislaturperiode.
Stattdessen fordern Bildungspolitiker nun ein bundesweites Handyverbot. Kostet nix, und Durchkontrollieren ist in Deutschland ohnehin quasi immaterielles Kulturerbe. Statt sich genauer damit zu befassen, wie Schüler mit Medien umgehen und leben, soll mal wieder rigoros alles Neue verboten werden, was man nicht mag und nicht versteht. Es müffelt verdächtig nach "Früher war alles besser".
Dass aber gerade junge Menschen Verbotenes besonders reizt, lässt eine solche Haudrauf-Manier außer Acht. Zudem könnte ein pauschales Verbot den Schülern das Gefühl geben, dass sich niemand wirklich für ihr Leben interessiert, das sich nun mal zu guten Teilen in den sozialen Medien abspielt. Wer das übersieht, riskiert, dass sich die Schüler von oben herab behandelt fühlen und sich im Umgang mit sozialen Medien gegenüber Lehrkräften und Eltern bewusst verschließen.
Da es durchaus ernste Gefahren im Netz gibt, sollten Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker die Schüler eben nicht allein lassen. Da braucht es die viel beschworene Medienkompetenz – und zwar auf allen Seiten. Doch diese zu vermitteln, kostet Geld – sei es für die Qualifizierung der Lehrer oder externe Anbieter. Nur: Geld für Bildung will keiner ausgeben, womit man wieder am Anfang der Debatte ist. Die eigentliche Gefahr besteht darin, dass ein Handyverbot dazu führt, das zentrale Problem aus dem Blick zu verlieren: wie dringend notwendig es ist, Schülern den reflektierten Umgang mit Smartphones und Co. zu vermitteln.
Ein Verbot schafft keine mündigen Bildungsbürger, sondern Ressentiments. Dabei wäre doch ein Schüler, der sich ernst genommen fühlt und einen bewussten Umgang mit seinem Handy gelernt hat, viel wünschenswerter als einer, der eine demütigende Strafarbeit ableisten muss, weil er gegen ein Handyverbot verstoßen hat.
Teilen Sie Ihre Meinung mit
Welche Meinung zum Thema haben Sie? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- eigene Beobachtungen
- Studie "common sense": A Week in the Life of a Young Person's Smartphone Use