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Afghanistan-Chaos: Was haben wir aus dem Desaster überhaupt gelernt?


Tagesanbruch
Das kann sich die Bundesregierung nicht mehr erlauben

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 15.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Taliban-Kämpfer in Kabul: Die Islamisten haben vor einem Jahr die Kontrolle über Afghanistan übernommen. (Archivfoto)Vergrößern des Bildes
Taliban-Kämpfer in Kabul: Die Islamisten haben vor einem Jahr die Kontrolle über Afghanistan übernommen. (Archivfoto) (Quelle: Oliver Weiken/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Nancy Faeser hatte eine einfache Botschaft parat: "Nein, wir lassen sie nicht zurück", sagte die Bundesinnenministerin der "Bild am Sonntag". Es ging um Ortskräfte in Afghanistan, die der Bundeswehr während des schweren Einsatzes etwa beim Übersetzen oder Knüpfen von Kontakten halfen. 15.759 dieser Helfer inklusive ihrer Familienangehörigen sollen sich laut der Ministerin mittlerweile in Deutschland befinden.

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"Wir lassen sie nicht zurück", das klingt fast so wie der Slogan der Kampagne "#LeaveNoOneBehind", deren Aktivisten für eine menschenwürdige Asylpolitik kämpfen. Die Zahl der geretteten Ortskräfte mag zunächst groß klingen. Doch die Machtübernahme der Taliban ist heute genau ein Jahr her. Während unsere Soldaten und ihre Verbündeten damals die Hauptstadt Kabul in einer Hauruckaktion verließen, harren viele ihrer Helfer noch immer dort aus und fürchten die Rache der Taliban. Laut offiziellen Zahlen sollen es noch rund 7.800 sein, die ihre Heimat Richtung Deutschland verlassen wollen. "Katastrophal", nannte ein Helfer zuletzt die Situation gegenüber meinen Kollegen Nora Schiemann und Iliza Farukshina.

Dass Deutschland diese Menschen eben doch in einer lebensgefährlichen Unsicherheit zurückgelassen hat, ist beschämend. Darauf habe ich bereits vor einigen Monaten hingewiesen. Deshalb soll es heute um etwas anderes gehen. Nämlich um die Frage: Was haben wir aus dem Desaster überhaupt gelernt?

Ein Jahrestag wie heute sollte Grund genug sein, sich diese Frage zu stellen. Doch es gibt noch einen weiteren: Es könnte nämlich sein, dass die Bundesregierung schon bald in einem anderen Land in eine ganz ähnliche Situation kommen könnte wie vor einem Jahr in Afghanistan.

Seit Freitag hat Deutschland seine Beteiligung an der Blauhelm-Mission "Minusma" in dem westafrikanischen Staat Mali ausgesetzt. Zuvor hatte die Führung des Landes den deutschen Soldaten erneut keine Überflugrechte erteilt. Dadurch wurde verhindert, dass am Freitag 139 neue Soldaten ihren Dienst antreten konnten, während 107 Kräfte nach Deutschland zurückkehren sollten.

Die Soldaten saßen über das Wochenende fest. Die Ablösung könnte heute erfolgen. Mittlerweile soll sich die Minusma-Leitung mit der Führung des Landes geeinigt haben. Doch die Probleme sind damit nicht beseitigt. Denn Mali droht trotz der Militärpräsenz immer weiter im Chaos zu versinken.

In den vergangenen zehn Jahren hat das Land drei Militärputsche erlebt, während Banditen und Terrorgruppen das Land immer weiter destabilisieren. Die Militärjunta, die aktuell an der Macht ist, versteht sich offiziell als Übergangsregierung. Wahlen sollen aber erst zu einem unbestimmten Zeitpunkt innerhalb der kommenden zwei Jahre stattfinden. Mit dem französischen Militär lag die Junta so lange im Clinch, dass die Franzosen schon im Februar ihren Abzug verkündeten. Auch eine EU-Ausbildungsmission für Soldaten und Sicherheitskräfte, an der die Bundeswehr ebenfalls beteiligt war, wurde zuletzt auf Eis gelegt.

Die Führung in Bamako hat dagegen einen neuen Verbündeten gefunden. Die Junta erhält aus Russland militärische Beratung, Ausrüstung und Waffen. Ein offenes Geheimnis ist zudem, dass seit diesem Jahr auch Söldner der umstrittenen Gruppe Wagner für das Regime im Einsatz sind. Seitdem soll sich die Zahl der getöteten Zivilisten schlagartig erhöht haben. Den Söldnern wurde ein Massaker an Zivilisten in Mali angerechnet: Anfang März sollen die Soldaten laut einem UN-Bericht rund 30 Menschen hingerichtet haben. In den ersten drei Monaten des Jahres sollen insgesamt 543 Unbeteiligte getötet worden sein.

Die Militärjunta scheint damit kein Problem zu haben. Erst am vergangenen Mittwoch telefonierte der Machthaber Assimi Goïta mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Anschluss lobte er auf Twitter "die Qualität unserer Partnerschaft, die die Souveränität von Mali und die Bestrebungen seiner Bevölkerung respektiert". Am gleichen Tag hatten russische Truppen unter anderem in der ukrainischen Region Donezk ein Wohnviertel mit Mehrfachraketenwerfern beschossen und dabei sieben Menschen getötet. Die Machthaber in Mali scheint das nicht zu kümmern.

Wer diese Fakten betrachtet, könnte leicht den Gedanken fassen, dass die Bundeswehr besser heute als morgen Mali verlassen sollte. Für die deutschen Soldaten gilt der Einsatz ohnehin als der aktuell gefährlichste: Eine Zusammenarbeit mit einem Militärregime, das westlichen Helfern die Arbeit erschwert und sich gleichzeitig trotz des russischen Angriffskriegs vom Kreml helfen lässt, scheint unvorstellbar.

Wer die Soldaten aber nach Hause holen will, muss auch die Konsequenzen bedenken. Deutschland ist der größte westliche Player der Mission. Verlässt die Bundeswehr das Land, wird die Mission vermutlich bald genauso in sich zusammenfallen wie der Afghanistan-Einsatz nach dem Abzug der US-Truppen. Auch in Mali soll die Bundeswehr nicht nur Ortskräfte beschäftigen: Tausende Einheimische sollen rund um die Blauhelm-Mission eine Arbeit gefunden haben. Sie könnten zum Spielball zwischen diversen Terrorgruppen auf der einen und der Militärjunta mit ihren russischen Söldnern auf der anderen Seite werden. Nach dem Chaos in Kabul kann es sich die Bundesregierung nicht mehr erlauben, diese Menschen im Stich zu lassen.

Wer Mali jetzt verlässt, lässt nicht nur ein zutiefst instabiles Land zurück, sondern überlässt auch Putin das Feld. Russland kann in Kriegszeiten jeden Partner brauchen, den es finden kann. Dass der Kreml mit Waffen und Söldnern westliche Truppen aus Mali drängen kann, könnte Putin darin bestärken, diesen Weg auch in anderen Ländern zu gehen. Auch zu den Taliban in Afghanistan sucht er bereits die Nähe.

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All das muss nicht heißen, dass eine Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr tatsächlich die bessere Lösung ist. Aber mit Blick auf Afghanistan sollte die Lehre sein: Zu leicht darf es sich die Bundesregierung jetzt nicht machen und erneut fluchtartig ein Land seinem Schicksal überlassen. Falls doch, sollte sich dann auch niemand wundern oder gar beschweren, wenn in einigen Monaten die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika, die in Deutschland ankommen, steigen wird.


Der lange Weg zurück

Auf das Entsetzen folgt die erste Entwarnung: Der weltbekannte Autor Salman Rushdie befindet sich nach einer Messerattacke auf dem Weg der Besserung, teilte sein Agent am Sonntag mit. "Obwohl seine lebensverändernden Verletzungen ernst sind, bleibt sein üblicher forscher und aufsässiger Sinn für Humor intakt", fügte sein Sohn Zafar Rushdie im Onlinedienst Twitter hinzu.

Bleibt zu hoffen, dass der 75-Jährige die Kraft finden wird, irgendwann in Zukunft wieder ein Buch schreiben zu können. Regierungsnahe iranische Medien, die den Angriff auf den Autor begrüßten, dürften ihn wohl kaum davon abhalten. Der 24-jährige mutmaßliche Täter, der Rushdie mit mehreren Messerstichen schwer verletzte, plädierte derweil vor Gericht auf nicht schuldig.


Was steht an?

Der Kanzler im hohen Norden: Für zwei Tage bricht Olaf Scholz zu einer Reise nach Skandinavien auf. In Oslo trifft er heute die Regierungschefs aus Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark und Island. Dabei soll es auch um Sicherheitsfragen gehen – schließlich stehen mit Schweden und Finnland zwei Länder vor dem Nato-Beitritt. Am Abend geht es dann schon weiter nach Schweden.

Nach dem Beben: Wie geht es beim RBB weiter nach dem Skandal um Patricia Schlesinger? Der Rundfunkrat will am Nachmittag in Berlin zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Der Deutsche Journalisten-Verband fordert dagegen die fristlose Kündigung. Der Rundfunkrat auch, will "Bild" schon jetzt wissen.

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Prozess um Millionen: In Berlin startet heute eine spektakuläre Gerichtsverhandlung: Ein 46-Jähriger und seine Schwestern sollen sich mit erfundenen Corona-Tests mehr als zehn Millionen Euro von der Kassenärztlichen Vereinigung erschwindelt haben. Einen ähnlichen Fall gab es bereits in Bochum: Dort hatte ein Mann einen Schaden von mehr als 24 Millionen Euro durch falsch abgerechnete Tests verursacht – und sitzt deshalb jetzt sechs Jahre im Gefängnis.


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Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start in die Woche. Am Dienstag lesen Sie an dieser Stelle von Florian Harms.

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
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Mit Material von dpa.

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