VerdÀchtiger Stephan E. hat lange Neonazi-Vergangenheit
Die Bundesanwaltschaft geht von einem rechtsextremen Anschlag auf CDU-Politiker Walter LĂŒbcke aus. Der VerdĂ€chtige Stephan E. ist einschlĂ€gig vorbestraft â und war in einem SchĂŒtzenverein aktiv.
Der Anschlag auf den Kasseler RegierungsprĂ€sidenten Walter LĂŒbcke ist nach EinschĂ€tzung der Ermittler eine Tat mit rechtsextremem Hintergrund. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte am Montag, es gebe bislang zwar keinen Hinweis, dass der dringend tatverdĂ€chtige Stephan E. Teil eines rechtsterroristischen Netzwerks sei. Sein Vorleben und seine ĂuĂerungen legten aber einen rechtsextremistischen Hintergrund nahe.
SpezialkrĂ€fte hatten den 45-jĂ€hrigen E. am frĂŒhen Samstagmorgen in Kassel festgenommen. Seit Sonntag sitzt er wegen dringenden Mordverdachts in Untersuchungshaft. Die Festnahme erfolgte den Angaben zufolge "aufgrund eines DNA-Spurentreffers". Hautschuppen des VerdĂ€chtigen sollen bei dem Getöteten gefunden worden sein. E. schweigt nun offenbar..
Versuchter Totschlag und Rohrbombenanschlag
Im Laufe des Montags hatten Medien berichtet, dass der Mann mit Taten in der rechtsextremen Szene aufgefallen ist: Nach Informationen von "Zeit Online" wurde er wegen eines Vorfalls im November 1992 wegen versuchten Totschlags verurteilt. Er hatte damals auf der Toilette des Wiesbadener Hauptbahnhofs einen Mann mit Migrationshintergrund mit einem Messer angegriffen und lebensgefÀhrlich verletzt.
Ein Jahr spĂ€ter wurde er laut "SĂŒddeutscher Zeitung" fĂŒr die Beteiligung an einem Rohrbombenanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenroth zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Der damals 20-JĂ€hrige stammt aus Bayern, lebte aber zu dieser Zeit im hessischen Taunus. Damals begrĂŒndete er seine Tat unverhohlen mit auslĂ€nderfeindlichen Motiven.
In den folgenden Jahren war er in der NPD aktiv, wie Fotos zeigen. In seinem Umfeld gibt es Leute, die die militante Gruppe "Combat 18" aufgebaut haben, die SchieĂtrainings machten und ĂŒber WaffenkĂ€ufe sprachen.
Angriff auf DGB-Kundgebung in Dortmund
Nach Informationen von "Spiegel Online" wurde der Mann dann wieder verurteilt, weil er sich 2009 an Ausschreitungen von Neonazis in Dortmund beteiligt hatte. Er erhielt eine Strafe von sieben Monaten auf BewĂ€hrung wegen Landfriedensbruchs. Neonazis hatten dort eine Kundgebung des DGB zum 1. Mai angegriffen. Wenige Jahre spĂ€ter, im Jahr 2015, bat die Linksfraktion im hessischen Landtag dann den Verfassungsschutz um Informationen ĂŒber den Rechtsextremisten â allerdings ohne Antworten zu erhalten.
Der 65-jĂ€hrige LĂŒbcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb kurz darauf. Seither ermittelte eine 50-köpfige Sonderkommission â und konnte am Samstag den dringend TatverdĂ€chtigen festnehmen.
Seit zehn Jahren im SchĂŒtzenverein
Bei einem SchĂŒtzenverein im Raum Kassel wunderten sich vielleicht am Sonntag manche, Stephan E. an dem Tag nicht zu sehen. "Er war sonntags eigentlich immer da zum BogenschieĂen", sagte der Vorsitzende zu t-online.de. Der zweifache Vater Stephan E. war demnach groĂer Fan des BogenschieĂens und im Vereinsvorstand dafĂŒr zustĂ€ndig.
Mit anderen Waffen habe E. sich im Verein nicht beschÀftigt. "Es muss ja auch nicht jeder an die Schusswaffen." Ihm sei auch nicht bekannt, dass E. eine solche Waffe gehabt hÀtte.
Der Vereinschef hat durch einen Anruf von Medien erfahren, dass eines der 170 Mitglieder im Verdacht steht, den RegierungsprÀsidenten getötet zu haben. Er hat sich dann auch mit Vorstandskollegen besprochen. Der Verein habe sich nichts vorzuwerfen. "Und ich kann mir das auch immer noch nicht vorstellen", sagte er zu t-online.de. "E. ist ein ruhiger Typ, ich habe nicht erlebt, dass er sich mal aufregt." Privat habe er wenig mit dem Mann zu tun gehabt, und man könne ja niemandem hinter die Stirn schauen.
LĂŒbcke hatte seit 2015 Morddrohungen erhalten
Der getötete RegierungsprĂ€sident LĂŒbcke hatte seit 2015 immer wieder Morddrohungen erhalten und zeitweise unter Polizeischutz gestanden. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sagte t-online.de, es verwundere sie ĂŒberhaupt nicht, dass ein einschlĂ€gig bekannter Neonazi als dringend TatverdĂ€chtiger verhaftet worden sei. "Es war leider nur eine Frage der Zeit, bis auf die massive Mordhetze von Rechtsextremen, Neonazis und Rassisten gegen Andersdenkende auch wieder entsprechende Taten folgten."
Linke, BĂŒndnis 90/GrĂŒne und FDP haben eine Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag beantragt, bei der die Sicherheitsbehörden ĂŒber den bisherigen Ermittlungsstand und die Sicherheitslage Rede und Antwort stehen sollen.
FDP-Politiker fordert Zeitenwende
Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagte t-online.de: "Dieses Ereignis muss eine Zeitenwende beim Umgang mit Rechtsextremismus in Deutschland einlĂ€uten." Es brauche insbesondere eine harte Abgrenzung bĂŒrgerlicher Parteien nach rechts.
FĂŒr die Sondersitzung sprach sich auch der AfD-Innenpolitiker Martin Hess aus, selbst Polizist: "Nachdem es den Verdacht eines politischen Motivs beim TĂ€ter gibt, befĂŒrworte ich eine Sondersitzung." Es mĂŒsse alles getan werden, um die Tat lĂŒckenlos aufzuklĂ€ren "und Extremismus, egal welcher Form, effektiv zu bekĂ€mpfen".
Die Nachricht von möglichen Verbindungen ins rechtsextreme Milieu hatte am Sonntag in sozialen Netzwerken sofort vielfÀltige Reaktionen ausgelöst. Auch ohne nÀhere Informationen waren viele Forderungen laut geworden, den Kampf gegen rechte Gewalt zu verstÀrken.
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Ein Braunschweiger Neonazi postete dagegen in einer Instagram-Story SolidaritĂ€tsgrĂŒĂe, zugleich verbunden mit der Drohung aus einem alten Revolutionslied, die "hohen Herren" wĂŒrden an Laternen hĂ€ngen. Auf das Bild war der Fotograf David Janzen gestoĂen, der in einem Braunschweiger "BĂŒndnis gegen rechts" aktiv ist.