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Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944: "Das ist Erbschleicherei und Etikettenschwindel"


Attentat vom 20. Juli 1944
"Das ist Erbschleicherei und Etikettenschwindel"

MeinungPercy Smend und Peter Tauber

Aktualisiert am 20.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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1944: Kurz nach dem Attentat traf Adolf Hitler den italienischen Faschistenführer Benito Mussolini (re.).Vergrößern des Bildes
1944: Kurz nach dem Attentat traf Adolf Hitler den italienischen Faschistenführer Benito Mussolini (re.). (Quelle: imago-images-bilder)

Rechte Kräfte wollen den 20. Juli vereinnahmen. Hier schreiben der Enkel eines Attentäters und ein Ex-Verteidigungsstaatssekretär, warum das grotesk ist.

Wir haben gemeinsam die Schulbank gedrückt. Damals war die Familiengeschichte von Percy kein Thema zwischen uns. Dass Peter Geschichtswissenschaften studieren würde, war bestenfalls an seiner Vorliebe für Asterix-Comics ablesbar.

Die Erinnerung und das Lernen aus dem 20. Juli 1944 hat uns erst später miteinander verbunden. Percy beschäftigt sich schon lange mit der Beteiligung seines Großvaters, des Offiziers Günther Smend, am Attentat auf Adolf Hitler. Für Peter ist die Tat nicht nur aus Sicht eines Historikers konstitutiv für die Bundesrepublik, sondern erst recht für die Armee in der Demokratie, die Bundeswehr.

Hier ist seine Perspektive die des Majors der Reserve und des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs. Für ihn ist das Beeindruckende und Prägende, dass da Männer sich selbst für einen Staat zurücknahmen, vielleicht sogar aufgaben, der sich höheren Werten wie der Würde des Menschen und dem Recht verpflichtet sieht. Ohne solche Menschen ist auch heute kein Staat zu machen.

Nach dem Krieg als "Verräter" diffamiert

Die Täter des 20. Juli sind häufig lange nach dem Krieg noch als "Verräter" geschmäht worden. Für uns heute kaum vorstellbar und ein gutes Beispiel, wie sehr sich der Blick auf den Staatsstreich verändert hat. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass um die Deutung dieser Tat immer wieder neu gerungen werden muss – auch um eine Instrumentalisierung zu verhindern, die Anliegen und Werten der Widerstandskämpfer zuwiderläuft.

Es gibt anhaltend Versuche der neuen Rechten inklusive der AfD, den Widerstand für sich zu vereinnahmen. Die Versuche zeigen, dass diese herzlich wenig über die Werte und Haltung der Widerstandskämpfer wissen, die gegen das Naziregime aufstanden und dabei ihr Leben riskierten und nicht selten verloren.

Percy Smend, Jahrgang 1975, wuchs in Japan, England und Deutschland auf, studierte Betriebswirtschaftslehre und ist Mitgründer des Medienunternehmens Mirus Media in London. Er ist Enkel des NS-Widerstandskämpfers Günther Smend.

Der Versuch, den Widerstand gegen einen verbrecherischen Unrechtsstaat mit einer folgenlosen Ablehnung des die freie Gesellschaft der Bundesrepublik prägenden Konsens gleichzusetzen, ist nicht nur grotesk, er ist ahistorisch und beschämend. Was dort betrieben wird, ist Erbschleicherei und Etikettenschwindel: Die Pläne zur Neuordnung Deutschlands nach dem Staatsstreich waren eben nicht anti-parlamentarisch, anti-europäisch, anti-Rechtsstaat und anti-Minderheiten. Sie verkannten die Naziverbrechen nicht als Vogelschiss der Geschichte. Im Gegenteil.

Es waren Menschen, die aufgrund ihrer moralischen Überzeugungen am 20. Juli den einzigen aussichtsreichen Versuch unternahmen, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu beenden. Sie hatten nicht die Absicht, sich die Macht zu nehmen, sie wollten die Macht in die Hände der zivilen Repräsentanten der Nation legen.

Widerstand kommt grundsätzlich immer zu spät, so Klaus von Dohnanyi. Und dennoch muss man sich bewusst machen: Nach dem Attentat, in den letzten neun Monaten des Krieges, starben noch einmal genau so viele deutsche Soldaten wie in den fast fünf Jahren zuvor. Hunderttausende Juden, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene, die Toten im Bombenkrieg und Soldaten in den Armeen der damaligen Kriegsgegner mussten noch sterben, weil Stauffenbergs Bombe scheiterte.

Peter Tauber, Jahrgang 1974, studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft. Er war von 2009 bis 2014 Mitglied des Deutschen Bundestags, von 2013 bis 2018 CDU-Generalsekretär und von 2018 bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Heute arbeitet er als Historiker und Politikberater.

Es ist kaum vorstellbar, wie viel Leid und Not und Sterben nach dem 20. Juli 1944 noch folgte – so auch für die Widerstandskämpfer, ihre Familien und alle Mitwisser.

"Man kann über Jana aus Kassel den Kopf schütteln"

Warum das Erinnern an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute noch wichtig ist, aber warum sich das Erinnern verändern muss und nicht mehr bloßes Erzählen sein kann, zeigt wohl wie in einem Brennglas die Episode von Jana aus Kassel, die sich wie Sophie Scholl fühlt, wenn sie in einem Rechtsstaat krude Kritik an den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie äußert.

Sie darf und kann das, ohne dafür vom Staat verfolgt und drangsaliert zu werden. Das müssen wir aushalten. Das Einzige, was Jana aushalten muss, ist, dass andere Bürgerinnen und Bürger ihr sagen, was sie von ihrer Aktion halten. Mehr Meinungsfreiheit war nie in der deutschen Geschichte.

Man kann über Jana den Kopf schütteln. Aber man muss sich eben angesichts der weitaus überlegteren Vereinnahmung des Widerstands durch den rechten Rand immer wieder die Frage stellen, wie das möglich ist. Hier wird die Tat selbst, der Widerstand, wie auch die Beteiligten behände aus dem historischen Kontext gerissen. Dies geschieht auch, weil die Generation des Widerstands nicht mehr lebt und folglich nicht mehr selbst widersprechen kann. Aus persönlich erklärten Geschichten wird von Dritten verklärbare Geschichte. Es ist also auch eine Aufgabe der Nachgeborenen, die Erinnerung wachzuhalten. Wir nehmen das persönlich.

Der Enkel lernte den Großvater nie kennen

Günther Smend, der Großvater von Percy, war einer der Beteiligten am Staatsstreich. Er diente als Adjutant des Chefs des Generalstabs, General Kurt Zeitzler. Smend versuchte, ihn für den Widerstand zu gewinnen, Zeitzler wies das Ansinnen zurück, aber er verriet seinen Adjutanten nicht. So war es bei allen Offizieren in der Wehrmacht, die man versucht hatte, für den Widerstand zu gewinnen. Keiner verriet die Männer des 20. Juli.

Günther Smend gehört nicht zu den bekannten Widerstandskämpfern. Aber durch seine Taten lernte der Enkel seinen Großvater nie kennen. Berthold Stauffenberg hat einmal gesagt, das meiste über seinen Vater wisse er von Historikern, von denen er meinte, dass diese seinen Vater besser kennen würden als er selbst. Peter kannte seine beiden Großväter, die auch beide den Krieg erlebt hatten. Er hatte das Glück, ihnen zu begegnen. Percy hatte dieses Glück nicht.

Als Beispiel bleibt der 20. Juli zeitlos

In der geplanten Regierungserklärung der Verschwörer heißt es: "Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts. (...) Zur Sicherung des Rechts und des Anstandes gehört die anständige Behandlung aller Menschen." Grund für das Handeln der Männer des 20. Juli 1944 waren also Werte und Normen, die heute in den Grundrechtsartikeln des Grundgesetzes zu finden sind. Die Würde des Menschen und das Recht waren zentrale Leitgedanken für die Diskussionen im Parlamentarischen Rat. Darum führt ein direkter Weg vom 20. Juli zum Grundgesetz. Die Tat ist somit konstitutiv für die Bundesrepublik.

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Gerade die Frage des wertegebundenen Handelns ist in einer Demokratie ein unverzichtbares Prinzip. Deshalb ist der 20. Juli ein zeitloses Beispiel. Er ist insofern gerade heute für junge Offiziere – zumal als Staatsbürger in Uniform – bedenkenswert, weil aus einer wertegebundenen Haltung zwingend ein Handeln erfolgt, das im Zweifel auch dazu führen kann, eigene Belange und Interessen zugunsten der Werte und Normen und der Ordnung, der man sich verpflichtet hat, hintanzustellen. Das historische Beispiel kann dabei auf jeden Einzelnen übertragen werden.

Warum die Männer des 20. Juli Vorbild sind

Nicht nur junge Menschen wünschen sich Vorbilder. Es geht nicht darum, dass man die Männer des 20. Juli zu Helden verklärt. Sie haben Brüche in ihrem Leben, waren nicht frei von Fehlern, haben Dinge getan und Ansichten vertreten, die wir nicht teilen mögen. Aber gerade darin liegt etwas, das wir heute mehr denn je brauchen. Es beginnt nicht erst mit dem Einsatz des eigenen Lebens.

Das Eintreten für Demokratie und Freiheit ist etwas, das wir jeden Tag einüben können. Wenn wir das Recht und den Anstand höher achten als unsere eigenen Interessen. Das klingt ganz einfach. Leider sehen wir auch, dass es eben nicht selbstverständlich ist. Die Männer des 20. Juli und ihr Tun und Denken sind deshalb auch heute noch inspirierend, beispielgebend und Vorbild für uns heute. Vorbild, mit Courage eigene Handlungsspielräume zu nutzen und widerständig zu sein, wenn Recht, Freiheit oder Menschenwürde zu verteidigen sind.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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