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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.SPD-Chef Lars Klingbeil Jetzt hat er freie Bahn

Lars Klingbeil steht am Zenit seiner Macht. Jetzt hat er freie Bahn – und muss gerade deswegen aufpassen.
Nun ist er am Ziel: SPD-Vorsitzender, Finanzminister, Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Eine Ämterfülle, wie sie lange kein Sozialdemokrat mehr auf sich vereinte. Keine Frage, Lars Klingbeil steht am Zenit seiner Macht.
Vor allem aber steht er weitgehend allein an der Spitze: In der SPD kann ihm derzeit niemand das Wasser reichen. Seit der Bundestagswahl hat Klingbeil die Partei systematisch auf sich zugeschnitten. Er holte seine Leute ins Kabinett, besetzte Schlüsselpositionen in Fraktion und Partei mit Vertrauten. Schon lange war kein Sozialdemokrat so unangefochten wie der frühere Mitarbeiter Gerhard Schröders. Lars Allmächtig.
Mit Bärbel Bas als designierter Co-Vorsitzenden und Tim Klüssendorf als Generalsekretär hat Klingbeil die letzten Puzzleteile seines Machtgefüges zusammengesetzt. Der Parteiapparat ist nun ganz auf Klingbeils Vorstellungen eingenordet. Die Protagonisten der neuen SPD verdanken ihre Stellung – mehrheitlich – ihm. Der kluge Netzwerker Klingbeil wird das zu nutzen wissen und auf die Loyalität der von ihm Beförderten bauen.
Letztes Hindernis aus dem Weg geräumt
Klingbeils Metamorphose zum Machtpolitiker im Stile Gerhard Schröders hat viel mit Saskia Esken zu tun. Die glücklose Co-Vorsitzende der SPD ging in der großen Personalrochade wie andere Altgediente leer aus. Esken kämpfte wochenlang um einen Platz am Kabinettstisch, nun bekommt sie weder ein Minister- noch ein hochrangiges Parteiamt. Die 63-Jährige ist die große Verliererin.
Monatelang wurde Esken von anonymen Heckenschützen in der SPD oder von anderen mit offenem Visier angegriffen. Brandenburgs SPD-Innenministerin Katrin Lange brachte ein Talkshow-Verbot ins Gespräch, sozialdemokratische Oberbürgermeister nannten Eskens Auftritte "parteischädlich". Auch in der SPD-Bundestagsfraktion wurde hinter vorgehaltener Hand über Esken gelästert.
Parteiführung ließ Esken-Debatte laufen
Vor allem aber ließ die SPD-Führung die Debatte laufen. Und als in den vergangenen Wochen die Posten verteilt wurden, sprach sich kein einziger SPD-Grande für einen Verbleib Eskens in der ersten Reihe der Politik aus. Auch Klingbeil schwieg lange – und beerdigte die parteiinterne Debatte erst, als Esken längst Schaden genommen hatte.
Ein führender Sozialdemokrat, der Klingbeil schon lange kennt, beschreibt Klingbeils Machtstil als "eine Mischung aus vorbildlichen Umgangsformen und einer Entschlossenheit, auch unangenehme, aber notwendige Entscheidungen zu treffen".
Klingbeil hat nun endlich das Notwendige getan – und Esken zum Rückzug gedrängt. Das Argument, dass die Frau bestraft werde und der Mann befördert, hatte nie wirklich getaugt: Hinter der Entscheidung, Esken auszutauschen, stand die Idee, die SPD wieder näher an die Menschen zu rücken. Programmatisch und eben auch personell. Dass die unbeliebte Esken (Wahlkreisergebnis 13 Prozent) kein Zugpferd der Partei sein kann, dämmerte irgendwann auch der SPD-Spitze.
Operation Saskia Esken
Für Klingbeil war die "Operation Saskia Esken" mehr als nur eine Frage der Neuausrichtung der SPD. Es war auch der Lackmustest für ihn persönlich, für die Frage, welche Art von Politiker er künftig sein will.
Klingbeil, so scheint es, hat seine Entscheidung getroffen: Er will vor allem ein erfolgreicher Politiker sein. Das klingt banaler, als es ist: Zwar hat der Niedersachse jetzt schon eine steile Karriere hinter sich, aber bislang schien er ohne größere Konflikte ausgekommen zu sein. Sein Politikstil – dialogisch, stets um Ausgleich bemüht – funktionierte bisher reibungslos in der SPD, er hat keine Parteigegner oder gar -feinde im eigentlichen Sinne.
Klingbeil, der selbst der konservativen Parteiströmung Seeheimer Kreis angehört, kann genauso gut mit Parteilinken wie Pragmatikern. Nur wenige sprechen schlecht über ihn. Ihm soll auch bei kontroversen Themen das Kunststück gelingen, am Ende seinen Willen durchzusetzen, ohne dabei seine Gegenüber zu verprellen. Am Ende fühlten sich sogar seine Kritiker wertgeschätzt – selbst wenn sie klein beigeben mussten.
Image des "netten Kerls"
Doch das Image des "netten Kerls" in der SPD musste irgendwann eine natürliche Schwelle erreichen. An die Spitze der Politik schafft es niemand, der nicht in der Lage ist, knallharte Machtpolitik zu betreiben, im Zweifel auch gegen das Interesse von Parteifreunden. Wer alles nur solidarisch und einvernehmlich lösen will, bindet zwar alle ein, kommt aber selbst nicht voran. Nett gewinnt kein Spiel.
Durchsetzungswille ist spätestens dann gefragt, wenn jemand partout nicht weichen will und einer Erneuerung der Partei im Weg steht. Das war bei Olaf Scholz im Herbst 2024 so, als einige in der SPD laut von einem Kanzlerkandidaten Boris Pistorius träumten, aber Scholz auf die Kandidatur bestand (und Klingbeil sie ihm nicht ausreden konnte). Und das war jetzt mit Saskia Esken so, die bis zuletzt versuchte, ihre Truppen in der SPD zu sammeln.
Dass Klingbeil Esken absägte, Scholz aber nicht, hatte auch damit zu tun, dass Scholz über das ultimative Machtmittel verfügte, um sich im Amt zu halten: die Kanzlerschaft. Aber noch etwas hat sich verändert: Jetzt hat Klingbeil die Partei in seiner Hand – und kann seinen inneren Machtpolitiker auch stärker herauslassen.
Die Kehrseite der Machtfülle
Für die SPD könnte das veritable Vorteile haben: Anstatt sich in endlosen internen Debatten gegenseitig zu zerpflücken, könnte Klingbeil endlich für eine SPD-Politik aus einem Guss sorgen. Viel zu oft haben sich die Wähler im Wahlkampf gefragt, wofür die SPD eigentlich steht in zentralen Themen wie Krieg und Frieden, Migration oder in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Klingbeil sollte das Momentum nutzen, um der SPD in ihrer historischen Krise einen klaren Kurs zu verpassen.
Daher ist es richtig, das Image des "netten Teddybärs" in der SPD beiseitezulegen, wie es Klingbeil nun getan hat. Der Parteichef hat einen Willen zur Macht, das ist nun für alle erkennbar. Potenzielle Hindernisse werden freundlich, aber bestimmt aus dem Weg geräumt.
Doch seine neue Machtfülle hat auch eine Kehrseite: Ab jetzt wird nicht mehr "gemeinsam gewonnen und gemeinsam verloren", wie es in der SPD-Spitze nach Wahlniederlagen stets hieß. Denn wenn die Macht auf eine Person zuläuft, so verhält es sich eben auch mit der Verantwortung: Sollten "seine" Ministerinnen und Minister patzen, sollte eine parteiinterne Debatte aus dem Ruder laufen oder die SPD bei den nächsten Landtagswahlen die nächste Schlappe einfahren, wird das auch Klingbeil zugeschrieben werden. Je mehr Macht er anhäuft, desto mehr kann Klingbeil verlieren.