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SPD-Parteitag: Lars Klingbeil bei Wiederwahl brutal abgestraft


Klingbeil auf SPD-Parteitag
Brutal abgestraft


Aktualisiert am 27.06.2025 - 21:08 UhrLesedauer: 5 Min.
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SPD-Chef Klingbeil: Kurze, aber knallige Zurechtweisung der linken SPD-Promis Ralf Stegner und Rolf Mützenich. (Quelle: Annegret Hilse/reuters)
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SPD-Parteitag in Zeiten der Krise: Bei seiner Rede präsentiert sich SPD-Chef Klingbeil als Zukunft der Partei, setzt aber kaum neue Akzente. Bei seiner Wiederwahl als Parteichef wird er brutal abgestraft.

Das kann er, ohne Zweifel: Kämpferische Reden halten.

SPD-Chef Lars Klingbeil steht am Freitag vor 600 SPD-Delegierten im Berliner CityCube und redet sich die Seele aus dem Leib. Er salbt und labt die Genossenherzen, warnt, poltert, verspricht, bittet um Verständnis und, ja, er entschuldigt sich auch.

"Ich weiß, ich habe Fehler gemacht", ruft er den Parteifreunden zu. Auch er habe das "katastrophale Wahlergebnis" im Februar zu verantworten und habe zu spät reagiert, als Ende 2023 die ersten Anzeichen der Wirtschaftskrise sichtbar waren. "Die Krise war da, aber die Sozialdemokratie war nicht voll da", so der Parteichef. Er spüre die Anspannung im Saal, sagt er, er sei selbst "angespannt".

Parteitag in Zeiten der Krise

Der SPD-Parteitag steht unter keinem guten Stern: Das historisch schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl im Februar steckt noch vielen in den Knochen. Doch es geht um mehr als nur eine Wahlschlappe: Die Sozialdemokratie, darin sind sich die meisten einig, befindet sich in einer historischen Krise. Um wieder Volkspartei zu werden, braucht die SPD neue Inhalte, neue Köpfe, eine neue Erzählung, sagen Parteistrategen. "Veränderung beginnt mit uns", so das vielsagende Motto des Parteitags.

Klingbeil selbst spricht die Existenzkrise seiner Partei in seiner Rede erstaunlich offen an. Er habe sich im Vorfeld des Parteitags gefragt: "Haben wir nicht vielleicht ein bisschen übertrieben? Braucht es die Sozialdemokratie noch?" Und mit Blick auf ungenannte "Leitartikler und Kommentatoren", die die SPD angeblich für tot erklärten, fragt Klingbeil: "Haben die nicht recht?"

Er habe lange darüber nachgedacht und könne "mit voller Überzeugung" sagen: "Die haben nicht recht, die liegen falsch."

Ob Klingbeil tatsächlich darüber nachgedacht hat, ob die SPD nicht ihr historisches Ablaufdatum erreicht habe, darf bezweifelt werden. Klingbeil will immerhin weiter SPD-Vorsitzender bleiben und, voraussichtlich, 2029 Kanzlerkandidat werden. Aber der vermeintliche Blick in den Abgrund soll etwas vermitteln: Klingbeil will beweisen, dass er SPD-Chef ist, weil er an die Sache glaubt, und nicht einfach, weil er ganz nach oben will.

Der mächtigste Sozialdemokrat seit Langem steht unter Rechtfertigungsdruck

Dass es überhaupt eine offene Frage ist, ob Klingbeil aus Überzeugung oder Machtinteresse die Parteigeschicke lenkt, ist mehr als ungewöhnlich. Es zeigt die Vertrauenskrise, in der auch Klingbeil selbst steckt. Der Parteichef muss den Genossen an diesem Wochenende beweisen, dass er die Machtfülle, die er zuletzt angehäuft hat, in den Dienst der Partei stellt. "Deswegen stehe ich heute hier. Nicht aus Selbstzweck, sondern weil ich alles dafür tun will, dass unsere Partei wieder stark wird und dass sie Aufstiegsgeschichten schreiben kann", erklärt er.

Es hat etwas Widersprüchliches: Klingbeil ist der mächtigste Sozialdemokrat seit Langem und muss doch um seine Stellung in der Partei kämpfen. Viele in der SPD haben noch nicht verdaut, dass Klingbeil als einer der Verantwortlichen des Wahldebakels noch mehr Macht anhäufte, zunächst nach dem Fraktionsvorsitz griff und später sich zum Vizekanzler und Finanzminister machte. Auch gefällt vor allem dem linken Parteiflügel nicht, wie gut Klingbeil sich mit Merz versteht, wo er diesen doch im Wahlkampf regelmäßig verteufelte.

Für Klingbeil geht es bei dem Parteitag aber nicht nur um die Rückgewinnung von Vertrauen oder um ein einigermaßen vertretbares Ergebnis bei seiner Wiederwahl am Freitagabend. Klingbeil will die Partei von Grund auf erneuern: personell und programmatisch. "Es geht darum, dass wir manches hinter uns lassen und vor allem, dass wir uns auch trauen, so manche schmerzhafte Frage neu zu beantworten."

Der Parteichef, so klingt es durch, sieht sich auf einer fast historischen Mission, die da lautet: Die SPD aus ihrer strukturellen Krise befreien und eine Sozialdemokratie der Zukunft schaffen.

Weg von der Status-Quo-Partei

Angesichts dieses ambitionierten Ziels setzt Klingbeil inhaltlich erstaunlich wenig neue Akzente. Sein Schwerpunkt ist die Erneuerung des sozialdemokratischen Aufstiegsversprechens, das zuvor schon Arbeitsministerin und neu gewählte SPD-Co-Chefin Bärbel Bas wortreich thematisierte. Ansonsten nennt Klingbeil die soziale Umverteilung und die moderne Einwanderergesellschaft als zentrale Themen, die im nun zu erarbeitenden Grundsatzprogramm vorkommen müssten.

Für SPD-Ohren mögen diese Signalwörter gut klingen, wie der gelegentliche Applaus der Delegierten belegt, doch beißen sie sich ein Stück weit mit der Regierungsrealität, in der sich die SPD aktuell befindet. "Es ist nicht linksradikal, die Verteilungsfrage in unserem Land zu stellen", ruft Klingbeil den Genossen zu und hat damit zwar – objektiv – Recht. Nur: Er stellt sie ja gar nicht, außer vielleicht auf einem Parteitag.

Bei Details bleibt Klingbeil vage

Denn im Koalitionsvertrag mit der Union konnte sich die SPD mit ihren Umverteilungswünschen nicht durchsetzen, entsprechend wenig darf man in den nächsten vier Jahren dazu erwarten. Die SPD mag das in ihr Grundsatzprogramm schreiben, aber Regierungspolitik wird das damit noch lange nicht. Klingbeil weiß: Soziale Umverteilung, etwa Steuererhöhungen, ist mit der Union nicht zu machen. Entsprechend allgemein bleibt er auch in seiner Rede bei dem Thema – wohl, um den Koalitionspartner nicht zu provozieren.

Spricht man mit SPD-Delegierten, ist genau das eines von Klingbeils Problemen: "Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was auf Parteitagen gesagt wird, und dem, was jeden Tag passiert", so ein Delegierter zu t-online im Anschluss an Klingbeils Rede. Ein anderes Beispiel sei das Konzept der modernen Einwanderungsgesellschaft, so der Delegierte: Klingbeil werbe dafür in seiner Rede, während die Koalition wenige Stunden zuvor den Familiennachzug aussetzt.

Ohrfeige für die "Manifest"-Genossen

Für Klarheit sorgt Klingbeil bei einem anderen Thema – dem russischen Angriffskrieg. Klingbeil stellt klar: "Wir Sozialdemokraten stehen an der Seite der mutigen Ukrainer und Ukrainerinnen. Und ich will das einmal klar und unmissverständlich sagen: Mit mir als Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Deutschlands wird es keinen anderen Weg in der Ukraine-Politik nicht geben. Das ist eindeutig."

Damit setzt Klingbeil das vorläufige Ende einer Debatte um das sogenannte "Friedensmanifest" prominenter Parteilinker. Eine Gruppe um die SPD-Abgeordneten Ralf Stegner und Rolf Mützenich hatte eine Annäherung an Russland und mehr Diplomatie im Ukraine-Krieg gefordert. Klingbeil setzt noch einen drauf: "Putin ist nicht Gorbatschow." Eine Friedenspartei im Jahr 2025 zu sein, sei etwas anderes als in den 80er Jahren.

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Die "Manifest"-Autoren um Stegner und Mützenich, denen oft vorgeworfen wird, in den Debatten der 80er Jahre hängengeblieben zu sein, dürften das Signal verstanden haben. Dass Klingbeil zwei Wochen verstreichen ließ, bevor er sich zu diesem klaren Statement durchrang, zuvor das Manifest sogar als "Debattenbeitrag" würdigte, dürfte ihm jedoch nicht unbedingt als Führungsstärke ausgelegt werden.

Denkzettel für Klingbeil – Nur 64,9 Prozent wollen ihn als Parteichef

Das beherzte Werben für seinen Kurs stellt sich später am Abend als vergeblich heraus. Klingbeil wird bei den Vorsitzwahlen von den SPD-Genossen brutal abgestraft: Nur 64,9 Prozent der SPD-Delegierten wollen Klingbeil weiter als Parteichef haben. Ein Denkzettel von historischem Ausmaß: Es ist das schlechteste Ergebnis eines Parteivorsitzenden ohne Gegenkandidaten in der Geschichte der Sozialdemokraten.

Zum Vergleich: Bärbel Bas wurde mit 95 Prozent als Klingbeils neue Co-Chefin gewählt. Ein Vorsprung von 30 Prozentpunkten, der sicher noch Folgen für das Verhältnis der beiden haben wird.

Im Anschluss an die Wahl spricht Klingbeil von einem "schweren Ergebnis" für ihn und nennt als möglichen Grund den neuen Russlandkurs, den er der SPD verschrieben hat. Doch, so verkündet Klingbeil den Delegierten an diesem Freitagabend, er werde dabei bleiben.

Verwendete Quellen
  • SPD-Parteitag
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