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Kalter Krieg: So jagten deutsche Geheimdienste die russischen Spione


Geheimer KGB-Bericht aufgetaucht
So jagten deutsche Geheimdienste die russischen Spione


30.12.2021Lesedauer: 4 Min.
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Passanten vor der Freien Universität Berlin, 1954: Ein Verbrechen in Berlin lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg wach werden.Vergrößern des Bildes
Passanten vor der Freien Universität Berlin, 1954: Ein Verbrechen in Berlin lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg wach werden. (Quelle: ullstein-bild)

Im Kalten Krieg belauerten sich die Geheimdienste an der Front, die sich als Eiserner Vorhang durch Deutschland zog. Ein ehemals geheimer Bericht der Sowjets enthüllt Details über das Kräftemessen im Verborgenen.

Der von Russland beauftragte Mord in der deutschen Hauptstadt lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg aufkommen, als das damals geteilte Deutschland zum Schauplatz einer geheimen Schlacht wurde. Die Nachrichtendienste des Westens und des Ostens belauerten sich in Bonn, Berlin und der Provinz. Doppelagenten und Überläufer wurden eingeschleust und enttarnt. Es war ein Verwirrspiel um Informationen, wirtschaftliche und militärische Überlegenheit und die öffentliche Meinung.

KGB-Lehrbuch für Spione

Ein von sowjetischen Spionen verfasster Bericht über deutsche Nachrichtendienste gibt ungeahnte Einblicke in die damalige Arbeit der deutschen Spionageabwehr. Das 178 Seiten starke Dokument ist vom litauischen "Genocide and Resistance Research Centre" gesichert und zugänglich gemacht worden, liegt t-online in Gänze vor und wurde 1967 an der Hochschule des KGB in Moskau erstellt. Es handelt sich dabei um ein Lehrbuch, das zur Ausbildung eingesetzt wurde. Sowjetische Spione sollten damit unter anderem auf ihren Einsatz in der Bundesrepublik vorbereitet werden.

Die darin enthaltenen Informationen dürften aus gut unterrichteter Quelle stammen: Der Chef der deutschen Spionageabwehr beim Bundesnachrichtendienst hatte sich damals kurz zuvor zum Entsetzen der Republik als Maulwurf des KGB entpuppt.

Dem Bericht zufolge wurden sowjetische Bürger schon bei der Einreise überprüft. Der KGB war überzeugt: Sobald ein Einreisevisum beantragt war, überprüften die deutschen Dienste ihre Unterlagen und die der Nato-Verbündeten, befragten außerdem ihre Kontaktpersonen. Stellten die Ermittler dabei verdächtige Verbindungen fest, führte das allerdings längst nicht immer dazu, den Aufenthalt zu verweigern. Vielmehr wurden die Personen ins Land gelassen, um sie anschließend zu überwachen.

Köche, Diplomaten, KGB

Entweder wurden sie heimlich beobachtet, um Informationen über sie zu sammeln, oder ganz offen – also "demonstrativ" – um sie an ihrer Spionage zu hindern und einzuschüchtern. Auch eine Kombination aus Überwachungsmethoden war möglich. So ließ sich beispielsweise das offene Überwachungsteam absichtlich abschütteln – nur damit die heimlichen Beschatter darauf vertrauen konnten, dass die Zielperson glaubte, sich nun endlich der Kontrolle entzogen zu haben.

Anekdotisch werden im KGB-Bericht mehrere Vorfälle geschildert: Ein an der sowjetischen Botschaft als Koch beschäftigter Mann hatte zuvor bereits in Großbritannien den Militärgeheimdienst unterstützt und war dabei der britischen Spionageabwehr aufgefallen. In Deutschland wurde er dann engmaschig überwacht und gelegentlich zur Polizei vorgeladen – offenbar um seine Spionagetätigkeit in Deutschland so schwierig wie möglich zu machen.

Auch ein sowjetischer Diplomat wurde trotz seiner Spionagetätigkeit ins Land gelassen, um die diplomatischen Beziehungen nicht zu gefährden. Sobald er eingereist war, wurde er allerdings offen überwacht. "Faktisch" sei er so an der nachrichtendienstlichen Arbeit gehindert worden, heißt es in dem Bericht. Schließlich sei er unverrichteter Dinge wieder abgereist. Ein weiterer Diplomat sei durch die Überwachung als Spion aufgeflogen und sei abgereist, bevor er öffentlich enttarnt werden konnte. Ein Militärgeheimdienstler sei nach langer Überwachung verhaftet und verurteilt worden.

Hinweise von Nachbarn und Kellnern

Wie solche Überwachungen aussahen, schildert der Bericht ebenfalls: An Arbeits- und Wohnorten wurden die Spionageverdächtigen fotografiert und abgehört, in Hotels und Pensionen persönliche Gegenstände inspiziert. Agenten wurden verdeckt auf sie angesetzt, Kontaktpersonen zu den Verdächtigen befragt. Angeblich bemühten sich die deutschen Spione um Informanten: Nachbarn, Hausmeister, Türsteher, Kellner, Hotelangestellte gaben wohl nützliche Hinweise, wenn sie dazu bereit waren. Vor der Tür der Sowjet-Botschaft stand ohnehin rund um die Uhr ein Polizeiposten.

Unternahmen die Verdächtigen eine Reise, wurden sie dabei den Erkenntnissen des KGB zufolge von sieben bis acht Personen starken Teams der Spionageabwehr mit drei bis fünf Fahrzeugen beschattet. Dabei blieben die Verfolger in gegenseitigem Funkkontakt und wechselten regelmäßig die Nummernschilder. Polizeiposten waren angeblich verpflichtet, Fahrzeuge der sowjetischen Botschaft sofort zu melden. So sollten alle möglichen Informationen über ihre Kommunikation, ihre Reisen, ihr Verhalten, ihre Gewohnheiten und ihren Lebensstil gesammelt werden.

Der Leitfaden der westlichen Dienste

Um sowjetische Spione beispielsweise unter Mitarbeitern der sowjetischen Botschaften, Konsulate und Handelsmissionen zu identifizieren, hatten britische, deutsche und US-Geheimdienste dem KGB-Bericht zufolge einen gemeinsamen Leitfaden entworfen. Verdächtig machte sich demnach:

  • wer auffällig vertraut mit Formen und Methoden der Überwachung war und die Absicht erkennen ließ, sich dieser zu entziehen;
  • wer an diplomatischen Vertretungen Positionen bekleidete, die keine speziellen Vorkenntnisse erforderten;
  • wer Positionen bekleidete, mit denen er offenkundig nicht besonders vertraut war;
  • wer Positionen innehatte, die bereits zuvor von Spionen als Tarnung verwendet wurden;
  • wer zu rasch befördert wurde oder sich unüblich lange im Land aufhielt.


Das technische Personal der sowjetischen Einrichtungen wurde auch besonders daraufhin beobachtet, ob es sich beispielsweise für abgelegene und unzugängliche Orte interessierte, im Alleingang Restaurants und Kneipen besuchte oder sich proaktiv mit westdeutschen Bürgern verabredete.

Die Ausforschung einmal identifizierter Spione hatte demnach aus Sicht der deutschen Geheimdienste mehrere Vorteile: Einerseits konnten so Informationen über ihre Verbindungen, Formen und Methoden ihrer Arbeit und der des KGB gewonnen werden. Andererseits ergaben sich mitunter vielleicht Möglichkeiten, sie zum Überlaufen zu bewegen – oder aber zum geeigneten Zeitpunkt auffliegen zu lassen und in der Presse bloßzustellen.

Um nachverfolgen zu können, welchen Schaden Überläufer aus den eigenen Reihen oder enttarnte Agenten anrichten konnten, führte der Bundesnachrichtendienst laut KGB ein "Wer-kennt-wen"-System. Denn längst nicht jeder Mitarbeiter kannte die Abläufe im Detail. Viele im Außeneinsatz kannten nur Tarnnamen und Adressen.

Indem also nachgehalten wurde, welche Mitarbeiter miteinander in Kontakt standen und welche Kenntnisse sie übereinander besaßen, konnte auch ermittelt werden, welche Mitarbeiter gefährdet waren – wenn wieder einmal Agenten aufflogen oder überliefen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • The Genocide and Resistance Research Centre of Lithuania
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