Was heute wichtig ist Deutschland fährt eingleisig
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
für die vielen E-Mails in den vergangenen Wochen bedanke ich mich herzlich. Lob war ebenso dabei wie Kritik und gute Anregungen. Eine davon: Bitte wieder etwas pointierter schreiben, Herr Harms! Also los:
WAS WAR?
Imponierende Aufwärtskurve in der Grafik da oben, oder? Keine Frage: Auto-Deutschland ist aufgewacht. VW, BMW, Mercedes und sogar Audi haben den Tesla-Schock verdaut und in Kreativität umgewandelt. In allen Häusern wird mit Karacho an Konzepten für Elektromobilität gewerkelt. 83.175 reine Elektroautos düsen schon in Deutschland herum, meldet das Kraftfahrt-Bundesamt. Angesichts von 47 Millionen Pkw sind das zwar a) immer noch verschwindend wenig und dürfte b) das Ziel der Bundesregierung, bis 2022 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen, unerreichbar sein. Aber hey, der Trend zählt, oder? "Wenn eines Tages die Autos elektrisch und autonom fahren, kann sich das auch die Seniorin mit einer kleinen Rente leisten, und die Umwelt wird geschont", verspricht Wirtschaftsminister Altmaier. Klingt doch super! Also auf zum nächsten The…
Moment bitte. Zwei Absätze hätte ich dazu schon noch zu sagen. Ja, Optimismus ist schön, und ja, toll, dass die Autoindustrie endlich einen E-Zahn zulegt. Das ist doch aber zugleich auch das Problem: Wenn es um alternative Antriebe geht, die wir angesichts der Klimakrise dringend entwickeln müssen, steht hierzulande ausschließlich die Elektromobilität auf der Agenda. Verkehrsminister Scheuer will die Marschroute jetzt auch noch mit Euro zubetonieren: Er verlangt eine Milliarde zusätzlich aus dem Haushalt, um Ladestationen zu fördern. Abgesehen davon, dass er die vom gestrengen Olaf wohl kaum bekommen dürfte, frage ich mich: Warum diese Verengung auf E-Autos? Warum wird die Entwicklung von Brennstoffzellen-Antrieben nicht ebenfalls mit Karacho erforscht und gefördert, damit könnten doch a) Pkw schneller geladen werden, b) weiter fahren und sind c) obendrein nicht von AKWs, Kohlekraftwerken und hässlichen Windrädern abhängig?
Immer, wenn ich diese Frage stelle, ruft ein Experte wie aus der Pistole geschossen: WEIL BRENNSTOFFZELLEN-TECHNIK AUFWENDIG IST UND TEUER IST UND NOCH LANGE NICHT SERIENREIF IST UND ÜBERHAUPT, MANNOMANN!! Dann bin ich immer ganz kleinlaut und trolle mich. Verstehe halt zu wenig von Technik. Aber im Stillen denke ich mir: Hey, die Japaner schaffen es doch auch. Toyota und so. Und hey, die Weiterentwicklung der E-Mobilität dauert doch ebenfalls noch Jahre, warum also nicht parallel auf zwei Technologien setzen und dann schauen, welche sich durchsetzt? Zweigleisig fährt es sich doch besser als eingleisig. Monopole sind einer schnellen Entwicklung nie förderlich, auch technische Monopole nicht. Aber vermutlich könnte man sonst nicht so tolle Grafiken wie die da oben rumzeigen und nicht so vollmundige Versprechen geben. Rumzeigen und Versprechen aber, so viel habe ich gelernt, stehen in den Bundesministerien und bei den Autoherstellern gerade hoch im Kurs. Imponierend? Na ja.
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War sonst noch was? Ach ja: Das britische Parlament hat gestern zu später Stunde schon wieder alle Brexit-Alternativen abgelehnt. The same procedure as every week. Aufregender war der Protest halbnackter Klimaschutzdemonstranten im Unterhaus. Wer’s mag.
WAS STEHT AN?
Heute stellt Bundesinnenminister Seehofer die Polizeiliche Kriminalstatistik vor – und wie in jedem Jahr wird anschließend damit Politik gemacht: Sind die Deliktzahlen rauf- oder runtergegangen? Was wurde aufgeklärt, was nicht? Das Zahlenwerk bietet für jeden Geschmack (und jedes Vorurteil) etwas – und scheint Politikern aller Couleur gerade recht zu kommen, wenn es darum geht, zu zeigen, dass a) entweder alles! immer! schlimmer! wird oder b) es noch nie so gut lief wie heute. Dabei braucht man gar kein Verschwörungstheoretiker zu sein, um festzustellen, dass die Statistik Schwächen hat. Die sind Fachleuten nämlich seit Jahren bekannt. Unser Kriminalreporter Dietmar Seher ist dem Phänomen auf den Grund gegangen. Seinen aufschlussreichen Text sollten Sie gelesen haben, wenn die Kommentare der Politiker heute über die Bildschirme flimmern.
Auch Bundesfamilienministerin Giffey stellt heute einen Bericht vor, bei ihr geht es um Islamismus im Internet. Untersucht wurde, wie Fundamentalisten Kinder und Jugendliche über Social Media anwerben. Ein effektiver Weg, Anhänger, aber auch künftige Terroristen zu rekrutieren. Die deutschen Nachrichtendienste, weiß ich aus anderen Quellen, schätzen die Gefahr des "hausgemachten" und über soziale Medien befeuerten Terrors derzeit deutlich höher ein als die des importierten.
In der Politik wird viel über Menschen am unteren Ende der Wohlstandskette geredet. Keine Frage, für sie muss etwas getan werden. Aber dabei sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, wer die Basis der Gesellschaft bildet, wer die meisten Steuern zahlt, Kinder und Enkel großzieht, wichtige Jobs übernimmt – und trotzdem oft den Eindruck hat, von der Politik im Stich gelassen zu werden: Die Mittelschicht in Deutschland steht unter Druck. Das ist nicht einfach so dahingesagt und das betrifft nicht nur unser Land, es lässt sich weltweit mit Zahlen belegen, wie ich hier kürzlich beschrieben habe.
Der Journalist Daniel Goffart hat dem Phänomen ein Buch gewidmet, heute stellt er es vor: "Das Ende der Mittelschicht. Abschied von einem deutschen Erfolgsmodell". Seine These: Deutschland entmündigt sich selbst – und zwar mit jedem Klick bei Apple, Google und Facebook. Die Digitalisierung werde zum "Vernichtungsfeldzug auf dem Arbeitsmarkt. Hunderte Berufe verschwinden, und niemand weiß, wie unsere sozialen Sicherungssysteme überleben sollen." Die Politik habe keine Antworten darauf, sagt Goffart. Also versucht er sich selbst daran. Klingt apokalyptisch, ist aber lesenswert.
Das Oberlandesgericht Dresden verkündet heute sein Urteil im Prozess gegen die frühere AfD-Chefin Frauke Petry. Ihr wird Meineid vorgeworfen. Es ging um Darlehen für die Wahlkampffinanzierung.
WAS LESEN? IN EIGENER SACHE:
Der Herr dort oben links zählt zu den lässigsten Leuten, die ich je getroffen habe. Ist schon ein Weilchen her, wie man an der Physiognomie des Herrn rechts daneben sieht. War aber wirklich sehr lässig. Ist er immer noch: Udo Lindenberg mag keine 20 mehr sein, aber Energie hat er wie ein junger Hüpfer. Im Mai hüpft er wieder über die Bühnen und rockt von Berlin bis München mehr als 20 Konzerte. "Wir ziehen in den Frieden" lautet die Botschaft seines neuen Songs, mit dem er gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk Unicef ein Zeichen für den Frieden setzt. Gemeinsam haben sie die Aktion "Gestalte dein Peace-Zeichen" ins Leben gerufen. Getreu seinem Motto "Stell dir vor, es ist Frieden und jeder geht hin!" fordert Udo die Menschen damit auf, Teil einer neuen Friedensbewegung zu werden. Bei der kreativen Aktion können Fans Peace-Zeichen gestalten, die auf der Tour zum Teil des Bühnenbilds werden. t-online.de begleitet die Aktion und verlost gemeinsam mit Unicef unter allen Einsendern 5 mal 2 "Meet & Greet"-Treffen mit Udo Lindenberg. Lässig, oder?
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WAS AMÜSIERT MICH?
So, so, auf Willen von Herrn Spahn sollen wir nun also alle zu Organspendern werden. Kann das in der Praxis funktionieren? Ich denke nicht.
Ich wünsche Ihnen einen geistreichen Tag.
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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