Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umweltminister Carsten Schneider "Es ist kaum auszuhalten"

Hitzewellen, der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft, ein wachsendes Desinteresse am Klimaschutz: Der neue Umwelt- und Klimaschutzminister Carsten Schneider hat viel zu tun – und will einiges anders machen als seine Vorgänger. Wie stellt er sich das vor?
Carsten Schneider gehört nicht den Politikern, die ihren Humor verlieren, wenn sie ganz oben angekommen sind. Die (nicht gerade geistreiche) Pointe des Reporters über möglicherweise umweltschädliche Materialien in der von Schneider bewunderten Graffitikunst im 5. Stock des Umweltministeriums quittiert der SPD-Politiker grinsend mit: "Ein bisschen Spaß muss sein."
Die selbstironische Bemerkung passt vielleicht nicht zufällig zur politischen Agenda des neuen Umwelt- und Klimaschutzministers: Statt mit Dystopien und Weltuntergangsszenarien will Schneider die Leute mit positiven Alltagsbeispielen dazu bringen, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Er wolle daran erinnern, "was man als Gemeinschaft schon geschafft hat". Im Interview mit t-online spricht Schneider über drohende Dürreschäden, Ohnmachtsgefühle in der Klimakrise, die Zukunft von grünem Stahl – und warum er den Schnee in seiner Erfurter Heimat vermisst.
t-online: Herr Schneider, der vergangene Sonntag war der heißeste Tag des Jahres. Der Deutsche Wetterdienst hat auch in dieser Woche eine Hitzewarnung herausgegeben. Droht Deutschland ein Hitzesommer?
Carsten Schneider: Das Risiko dafür steigt jedenfalls. Die Wissenschaftler sagen uns, dass es in allen Regionen Deutschlands künftig mehr Hitzetage und mehr Trockentage geben wird. Für viele Menschen und Tiere ist das eine enorme Belastung. Wir spüren heute schon, wovor die Klimaforscher immer gewarnt haben.
Flusspegel sinken, in vielen Regionen dürfen Leute kein Wasser aus Brunnen entnehmen. Auf welche Einschränkungen und Dürreschäden müssen sich die Menschen in diesem Sommer einstellen?
Die Natur ist vielerorts schon gestresst durch die ungewöhnliche Dürre im Frühjahr. Auch die Wirtschaft ist betroffen, wenn etwa die Flüsse Niedrigwasser haben und die Frachter ausfallen. Viele dieser Folgen kann man durch gute Vorbereitung abmildern. Mehr Natur ist eine gute Verbündete gegen starke Hitze: Bäume, die Schatten spenden, Parks und Wasserflächen, die abkühlen, machen das Leben in den Städten erträglicher. Wir beraten die Kommunen in genau diesen Fragen und unterstützen auch konkret mit Fördermitteln.
Obwohl die Klimakrise im Alltag zunehmend spürbar ist, reagieren viele allergisch auf das Thema Klimaschutz. Warum?
Eine kleine Minderheit in der Gesellschaft leugnet den menschengemachten Klimawandel, das ist so. Ganz simpel gesagt: Wenn Sie eine Partei wie die AfD haben, die in manchen Gegenden stärkste Kraft ist, und die den Klimawandel abstreitet, dann setzt sich diese Meinung teilweise fest. Dabei sehen eigentlich alle die Klimaveränderungen. In meiner Erfurter Heimat gab es früher jeden Winter Schnee. Ich war damals gerne am Stadtrand an der Suhlequelle zum Skifahren. Heute gibt es vielleicht noch einmal im Jahr Schnee. Und im Sommer ist es verdammt heiß. Der Anger, das Zentrum von Erfurt, ist voll betoniert, es gibt kaum Schatten – im Sommer kaum auszuhalten.
Was treibt die Klimaleugner an, Ihrer Auffassung nach?
Das sind sicher in Teilen Verdrängungsreaktionen und Ohnmachtsgefühle. Ein Den-Kopf-in-den-Sand-stecken.
Was ließe sich dagegen tun?
Gegen das Gefühl von Ohnmacht hilft oft, sich an das zu erinnern, was man als Gemeinschaft schon geschafft hat. Ich weiß noch, wie schmutzig und stinkend die Flüsse und die Luft früher im Osten waren. Jetzt ist das Wasser sauber, es gibt wieder Fische, die Luft kann man atmen und die Wirtschaft ist produktiver als je zuvor.
Ich will keine Untergangsszenarien an die Wand malen.
Umweltminister Carsten Schneider
Wirtschaftskrise, Ukraine-Krieg, die Spätfolgen der Corona-Krise – und obendrauf wird die gesamte Gesellschaft auf Klimaneutralität getrimmt. Was sagen Sie Menschen, die sich davon schlicht überfordert fühlen?
Ich sage ihnen: Wenn wir es nicht hinbekommen, im Einklang mit unserer Erde zu leben, sondern weiter unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören, dann geht das für uns Menschen nicht gut aus. Es wird zu neuen Fluchtbewegungen kommen, zu Ernteausfällen, insgesamt zu Extremsituationen. Aber ich will keine Untergangsszenarien an die Wand malen. Noch ist das alles in unserer Hand. Und die Chancen des Klimaschutzes sind gerade für ein Technologieland wie Deutschland riesig.
Als Deutschland 2023 über ein neues Heizungsgesetz diskutiert hat, haben Hunderttausende noch schnell eine neue Öl- oder Gasheizung eingebaut. Was lernen Sie daraus?
Das ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen darf. Auch in meinem Bekanntenkreis haben sich Leute gegen meinen Rat noch schnell eine viel zu teure, weil zu dem Zeitpunkt heiß begehrte Gasheizung einbauen lassen. Jetzt werden sie in den nächsten Jahrzehnten viel zu teures Gas verfeuern.
Wo lag das Problem aus heutiger Sicht?
Ursache für diese Kurzschlussreaktion war auch ein politischer Fehler damals im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck. Es wurde zu hektisch agiert und zu wenig vorbereitet. Man muss den Menschen Zeit geben, sich auf Umstellungen vorzubereiten, und dafür sorgen, dass die neuen Alternativen samt Fördermitteln auch alltagstauglich zur Verfügung stehen. Dazu kamen jede Menge Falschinformationen über Wärmepumpen und das Heizungsgesetz.
Müssen sich die Menschen im Zuge der Transformation auch auf Verzicht einstellen?
Die Menschen in der unteren Einkommenshälfte, noch mehr im unteren Drittel, die prassen nicht. 38 Prozent der Alleinerziehenden können sich keinen einwöchigen Urlaub mehr leisten. Und das heißt nicht, mit dem Flieger irgendwohin zu reisen, sondern: Sie können ihren Kindern nicht einmal das Ferienlager bezahlen. Menschen, die arm sind, haben auch den geringsten CO2-Fußabdruck. Für diese Menschen darf die Klimawende keine weiteren Einschnitte bedeuten. Stattdessen geht es darum, wie wir unsere Energieversorgung und unsere Industrie umstellen und wie wir die, die einen sehr hohen CO2-Ausstoß haben, stärker heranziehen.
Mein Ziel ist es, Preissprünge zu vermeiden.
Umweltminister Carsten Schneider
Die CO2-Preise steigen aber für alle. Ab 2027 werden sie komplett über den Markt geregelt – und das heißt laut einigen Prognosen Preise von bis zu 200 Euro pro Tonne. Eine Durchschnittsfamilie, die mit Öl heizt, hätte dann jährliche Mehrkosten von fast 900 Euro zu stemmen.
Das darf nicht passieren. In Deutschland halte ich große Mehrbelastungen bis 2030 für unwahrscheinlich. Wir schauen uns das auch im EU-Umweltministerrat noch einmal genau an. Mein Ziel ist es, Preissprünge zu vermeiden. Denn wenn die Menschen keine Zeit zur Umstellung haben, hilft das dem Klima nicht, sondern belastet nur. Wir werden die CO2-Preise zudem über den EU-Klimafonds sozial abfedern. Da sind wir in der Vorbereitung.
Brauchen die unteren Einkommensschichten spürbare Entlastungen, um sie beim Klimaschutz mitzunehmen?
Klimaschutz geht nur mit sozialem Ausgleich. Das bedeutet zum einen, dass es über Förderprogramme Hilfen für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien gibt. Und zum anderen, dass es an anderer Stelle Entlastungen gibt, vor allem für die unteren Einkommensschichten. Die EEG-Umlage wird schon länger nicht mehr über den Strompreis finanziert, das hilft. Jetzt kommen weitere Entlastungen dazu, weil wir unter anderem die Netzentgelte senken.
Bei der Stromsteuer sollen die Entlastungen aber nur für Unternehmen gelten – und nicht für Verbraucher. Finanzminister Klingbeil muss dafür gerade ziemlich Kritik einstecken. War das die falsche Entscheidung?
Der Finanzminister hat zusammen mit dem Bundeskanzler und der zuständigen Wirtschaftsministerin einen Vorschlag gemacht, der finanzierbar ist. Wenn manche sich noch mehr Entlastung wünschen, müssen sie sagen, wie sie das finanzieren wollen. Das, was bisher vorliegt zur Strompreissenkung, also zum Beispiel die Senkung der Netzentgelte, ist ein guter Anfang. Diese Entlastungen über den Strompreis sind aus meiner Sicht auch der richtige Weg. Denn Haushalte mit niedrigem Einkommen spüren diese Entlastungen stärker im Geldbeutel als reichere. Und auch für das Klima sind niedrigere Strompreise gut, weil klimafreundliche Alternativen wie Elektroautos und Wärmepumpen dadurch attraktiver werden.
Der Haushaltsplan des Finanzministers sieht zudem vor, Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu nehmen, um klimaschädliches Gas zu vergünstigen. Ein Täuschungsmanöver?
Nein, das ist eine Entlastung der Verbraucher. Die Gasspeicherumlage ist eingeführt worden, um die Gasspeicher in einer Krisensituation zu füllen und das zu finanzieren. Sonst wären die Heizungen in Deutschland kalt geworden und die Industrie hätte nicht weiterarbeiten können. Das war eine Maßnahme von Robert Habeck, um die Energiesicherheit in Deutschland in einer Notlage zu gewährleisten. Diese Sicherheit gab es nicht zum Nulltarif, die muss bezahlt werden. Bisher lief das über die Energiepreise. Jetzt ist es gelungen, die Menschen dort spürbar zu entlasten. Das ist doch ein gutes Signal. Außerdem ist Gas zwar klimaschädlich, aber für den Übergang trotzdem noch die beste Ergänzung zu erneuerbaren Energien. Mit Gasspeichern wird unser Energiesystem effizienter und auch auf diesem Wege können wir den CO2-Ausstoß senken.
Aber warum werden Gaskunden ausgerechnet mit Geldern aus dem KTF entlastet? Was günstigeres Gas mit Klimaschutz und Transformation zu tun haben soll, erschließt sich uns nicht.
Der Bundeshaushalt insgesamt spiegelt die Prioritäten dieser Regierung wider. Und eine Priorität sind Investitionen. Für dieses Jahr sind Rekordinvestitionen von über 115 Milliarden Euro geplant. Allein 22 Milliarden davon gehen in die Bahn-Infrastruktur. Das ist eine enorm wichtige Weichenstellung für den Klimaschutz, im wahrsten Sinne des Wortes.
Es geht auch um Arbeitsplätze, die durch diese Absage bedroht sind.
Umweltminister Carsten Schneider
Der zweitgrößte Stahlkonzern der Welt, ArcelorMittal, hat seine Klimapläne in Deutschland gekippt und will doch nicht auf grünen Stahl umstellen. Das Projekt von Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck galt als "Meilenstein" der Energiewende. Hat sich der Traum von grünem Stahl zerschlagen?
Nein. Ohne grünen Stahl werden wir unsere Klimaziele reißen. Wir brauchen grünen Stahl auch, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes zu sichern. Daher werden wir die Nachfrage nach unserem grünen Stahl durch gezielten Einkauf stärken müssen. Im Fall von ArcelorMittal handelt es sich um einen sehr großen, weltweit tätigen Konzern, der seine Standorte in Teilen auch gegeneinander ausspielt.
Der Konzern argumentiert, der Umbau auf grünen Stahl sei kein "überlebensfähiges Geschäftsmodell". Ist das nicht sein gutes Recht, sich die besten Bedingungen zu suchen?
Wir haben für die beiden Standorte Eisenhüttenstadt und Bremen sehr viele Fördermittel mobilisiert. Insgesamt 1,3 Milliarden Euro. Die Entscheidung gegen diese Unterstützung und damit auch gegen den Standort Deutschland ist in meinen Augen nicht nachvollziehbar. Auch die Beschäftigten erwarten von ihrem Arbeitgeber zu Recht, dass er seine Zusagen einhält. Es geht auch um Arbeitsplätze, die durch diese Absage bedroht sind.
Aber wenn die Unternehmen nicht tun, was die Politik gerne hätte – wer ist dann auf dem Holzweg?
Es gibt keine Alternative zu grünem Stahl. Das weiß ArcelorMittal eigentlich. Drei andere Stahlunternehmen in Deutschland investieren in die neuen Technologien hier vor Ort. Das zeigt, dass es geht.
Wird die Bundesregierung die Absage einfach hinnehmen oder braucht es eine neue Stahl-Strategie?
Man darf sich jetzt nicht zu sehr ins Bockshorn jagen lassen von einem sehr großen, geschäftstüchtigen Konzern. Als drittgrößte Industrienation brauchen wir eine eigene Stahlindustrie in Deutschland, auch um uns vor den Turbulenzen auf dem Weltmarkt etwas zu schützen. Wir müssen also zügig handeln. Ein erster Schritt könnte ein Stahlgipfel sein, wie ihn auch Finanzminister Lars Klingbeil ins Gespräch gebracht hat.
Warum gibt es den Gipfel nicht längst?
Die SPD regiert nicht allein. Aber ich bin zuversichtlich, dass uns das mit der Union noch gelingt.
Am Freitag startet der Bundesparteitag der SPD. Das Motto lautet "Veränderung beginnt bei uns". Was bedeutet der Slogan für Sie?
Ich war als Ostbeauftragter Teil der letzten Bundesregierung und habe die schwere Wahlniederlage der SPD erlebt. Das darf nicht wieder passieren. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass wir wieder eine glaubwürdige Politik machen und unproduktiven Streit vermeiden. Vor allem aber muss wieder eine Stringenz erkennbar sein in dem, was man sagt und was man umsetzt. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.
Ich habe erlebt, wie ein ganzes Land untergegangen ist
Umweltminister Carsten Schneider
Macht die SPD nicht das Gegenteil? Gerade erst hatten einige SPD-Linke in einem "Friedensmanifest" eine Annäherung an Russland und weniger Aufrüstung gefordert – also das Gegenteil zur Regierungspolitik. Die SPD zeigt sich mal wieder so, wie die Leute sie noch aus dem Wahlkampf kennen: gespalten.
Ich finde, wir sind da sehr eindeutig und haben das auch innerparteilich längst mit großer Mehrheit beschlossen. Der Haushaltsentwurf von Finanzminister Klingbeil verzeichnet einen hohen Anstieg der Militärausgaben in den nächsten Jahren, mit denen wir das Land sicherer machen. Das ist in Zahlen gegossene Politik, mit klarer Botschaft. Ja, es gibt einzelne Stimmen, die das anders sehen. Wir sind eine Volkspartei, ich fände es komisch, wenn wir alle das Gleiche denken würden.
Der frühere Arbeitsminister Hubertus Heil sieht noch Diskussionsbedarf und forderte jüngst, die Partei müsse ihren Russlandkurs endlich klären. Eine Regierungspartei dürfe nicht "falsch abbiegen".
Ich halte das für zu hochgekocht. Das "Manifest" erhält viel Aufmerksamkeit und hat dafür zu wenig Substanz. Zu sagen, man müsse mit Putin wieder zusammenarbeiten, blendet die Realität aus. Der Mann bombardiert die Ukraine seit Jahren mit brutaler Härte. Ich weiß nicht, wie man ernsthaft die Forderung erheben kann, jetzt wieder eine Annäherung zu suchen. Wenn manche unserer 360.000 Mitglieder das anders sehen, können wir das aushalten.
Die Umfragen sehen bisher noch keine Erneuerung für die SPD. Halten Sie es für möglich, dass sich die Gesellschaft einfach weiterentwickelt hat und das sozialdemokratische Wählerklientel auf 16 Prozent geschrumpft ist – und daran nichts zu machen ist?
Ich habe erlebt, wie ein ganzes Land untergegangen ist und ein neues entstanden ist. Ich halte alles für möglich. Aber ich möchte das nicht und kämpfe für eine möglichst starke SPD. Aber klar, die Herausforderung ist groß. Blicken Sie nach Europa, in vielen Ländern sind sozialdemokratische, aber auch christdemokratische Volksparteien stark dezimiert. Es gibt keine Erfolgsgarantie, man muss sich jedes Mal wieder neu beweisen.
Ist die SPD in einer Existenzkrise?
Alle Parteien stehen heute permanent unter existenziellem Rechtfertigungsdruck und müssen jedes Mal erneut um Zustimmung kämpfen. Die Zeiten, in denen man 50 Jahre lang bei Wahlen um die 30 Prozent segelt, sind vorbei. Der politische Wettbewerb ist härter geworden. Ich bin aber optimistisch: Die SPD hat ein großes Wählerpotenzial. Das können und sollten wir wieder stärker ausschöpfen.
- Interview mit Carsten Schneider