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Putin hat Rachegelüste, Großmachtswahn und Gier: Wie weit geht er noch?


Tagesanbruch
Angst breitet sich aus

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 25.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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24. Februar 2022: Russischer Beschuss hat den ukrainischen Grenzschutz in der Region der ukrainischen Hauptstadt Kiew zerstört.Vergrößern des Bildes
24. Februar 2022: Russischer Beschuss hat den ukrainischen Grenzschutz in der Region der ukrainischen Hauptstadt Kiew zerstört. (Quelle: Reuters-bilder)

Liebe Leserin, lieber Leser,

mein Name ist Steven Sowa und ich habe heute keine guten Nachrichten für Sie. Der Krieg in Europa tobt weiter. Die Lage in der Ukraine bleibt unübersichtlich. Wie viele Tote der Staat zu beklagen hat, Soldaten wie Zivilisten, kann derzeit nicht zuverlässig gesagt werden. Russische Panzer rollen durchs Land, Raketen zerstören ukrainische Existenzen, fordern Menschenleben.

Putins Streitkräfte sind zahlenmäßig überlegen, rücken von Osten, Süden und Norden in das zweitgrößte Flächenland Europas ein. Doch die ukrainischen Truppen wehren sich. Am Abend meldeten sie die Rückeroberung des strategisch wichtigen Flughafens Antonow in Hostemel, nur wenige Kilometer nordwestlich von Kiew.

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Am frühen Morgen hat es nach Berichten von Reportern Explosionen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gegeben. Die Ukraine meldete Raketenbeschuss auf die Hauptstadt. Hier lesen Sie alle aktuellen Entwicklungen in unserem minutenaktuell gepflegten Newsblog. Auch wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Nacht eine allgemeine Mobilmachung angeordnet hat, scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das Militär des Kreml-Despoten den Maidan einnimmt. Also den zentralen Platz Kiews, der Wladimir Putin wie kaum ein anderer Ort ein Dorn im Auge ist. Dort sammelten sich vor fast genau acht Jahren Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, um den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch aus dem Land zu jagen.

Das ukrainische Volk obsiegte. Der Russen-Freund Janukowytsch flüchtete überstürzt in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 2014. Seitdem lebt der Gedanke einer freien, starken, unabhängigen Ukraine.

Wäre da nicht Putins perfider Plan. Eine "notwendige Maßnahme" sei sein Einmarsch in die Ukraine. "Uns wurden einfach keinerlei Chancen gelassen, anders aufzutreten", redete sich der russische Machthaber den Krieg in Europa mehrere Stunden nach seiner Invasion schön. Stunden, in denen bereits unschuldige Menschenleben aufs Spiel gesetzt wurden. Zynisch kommentierte der Kreml am Donnerstagmittag: "Der Zivilbevölkerung droht nichts." Videos von zivilen Todesopfern seien Fälschungen, so die krude Weltsicht der russischen Aggressoren – während im Nachbarland Bomben explodierten.

Putin scheint nach dem Untergang der Sowjetunion wie traumatisiert von dem Bedeutungsverlust Russlands. Eine diffuse Nato-Paranoia verklebt ihm das Hirn. Rachegelüste, Großmachtwahn, Gier: Es sind nur einige der Motive, mit denen dieser groß angelegte Militäreinsatz erklärbar wird. Wie weit wird ihn das noch treiben? Kein Opfer scheint ihm zu groß, keine Grenzüberschreitung zu gewagt.

Angst breitet sich aus – auch bei uns in Deutschland. Noch nie haben so viele Menschen hierzulande in ihrer Sorge nach "Krieg", "Krieg in Europa" oder "Krieg in Deutschland" gesucht. Unsere t-online-Experten aus dem Seo-Team haben das ermittelt. Die Suchmaschine Google weist Daten bis zurück in das Jahr 2004 aus. Der höchste Ausschlag bei diesen Suchbegriffen – seit 18 Jahren: Er ist im Februar dieses Jahres erfolgt.

1.200 Kilometer von der Frontlinie in Kiew entfernt habe ich dieser Angst gestern ins Auge geblickt. Meinen Großeltern stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als ich sie am Nachmittag am Rande Berlins besuchte. Gerda und Günter Becker haben den Zweiten Weltkrieg am eigenen Leib ertragen müssen. Meine Oma rannte als kleines Mädchen an der Hand ihrer Mutter in den Luftschutzbunker. Mein Opa, 91 Jahre alt, ist noch heute traumatisiert. Hört er das Geheul von Sirenen, schlägt sein Herz schneller als gewohnt, Panik packt ihn, er kriegt Angstzustände.

Auch in Kiew versetzt der Fliegeralarm die Bürgerinnen und Bürger der Stadt in Angst – vielleicht jetzt gerade in diesem Moment, in dem Sie diesen Text lesen. Es ist der 25. Februar 2022 und er erinnert so schmerzhaft an die Jahre zwischen 1939 und 1945. Als ich mit meinen Großeltern sprach, fiel der Name immer wieder: Adolf Hitler. "Ich habe Angst", sagte mir meine 84-jährige Oma mit feuchten Augen und fügte an: "1939 hat doch schon einmal ein Irrer behauptet, er müsse sich verteidigen und wir alle wissen, wie viel Grauen das über uns gebracht hat."

Ein Dritter Weltkrieg ist für die beiden kein Hirngespinst – es ist für sie ein reales Bedrohungsszenario. Mein Kollege Tim Kummert hat in seinem Text analysiert, wie wahrscheinlich eine weitere militärische Eskalation bis an die Grenzen Deutschlands tatsächlich ist.

Seit ich lebe, seit ich denken kann, haben mir meine Großeltern von den Gräueltaten der Faschisten erzählt. Sie haben mir eingetrichtert: Krieg in Europa darf es nie wieder geben. Sie haben sich nach einer Welt in Frieden gesehnt, geplagt durch die traumatischen Erinnerungen des Zweiten Weltkriegs. Ihre Warnungen vor Diktatoren, Propaganda, Lügen und nationalistischen Tendenzen haben mich geprägt. Nun hat mir Wladimir Putin ihre Worte wieder in Erinnerung gerufen.

Während er die Ukraine unterjochen will, gehen Menschen seines Landes auf die Straße: In Moskau, Sankt Petersburg, Jekaterinburg und vielen Städten mehr riefen Russen zum Widerstand gegen den Krieg ihres Präsidenten auf – und wurden in Scharen festgenommen. Der Herrscher im Kreml unterdrückt Opposition, freie Presse, Stimmen der Vernunft.

Wir dürfen das nicht zulassen. Wir alle sind gefragt: der geeinte Westen. Wir müssen aufstehen, solidarisch mit den Mutigen sein und zeigen: Demokratie lebt – und Diktatur wird niemals siegen. Erst recht nicht 77 Jahre nach den Schreckenstaten der Nationalsozialisten.


Was lesen?

Raketenangriffe seit dem frühen Morgen, Kampfhubschrauber über Wohngebieten, Panzer, die auf ukrainische Städte zurollen – der Albtraum für vierzig Millionen Ukrainer ist wahr geworden. Unser Reporter Daniel Mützel hat Kontakt zu den Menschen im Land, die er vor einigen Wochen auf seiner Reise durch die Ukraine kennengelernt hat. Was sie berichten, ist beängstigend und bedrückend zugleich.

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Sie haben geredet, verhandelt, beschwichtigt, genutzt hat es Scholz, Macron und Co. nicht. Wladimir Putin hat die Ukraine angegriffen. Aber warum eigentlich? Weil er es kann, so Carlo Masala im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. Wieso die Sanktionen des Westens nichts nützen werden, erklärt der Sicherheitsexperte hier.


Der Raketenwerfer TOS-1 gilt als eines der gefürchtetsten konventionellen Waffensysteme der Welt. Seine Wirkweise ist besonders perfide. Dass Putins Armee es wohl auch im Ukraine-Krieg einsetzt, ist kein Zufall. Mein Kollege Christoph Cöln erklärt Ihnen, was es mit "Putins Höllensonne" auf sich hat.


Putin macht, was Putin machen will: Diese bittere Erkenntnis bedeutet auch, dass all die diplomatischen Bemühungen vergebens waren, wohl von Anfang an. Die Folgen sind unabsehbar, schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier.


Was amüsiert mich?

Wir dürfen das Lachen nicht vergessen. Auch in solch schier unerträglichen Stunden wie diesen.

Ich wünsche Ihnen einen friedvollen Freitag, kommen Sie gut in das Wochenende. Morgen meldet sich Florian Harms wieder bei Ihnen.

Zuversichtliche Grüße

Ihr

Steven Sowa
Redakteur Unterhaltung
Twitter @StevenSovani

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Mit Material von dpa.

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