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Minister: SPD muss ersten Merz-Fehler ausbügeln


Tagesanbruch
Merz macht ersten Fehler – SPD muss ihn ausbügeln

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.05.2025 - 07:17 UhrLesedauer: 6 Min.
Friedrich Merz lässt den Osten rechts liegen.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz lässt den Osten rechts liegen. (Quelle: Liesa Johannssen/REUTERS)
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Etwas Altes endet und etwas Neues beginnt: An diesem Dienstagmorgen will sich Unionsfraktionschef Friedrich Merz im Deutschen Bundestag zum Kanzler wählen lassen. Nach der Ernennung durch den Bundespräsidenten werden er und die Minister vereidigt. Dann ist die Ampelkoalition endgültig Geschichte, die schwarz-rote Regierungsmannschaft übernimmt die Amtsgeschäfte.

Für Feierlichkeiten bleibt wenig Zeit, es gibt viel zu tun. Dem ZDF-Politbarometer zufolge halten 45 Prozent der befragten Bürger die Wirtschaftspolitik für die dringendste Aufgabe. Soziales (21 Prozent), Asyl (12) und Verteidigung (10 Prozent) folgen mit Abstand. Nach dem Ampelchaos und sechs Monaten Politikstillstand ist die Erwartung groß, dass Deutschland endlich wieder eine Regierung bekommt, die tatsächlich regiert.

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An Ankündigungen herrscht kein Mangel. Der designierte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) will die deutschen Grenzen strikter überwachen und unberechtigte Einwanderer abweisen lassen. Der künftige Kanzleramtsminister Thorsten Frei soll einen Nationalen Sicherheitsrat organisieren. Außenminister in spe Johann Wadephul wird versuchen, einen Draht zu Donald Trumps Gruselkabinett zu legen. Der Manager Karsten Wildberger soll als Digitalisierungsminister den deutschen Bürokratismus aufbrechen. Energieministerin Katherina Reiche will die Baustellen in Robert Habecks gestutztem Ministeriumslabyrinth in den Griff bekommen.

Auch die künftigen SPD-Minister werden mit großen Erwartungen ins Amt geschickt: Parteichef Lars Klingbeil (Finanzen) soll die vielen Milliarden aus dem neuen Sondervermögen für die Infrastruktur wirkungsvoll verteilen. Boris Pistorius (Verteidigung) will die Wiederbelebung der Bundeswehr forcieren und die deutsche Nato-Brigade in Litauen binnen zwei Jahren gefechtsbereit aufstellen. Bärbel Bas soll im Arbeits- und Sozialministerium das Kunststück fertigbringen, SPD-Stammwähler (Rentner, Lehrer, Beamte) weiterhin großzügig zu alimentieren, aber den Bürgergeldfluch abzuschütteln. Auch die restlichen Ministerinnen und Minister haben viele Pläne.

Hier offenbart sich eine Diskrepanz. Viele Kommentatoren wittern im schwarz-roten Koalitionsvertrag graue Ambitionslosigkeit. Tatsächlich kann man CDU, CSU und SPD vorhalten, dass sie die notwendigen Reformen des Renten-, Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystems in Kommissionen und damit auf die lange Bank schieben. Doch lässt solche Kritik außer Acht, wie gewaltig die prioritären Aufgaben sind. Gleichzeitig die Wirtschaft aus der Rezession zu hieven, die militärische Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen, in der Migrationspolitik geltendes Recht durchzusetzen und den Füllhornmodus beim Bürgergeld gegen eine faire Sozialpolitik zu ersetzen, die Bedürftige unterstützt, aber Arbeitsverweigerer sanktioniert – das ist schon eine Mammutaufgabe. Hinzu kommt: Auch die neue Bundesregierung wird mit einer Weltlage konfrontiert sein, in der jederzeit neue Großkrisen ausbrechen können.

Die Geheimdienste warnen: Putin führt bereits einen hybriden Krieg gegen Deutschland; in wenigen Jahren könnte er die Nato-Ostgrenze attackieren. Auf dem Balkan zündeln die Nationalisten. China droht Taiwan mit einer Invasion. Klimabedingte Dürren verschärfen in Afrika die Hungerkrisen und den Migrationsdruck Richtung Europa. Und Trump macht eh, was er will.

Hoher Reformdruck und bedrohte Sicherheit: In so einer heiklen Lage braucht eine Regierung großen Rückhalt in der Bevölkerung – ohne diesen droht sie schnell zu scheitern. Umso befremdlicher sind Friedrich Merz' wichtigste Personalentscheidungen. Bei der Berufung seines Kabinetts hat der künftige Kanzler einen großen Teil des Landes ignoriert: Ostdeutschland lässt er links beziehungsweise rechts liegen. Unter den Unionsministern stammt allein die Brandenburgerin Katherina Reiche aus dem Osten, lebt allerdings seit langem in Nordrhein-Westfalen.

Die Toppositionen der Union sind allesamt mit Westdeutschen besetzt. Das zeigt, dass Merz der Weitblick fehlt. Zwar rühmt er seine Mannschaft aus Pragmatikern, die ohne Regionalproporz dank ihrer Fachkompetenz überzeugen. Tatsächlich erscheint es unerheblich, dass das lütte Schleswig-Holstein gleich zwei schwarze Minister stellen darf. Aber dass Merz Ostdeutschland, wo sich die größte und riskanteste Protestbewegung gegen die Demokratie seit 1945 aufbäumt, bei der politischen Postenvergabe mit Nichtbeachtung straft, zeugt nicht von Klugheit.

Weil es sich bitter rächen kann. Schon jetzt fühlen sich mehr als drei Viertel der Ostdeutschen abgehängt und nicht repräsentiert. Rund die Hälfte befürwortet eine "starke Partei", die völkisch definiert wird. Eine toxische Entwicklung, von der nicht nur die rechtsextremistisch geprägte AfD profitiert. Die Spaltung des Landes gefährdet den sozialen Frieden, die Stabilität der demokratischen Institutionen und letztendlich auch den Wohlstand.

Dieser Trend dürfte sich unter Kanzler Merz verstärken – ganz gleich, wie scharf er seinen Innenminister gegen Einwanderer vorgehen lässt. Im Osten hat sich die AfD längst zur dominanten politischen Kraft aufgeschwungen. Noch trägt sie keine Regierungsverantwortung, doch das kann sich schon im kommenden Jahr ändern, wenn in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen anstehen. Umso dringender bräuchte es ein starkes Signal, dass die Bundespolitik die Belange des Ostens ernster nimmt – und deshalb führende Demokraten in Toppositionen holt. Stattdessen bezeugt Merz durch seine Ministerwahl Desinteresse am Osten. Ein schwerwiegender Fehler.

Einen Lichtblick gibt es trotzdem: Wie so oft in schwarz-roten Bündnissen bügelt die SPD den Fehler aus – wenigstens halbwegs. Zum Minister für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit hat sie Carsten Schneider gekürt. Der bodenständige Erfurter zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Politikern Ostdeutschlands, war Ostbeauftragter der Ampelregierung und unterhält exzellente Verbindungen zwischen Rostock und Dresden. Seine zupackende Art kommt bei vielen Menschen an.

Auch die künftige Entwicklungshilfeministerin Reem Alabali-Radovan darf man mit einem zugedrückten Auge als Ostdeutsche durchgehen lassen. Ihre Eltern stammen aus dem Irak, sie wurde in Moskau geboren und kam 1996 nach Mecklenburg-Vorpommern, wo sie seither lebt. Gleichwohl ist ihre Personalie umstritten. In der SPD munkelt man, sie sei nur eine Platzhalterin für Ministerpräsidentin Manuela Schwesig: Falls diese die Landtagswahl verliere, könnte sie Alabali-Radovan im Bundeskabinett ersetzen.

Doch so weit ist es noch nicht. Erst einmal tritt das neue Bundeskabinett heute am späten Nachmittag zusammen. Es wird eine fast ausschließlich westdeutsche Führungsmannschaft sein, die das Land wieder in Schwung bringen will. Man wünscht ihr Erfolg. Aber ein Schatten bleibt.

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Israel schlägt zu

Die Lage im Gazastreifen ist dramatisch: Seit die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Mitte März die Waffenruhe gebrochen hat, führt die israelische Armee den Krieg nicht nur härter denn je. Sie blockiert außerdem die Einfuhr von Lebensmitteln, Wasser, Treibstoff und Medikamenten. Den rund zwei Millionen eingeschlossenen Palästinensern, die sich bislang vor den Bomben retten konnten, droht nun das Verhungern. Humanitäre Helfer berichten von ausgemergelten Kindern. Weil das Aushungern von Zivilisten ein Kriegsverbrechen darstellt, hat der Internationale Strafgerichtshof schon im November einen Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen.

Davon unbeeindruckt eskaliert der Regierungschef immer weiter: Unverhohlen nennt er nun nicht mehr die Befreiung der letzten israelischen Geiseln als oberstes Ziel, sondern die dauerhafte Besetzung des Gazastreifens. Ein entsprechender Beschluss des Sicherheitskabinetts wurde nun bekannt. Zehntausende Reservisten werden dafür einberufen.

Wie reagiert Deutschland auf Israels brutalen Eroberungsfeldzug? Darauf eine Antwort zu geben, gehört ab heute auch zu den Herausforderungen für Friedrich Merz.


EU will unabhängig werden

Im Grunde ist es ein Skandal: Allen Sanktionen und markigen Worten zum Trotz hat es die EU immer noch nicht geschafft, den Import russischer Energieträger wie Kohle, Öl und Gas zu unterbinden. Im Gegenteil: Trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die Staatengemeinschaft im vergangenen Jahr sogar mehr Gas aus Russland eingeführt. Einen Fahrplan wie das nun – jetzt aber wirklich! – anders werden soll, legt die EU-Kommission heute in Straßburg vor.


Zahl des Tages

500 Millionen Euro will die EU-Kommission investieren, um Wissenschaftler aus aller Welt nach Deutschland zu locken. "Wir müssen die richtigen Anreize setzen", sagt Präsidentin Ursula von der Leyen. Europa solle zu einem "Magneten für Forscher" werden. Angesichts von Donald Trumps Attacken auf amerikanische Universitäten kommt die EU-Initiative genau im richtigen Moment.


Lesetipps

SPD-Chefin Saskia Esken geht bei der Ministerbesetzung leer aus – während ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister wird. Ist das unfair? Meine Kollegen Philipp Michaelis und Christoph Schwennicke sind geteilter Ansicht.



Ändern ARD und ZDF ihren Umgang mit der AfD, weil der Verfassungsschutz die Partei als gesichert rechtsextremistisch einstuft? Im Fernsehen gelten andere Regeln als bei Behörden, schreibt mein Kollege Steven Sowa.


Die neue Bundesregierung will das Internet aufräumen: Der ganze Lügen-Müll soll weg. Gute Idee oder Vorwand, um Kritiker zu überwachen? Unser Kolumnist Uwe Vorkötter wägt ab.


Zum Schluss

Merz und Klingbeil suchen ihre neuen Rollen.

Ich wünsche Ihnen einen federleichten Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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