Wie soll das gelingen?
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Die Bundesregierung will viele neue Wohnungen schaffen, kann aber nicht erklΓ€ren, wie. An der Wirksamkeit ihrer teuersten Projekte gibt es groΓe Zweifel.
Menschen brauchen Wohnungen und die Bundesregierung hat ein klares Ziel formuliert: 1,5 Millionen neue Wohnungen sollen in dieser Legislaturperiode entstehen. So steht es im Koalitionsvertrag: "Wir starten eine Wohnraumoffensive: 1,5 Millionen neue Wohnungen und Eigenheime."
Die PlΓ€ne sollen auf dem "Wohnungsgipfel" am morgigen Freitag konkretisiert werden. Daran nehmen Vertreter von Bund, LΓ€ndern und Kommunen, die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, der Mieterbund, die Gewerkschaften und die Bauwirtschaft teil. Aber schon seit Monaten fΓ€llt auf, dass die Regierung nicht erklΓ€ren kann, wie gelingen soll, was sie so forsch ankΓΌndigt hat.
Nicht einmal, wie sie zu ihren Zahlen kommt.
Anfrage ans zustΓ€ndige Innenministerium. Wie viele dieser 1,5 Millionen Wohnungen sollen eigentlich durch MaΓnahmen der Regierung zusΓ€tzlich entstehen und wie viele wΓ€ren sowieso gebaut worden? Ein Sprecher antwortet gegenΓΌber t-online.de: "Die exakte kausale Wirkung der wohnungspolitischen Instrumente hΓ€ngt von vielen Faktoren ab und kann daher nicht quantifiziert werden."
NΓ€chste Frage: Wie viele Wohnungen kΓΆnnten durch die einzelnen MaΓnahmen zusΓ€tzlich entstehen? Wie viele durch die FΓΆrderung des sozialen Wohnungsbaus? Wie viele durch das Baukindergeld? Antwort des BMI: "Die geplanten wohnungspolitischen MaΓnahmen sind als sich ergΓ€nzendes MaΓnahmenbΓΌndel zu verstehen. Die separate Quantifizierung der Wirkung ist deshalb nicht mΓΆglich."
Vielleicht entstehen durch die MaΓnahmen der Regierung sehr viele Wohnungen, vielleicht aber auch gar keine. Die Regierung weiΓ es nicht. Oder sagt es nicht. Nicht einmal einen Korridor teilt das BMI mit, keine SchΓ€tzung, keine Szenarien. Nichts.
Trotzdem verkΓΌndet sie, alle MaΓnahmen zusammen sollten zusammen 1,5 Millionen Wohnungen ergeben. Wie kommt sie dazu?
Der Trend arbeitet fΓΌr die Regierung
MΓΆglicherweise setzt sie schlicht auf den Trend. Im vergangenen Jahr 2017 sind etwa 284.816 Wohnungen fertiggestellt worden. Acht Jahre zuvor noch 158.987. Im letzten Jahr der Legislaturperiode 2009 bis 2013 sind gut 30 Prozent mehr Wohnungen entstanden als im ersten Jahr. In der Legislaturperiode 2013 bis 2017 war es fast genauso. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor.
WΓΌrde es 2017 bis 2021 so weiter gehen, landete man am Ende bei grob gerechnet: 1,5 Millionen neuen Wohnungen. Und aus den vergangenen Jahren sind nach Angaben der Kreditanstalt fΓΌr Wiederaufbau (KfW) noch etwa 600.000 Wohnungen genehmigt, aber nicht gebaut.
Die Regierung mΓΌsste also nur Kurs halten. Ist das der Grund fΓΌr ihre forsche Zielvorgabe? Ist ihr Ziel womΓΆglich gar nicht so ambitioniert, wie es klingt?
Doch, sagt Claus Michelsen, der fΓΌr das Deutsche Institut fΓΌr Wirtschaftsforschung die Bauwirtschaft analysiert, auch im Auftrag des Bauministeriums: βIch halte die Ziele fΓΌr ambitioniert." In diesem Jahr rechne er mit Fertigstellungen von etwa 300.000 Wohnungen: "Selbst wenn jedes Jahr 10 Prozent mehr gebaut wΓΌrde, wΓ€re das Ziel nicht zu schaffen." Und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt geht davon aus, dass selbst 300.000 nicht erreicht werden.
Und doch sollen die MaΓnahmen der Regierung den Ausschlag geben. Wenn sie schon keine SchΓ€tzungen verΓΆffentlicht, was lΓ€sst sich ΓΌber ihre Kernprojekte sagen?
Sozialer Wohnungsbau und Baukindergeld
FΓΌr den sozialen Wohnungsbau sind im Koalitionsvertrag zwei Milliarden Euro zusΓ€tzlich zu den FΓΆrdertΓΆpfen der LΓ€nder vorgesehen, mittlerweile sollen es sogar fΓΌnf Milliarden werden. Wie viel Geld die LΓ€nder einplanten, ist dem BMI nach eigenen Angaben gar nicht bekannt. Wie viele Wohnungen mit Bundesmitteln gefΓΆrdert werden kΓΆnnen, lasse sich nur schwer abschΓ€tzen, teilt das BMI mit. Der bisherige BaustaatssekretΓ€r Gunther Adler, der als wichtigster Mann in Baufragen galt, schΓ€tzte im FrΓΌhjahr allerdings noch, dass pro Milliarde rund 30.000 Wohnungen gefΓΆrdert werden kΓΆnnten. Das wΓ€ren also rund 150.000 Wohnungen.
Die zweite groΓe MaΓnahme ist das Baukindergeld. CDU und CSU wollten es unbedingt im Koalitionsvertrag sehen. Familien, die ein Haus bauen oder kaufen, bekommen pro Jahr fΓΌr jedes Kind unter 18 Jahren 1.200 Euro fΓΌr maximal zehn Jahre. Familien, die mehr als 75.000 Euro im Jahr plus weitere 15.000 pro Kind verdienen, bekommen kein Baukindergeld. AntrΓ€ge kΓΆnnen nur bis 2020 gestellt werden β ansonsten wΓΌrde das Programm zu teuer. Auch so sind dafΓΌr 2,7 Milliarden Euro allein in dieser Legislaturperiode eingeplant. Fast 10 Milliarden bis zum Ende der FΓΆrderzeit.
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Aber entstehen dadurch wirklich neue Wohnungen? Die Regierung kalkulierte stets mit rund 200.000 Anspruchsberechtigten. Wie viele davon sowieso bauen wΓΌrden, auch ohne Baukindergeld, kann oder will die Regierung nicht schΓ€tzen. Sie gehe aber von einer "Trendumkehr bei den Baugenehmigungen fΓΌr selbstgenutztes Wohneigentum" aus. Nicht einmal die Wirkungen der sehr Γ€hnlichen Eigenheimzulage, die von 1995 bis 2005 existierte, sind der Regierung laut einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der GrΓΌnen bekannt.
Nach Berechnungen von Claus Michelsen vom Deutschen Institut fΓΌr Wirtschaftsforschung kΓΆnnte das Baukindergeld die Kosten in einer GroΓstadt in den ersten zehn Jahren um rund vier Prozent senken, in kleineren StΓ€dten um acht Prozent, auf dem Land womΓΆglich noch etwas mehr. Im Jahr 2017 kostete ein Quadratmeter neu gebauter WohnflΓ€che rund 1.700 Euro. Bei 100 Quadratmetern, was fΓΌr ein Einfamilienhaus eher wenig ist, sind das 170.000 Euro im Schnitt. Dazu kommen stetig steigende GrundstΓΌckpreise: Zwischen rund 60 Euro pro Quadratmeter in kleinen DΓΆrfern bis zu mehr als 1.000 Euro pro Quadratmeter in den grΓΆΓten StΓ€dten. Insgesamt also einige Zehntausend bis mehrere Hunderttausend Euro. Unter 200.000 Euro ist also nicht an ein Haus zu denken. In GroΓstΓ€dten wird es gleich sehr viel teurer.
Nicht eine bezahlbare Wohnung mehr?
Familien mΓΌssen also trotz FΓΆrderung in der Lage sein, weit mehr als Hunderttausend Euro aufzubringen. Sie braucht genΓΌgend Eigenkapital fΓΌr Kredite. Die Opposition befΓΌrchtet Mitnahmeeffekte: Wer sowieso baut, streicht das Geld ein. Am Wohnraummangel Γ€ndert sich nichts. "Dadurch wird nicht eine bezahlbare Wohnung mehr geschaffen", sagt der wohnungspolitische Sprecher der GrΓΌnen, Christian KΓΌhn.
Nach Erfahrungen mit der Eigenheimzulage ist es denkbar, dass dadurch manches Haus mehr gebaut wird. Aber wahrscheinlich fast nur auf dem Land. Dort also, wo die Lage auf dem Wohnungsmarkt am wenigsten angespannt ist. Wo die Eigenheimquote hoch ist. Wo Wohnen keine dringende Frage ist. In den BallungsrΓ€umen wird das Baukindergeld mutmaΓlich kaum Neubauten verursachen.
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Dazu mΓΆchte die Regierung das Genehmigungsverfahren vereinfachen, damit schneller gebaut werden kann. Schon jetzt ist es aber so, dass viele genehmigte Wohnungen nicht gebaut werden kΓΆnnen. Unter anderem, weil die Bauwirtschaft in hohem MaΓe ausgelastet ist. Und weil sie zunehmend ΓΌber Probleme klagt, FachkrΓ€fte zu finden. Genehmigungsverfahren zu beschleunigen dΓΌrfte kurzfristig also kaum viele neue Wohnungen bringen.
SchlieΓlich sind eine Reihe von GesetzesΓ€nderungen angedacht. Die meisten zielen darauf, mehr und einfacher Bauland zu gewinnen, unter anderem von Landwirten. Auch diese MaΓnahmen setzen aber voraus, dass jemand dort bauen will. Und auch sie werden auf dem Land stΓ€rker wirken als in BallungsrΓ€umen. DarΓΌber hinaus soll es Steuervorteile fΓΌr alle geben, die Wohnungen bauen.
All das setzt sich nicht zusammen zum Bild einer sorgsam geplanten Wohnraumoffensive. Eher wirkt es, als sei da zuerst eine Zahl gewesen. Und dann habe man ΓΌberlegt, mit welchen MaΓnahmen sich die erreichen lieΓe. Eventuell.