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Tagesanbruch: Irrwitzige Debatten – das ist nur noch absurd


Was heute wichtig ist
Können sich jetzt alle mal wieder einkriegen?

MeinungVon Florian Harms

08.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Kinderfasching.Vergrößern des Bildes
Kinderfasching. (Quelle: imago)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Kann es wirklich sein, dass Politiker und Journalisten in Deutschland tagelang erbittert über Toiletten und Kinderfaschingskostüme diskutieren? Haben wir hierzulande eigentlich keine anderen Probleme? Lauscht man vielen Spitzenpolitikern, liest man Zeitungen mit großen Buchstaben, scrollt man durch die Kapriolen der Twitter-Schickeria, bekommt man den Eindruck: Nein, haben wir anscheinend nicht. Selten erregen sich Sprachpolizisten einerseits und Kulturpessimisten andererseits so sehr wie in einer künstlich aufgebauschten Wertediskussion. Spricht man mit Frau Schmidt vom Bäcker um die Ecke oder mit Herrn Güzel vom Paketdienst, liest man die E-Mails vieler Tagesanbruch-Leserinnen und -Leser, bekommt man dagegen den Eindruck: Worum die anderen sich da gerade raufen, ist erstens völlig belanglos, wird zweitens maßlos überschätzt und findet drittens in einer Blase statt.

Das Vertrauen in Politiker und Journalisten schwinde, heißt es immer wieder. Studien belegen: Beide Berufsgruppen rangieren im Ansehen der Bevölkerung am unteren Ende. Das hat sicher viele Gründe, aber einer könnte sein, dass es sich zu viele Politiker und zu viele Journalisten in ihrer Blase gemütlich gemacht haben. Man wiegt sich in der wohligen Anerkennung Gleichgesinnter und setzt sich ungern dem kalten Wind heftiger Kritik oder bohrender Nachfragen aus. Das ist in der realen Welt nicht anders als in der virtuellen. Warum nehmen sich nicht mehr Politiker an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer ein Beispiel und gehen dorthin, wo die Bürger schon seit Jahren keinen leibhaftigen Volksvertreter mehr zu Gesicht bekommen haben, ob im Ruhrpott, in der Oberlausitz oder in Holstein? Auch wir Journalisten könnten uns öfter aus unseren Redaktionsräumen in die real existierende Alltagswelt bequemen, bevor wir zu jedem und allem eine Meinung in die Welt hinausjagen, und das meine ich durchaus selbstkritisch.

Kommt Überlebensangst hinzu, tönen die Sottisen besonders schrill. Zeitungen, die mit skandalisierten Titeln verzweifelt gegen den Auflagenschwund kämpfen, kriselnde Parteien und verunsicherte Politiker, die mit knalligen Tweets und gepfefferten Mikrofonsprüchen um Zustimmung heischen: Wer unter Druck steht, drückt schnell das erstbeste rote Knöpfchen, um Dampf abzulassen, twittert statt des zweiten nur den erstbesten Gedanken, wählt gern den lautesten statt den Zwischenton.

Deshalb sollte man mal ganz nüchtern feststellen: Wenn sich Kinder als Indianer, Scheich oder meinethalben sogar Priester verkleiden, steht Deutschland ebenso wenig am Abgrund, wie wenn irgendeine x-beliebige Kita eine dämliche Ansage macht. Weder das eine noch das andere ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise, auch dann nicht, wenn Parteichefs, Generalsekretäre und Leitartikelschreiber uns dies weismachen wollen. Es ist einfach nur: eine Petitesse, die zum Empörungsballon aufgeblasen wird. Einfach nur absurd. Der Ballon, die Blase, Politiker und Journalisten, die um sich selbst und ihre Vorlieben kreisen: Das kann man kritisieren, aber vielleicht ist es eine logische Folge unserer Wohlstandsgesellschaft. Vielleicht geht es manchen von uns einfach so gut, dass wir uns langweilen würden, könnten wir nicht ab und an einen Ballon steigen lassen.

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Für den Fall, dass dies tatsächlich so sein sollte, möchte ich hier aus der E-Mail eines Tagesanbruch-Lesers zitieren. Sie rückt ein paar Dinge gerade:

“Haben wir so viel Energie, um über einen Witz zu polemisieren?“, fragt er. “Haben wir im Bundestag Zeit, uns mit solchen Nebenschauplätzen zu befassen? Es gibt Wichtigeres, zum Beispiel den Klimawandel: Da müssen Schüler auf die Straße gehen – und die Politik macht nichts als abzuwarten. Da werden Autos manipuliert – und die Politik redet um den Brei herum, anstatt die Konzerne zu bestrafen und das Geld in die Bildung zu stecken. Die Bildung ist ein Stückwerk, 16 Bundesländer bestehen auf ihrer Bildungshoheit, Notenabschlüsse werden nicht anerkannt: Das ist der wahre Lacher der Nation. Die Bundeswehr ist am Boden und muss sich mit Ersatzteilen behelfen. Die Polizei hat 16 Polizeigesetze, jedes Bundesland wendet seines an, und keines ist bereit, für die Republik auf ein Stück zu verzichten. Entschuldigung, aber das regt mich auf: Diese Scheinheiligkeit und das Nichterkennen von Problemen, die wirklich wichtig sind und einer Lösung bedürfen!“

Wenn ich derlei lese, wünsche ich mir eine imaginäre Nadel, um den Ballon zum Platzen zu bringen. Damit in Politik und Medien wieder mehr Raum für andere Themen ist. Würde wahrscheinlich noch nicht mal peng! machen, sondern nur ein leises Pffft.


WAS STEHT AN?

Anlässlich des Weltfrauentags stellt die OECD heute einen Bericht zur Geschlechtergerechtigkeit vor. Er analysiert, wo und wie Frauen (oder auch Männer) durch Gesetze, soziale Normen und Praktiken diskriminiert werden – und macht Vorschläge, wie sich das ändern lässt.

In Berlin steigt am Abend eine Veranstaltung unter dem Motto “Kommt zusammen! Für ein Europa der Frauen“, dabei sind SPD-Chefin Andrea Nahles, Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Bundesjustizministerin Katarina Barley. Vorher hat Barley, die bekennende Feministin ist, meinen Kollegen Franziska von Kempis, Marc von Lüpke und Axel Krüger noch schnell ein Interview gegeben. Gibt es schon Gleichberechtigung in Deutschland? Nein, sagt sie, Frauen müssen sogar kämpfen, um das Erreichte zu verteidigen. Die größten Probleme sieht sie in der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen sowie in der schwindenden Zahl von Parlamentarierinnen im Bundestag. Sie hat aber auch konkrete Ideen, wie die Gleichberechtigung vorangetrieben werden kann. Welche das sind, lesen Sie hier.


Bundespräsident Steinmeier besucht heute Neumünster in Schleswig-Holstein, redet mit Bürgern und lässt sich das Projekt “New Ways for Newcomers“ zeigen: Einheimische vermitteln Flüchtlingen und Zuwanderern gesellschaftliche Regeln wie Demokratie, Menschenrechte und Gleichstellung.


WAS LESEN?

"Deutschland und Europa müssen in Zukunft führender Standort für künstliche Intelligenz sein", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit t-online.de. Kurz darauf legte die Bundesregierung ihren Plan vor, wie das gelingen soll. Der KI-Forscher Florian Gallwitz von der Technischen Hochschule Nürnberg hat das Papier gelesen – und ist entsetzt. Im Gespräch mit meiner Kollegin Laura Stresing erklärt er, warum Deutschland aus seiner Sicht mit dieser Strategie erneut wertvolle Zeit zu verlieren droht.

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Michael Jackson als Monster: Eine TV-Dokumentation will den Popstar als Missbrauchstäter enttarnen – und löst heftigen Streit aus. Darf man jetzt noch unbekümmert "Billie Jean" mitsingen? Unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold lichtet das Dunkel.


Er war der Inbegriff des “Sechsers“, kämpfte, rackerte, sammelte Titel: 402 Mal lief Torsten Frings in der Bundesliga auf, bis seine Karriere in Kanada auslief. Seit seiner Freistellung als Trainer in Darmstadt vor gut einem Jahr ist es um den 42-Jährigen ruhig geworden – bis jetzt: Im Interview mit unserem Sportchef Robert Hiersemann spricht Frings über die Veränderungen im Profifußball, den Druck im Leben eines Trainers und einen ganz besonderen Kumpel.


WAS SPIELEN?

Gute Videospiele vereinen das Beste aus allen Kunstformen: Sie bieten die Bildgewalt eines Filmes, die mitreißende Geschichte eines Buches und die Emotionalität von Musik. Doch da der Spieler mittendrin mitmischt, kann er das ganze Spektakel auf einer anderen Ebene erleben, als es beispielsweise ein Film ermöglicht. Kein Wunder, dass die Branche boomt. Um das Thema in all seinen Facetten darzustellen, haben Ali Roodsari und seine Kollegen in unserem Digitalressorts eine eigene Rubrik zu Videospielen aufgesetzt. Schauen Sie doch mal hinein.


WAS AMÜSIERT MICH?

Es gibt zwei Arten von Menschen: solche und solche. Aber was heißt das konkret? Na das.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Freitag und dann ein schönes Wochenende. Den ausführlichen Audio-Tagesanbruch bestreiten morgen meine Kolleginnen Tatjana Heid, Juliane Wellisch und Laura Stresing. Kommende Woche schreibt mein Kollege Peter Schink den Tagesanbruch. Ich bin ab Samstag, 16. März, wieder für Sie da – zum Hören und zum Lesen. Bleiben Sie uns gewogen!

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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