Das kann einem Angst machen
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
das ist doch alles Bullshit. Entschuldigen Sie den Anglizismus, er ist an dieser Stelle einmal angebracht. Wer unsere Zukunft zu verstehen versucht, muss sich seit einiger Zeit erst einmal durch Berge von unverstΓ€ndlichen Begrifflichkeiten wΓΌhlen: NFT, Augmented und Virtual Reality, Immersive Web, KΓΌnstliche Intelligenz, Internet of Things, Data Lakes, Cloud Services. Erst in dieser Woche kam wieder eines dieser neuen Gadgets auf den Markt. Die VR-Brille "Oculus Quest Pro", wir berichteten.
Der Schriftsteller Antoine de Saint-ExuΓ©ery hat in seinem Buch "Citadelle" einmal geschrieben: "Es ist nicht das Schiff, das durch das Schmieden der NΓ€gel und SΓ€gen der Bretter entsteht. Vielmehr entsteht das Schmieden der NΓ€gel und SΓ€gen der Bretter aus dem Drang nach dem Meere und dem Wachsen des Schiffes."
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Wir sollten also weniger ΓΌber neue Virtual-Reality-Brillen reden, sondern darΓΌber sprechen, welches Meer wir damit bereisen wollen β wofΓΌr wir sie in einer fernen oder nahen Zukunft brauchen. Oder darΓΌber, ob wir sie ΓΌberhaupt brauchen.
Jemand, der sich mit diesem Thema bestens auskennt, ist Mark Zuckerberg, dessen Facebook-WhatsApp-Instagram-Konzern Meta hofft, mit virtuellen RealitΓ€ten auf der "Oculus" auf das nΓ€chste ganz groΓe Ding zu setzen. Er hat dem ganzen Unternehmen verordnet, die eigene Zukunft in Virtual Reality (VR) zu sehen. Wenn man bedenkt, dass Metas Plattformen weltweit von 3,6 Milliarden Menschen benutzt werden, ahnt man, dass da etwas GroΓes entstehen kΓΆnnte.
Wirklich? Die meisten Menschen wΓΌrden sich heute keine VR-Brille aufsetzen.
Der Grund ist einfach: Wir sehen keinen Nutzen darin. Solche Brillen sind bislang was fΓΌr Spiele-Fans.
Doch man wΓΌrde Zuckerberg nicht verstehen, wenn man die Brille darauf reduziert. Er selbst spricht von einer 10- bis 15-Jahres-Vision. Er will, dass im Jahr 2030 mindestens eine Milliarde Menschen Teil seines neuen Meta-Universums sind, und menschliche Interaktionen darin neu definiert werden.
Das kann einem Angst machen, wenn man das derzeitige GeschΓ€ftsmodell von Meta betrachtet. Denn bei Facebook werden durch Algorithmen die ΓuΓerungen belohnt, die besonders drastisch menschliche Emotionen hervorrufen. Kritiker sagen, Zuckerberg habe den Facebook-Algorithmus bis heute nicht im Griff. Man kann aber auch die Chancen des Metaverse sehen: In der Medizin, der Bildung, im StΓ€dtebau, in der Produktionsplanung wird sich womΓΆglich viel verΓ€ndern. Potenzielle AnwendungsfΓ€lle gibt es reichlich.
Aber ist das Metaverse auch etwas, das unseren Alltag bereichern wird? Zuckerbergs VR-Brille funktioniert derzeit mit einer Ansammlung von 400 Apps, eine davon ist "Horizon Worlds", Metas zentrales Universum. Mit Avataren kΓΆnnen wir darin interagieren.
Also ganz praktisch gedacht: KΓΆnnen wir uns einen Kita-Elternabend im "Horizon Worlds" vorstellen? Wohl eher nicht. Da reicht eine normale Videokonferenz aus. Rechner oder Handy rausholen, fertig. Technik fΓΌr den Alltag muss einfach zu bedienen sein, das weiΓ auch Zuckerberg. Deshalb will Meta die klobige VR-Brille schon bald ergΓ€nzen, "Horizon Worlds" soll auch per Browser zugΓ€nglich werden. In einigen Jahren soll Meta auch mit Brillen benutzbar sein, durch die man "normal" sehen kann. So wird aus der "virtuellen RealitΓ€t" (VR) eine "augmente RealitΓ€t" (AR). Es lassen sich so digitale Informationen in die reale Welt projizieren.
Doch dem Metaverse fehlt fΓΌr die Alltagstauglichkeit nicht nur ein einfacher Zugang. Es fehlt auch die eine Applikation, die jeder stΓ€ndig benutzen will. Etwas mit hohem Mehrwert. Sonst bleibt das Metaverse eine Spielwiese fΓΌr Nerds, wie frΓΌher "Second Life" und heute "Decentraland". Da ist noch ein langer Weg zu gehen, heiΓt es bei Meta.
Was also bereichert unser Leben wirklich? Claus Kleber hat im t-online-Podcast "Zeitraffer" diese Woche gesagt, er hΓ€tte es vor einigen Jahren nicht fΓΌr mΓΆglich gehalten, dass wir einmal ΓΌber jede Information innerhalb von Sekunden an jeder StraΓenecke verfΓΌgen kΓΆnnen. Diese Zukunft ist heute RealitΓ€t. Und da ist noch lange nicht alles erfunden.
Bei der Digitalisierung der "menschlichen Interaktion" kann das Metaverse wegweisend sein. Wenn es denn einfach bedienbar und bezahlbar wird. Gleichzeitig arbeitet Elon Musk daran, dass unser Hirn kΓΌnftig mit dem Internet interagiert (und das funktioniert schon). Interaktion wird dann wirklich ein groΓes Ding.
Angst kann einem da machen, wohin die Entwicklung fΓΌhren kΓΆnnte. Technik kann zum Guten eingesetzt werden, aber auch zum Gegenteil. Wir mΓΌssen deshalb darauf achten, bei alldem unsere BedΓΌrfnisse als Menschen im Blick zu behalten. Erfindungen mΓΌssen uns dienen, nicht andersherum.
Es gibt viele drΓ€ngende Fragen: Wie kann unser Planet zehn Milliarden Menschen ernΓ€hren? Wie kann Bildung besser funktionieren? Wie gestalten wir die Zukunft unserer StΓ€dte und lΓ€ndlichen RΓ€ume? Wie sieht MobilitΓ€t in hundert Jahren aus? Steckt die Zukunft der Wirtschaft in mehr ProduktivitΓ€t oder besserer QualitΓ€t? Wie kann Demokratie besser funktionieren? Wenn Zuckerbergs neues digitales Spielzeug hilft, solche Themen anzugehen, ist es sinnstiftend.
Zuckerbergs Vision ist so groΓ. Was aber nach mehreren Jahren Entwicklungszeit bislang zu sehen ist, ist noch ernΓΌchternd.
Was steht an?
Alle fΓΌnf Jahre kommt in Peking die Kommunistische Partei zu ihrem einwΓΆchigen Parteikongress zusammen. Wenn das Spektakel am Sonntag beginnt, werden alle Augen auf einen Mann gerichtet sein: Xi Jinping. Lange hat kein Diktator in China eine derartige Macht genossen, seine Wiederwahl zu einer ungewΓΆhnlichen dritten Amtszeit gilt als sicher. Formell ist es eine demokratische Wahl. Rund 2.300 Delegierte reprΓ€sentieren mehr als 90 Millionen Parteimitglieder, sie wΓ€hlen die circa 200 Mitglieder des Zentralkomitees. Doch de facto hat die FΓΌhrungsriege um Xi die Delegierten selbst ausgewΓ€hlt, die neuen Posten sind lΓ€ngst vergeben.
Im Westen lΓ€sst sich allenfalls an Nuancen festmachen, wie viel RΓΌckhalt Xi in der eigenen Partei genieΓt. Er kΓΆnnte zum "GroΓen Vorsitzenden" ernannt werden, es wΓΌrde ihn auf eine Stufe mit Mao heben. Klar ist aber auch, dass seine Null-Covid-Strategie dem Land wirtschaftlich schwer zugesetzt hat. Auf dem Parteitag wird das aber nur eine untergeordnete Rolle spielen.

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FrΓΌher flogen bei GrΓΌnen-Parteitagen die Fetzen. Und auch mal ein Farbbeutel auf den eigenen AuΓenminister. Fundis und Realos zerlegten regelmΓ€Γig das Bild der Partei in der Γffentlichkeit. Wenn nun in Bonn zum ersten Mal seit drei Jahren Parteispitze und Delegierte zusammenkommen, wird es gesitteter zugehen. Aber Redebedarf gibt es trotzdem reichlich. In der Ukraine ist Krieg und der Atomausstieg kommt nicht wie geplant. Γber beide Themen soll heute gesprochen werden.
So hΓ€lt der ehemalige Umweltminister JΓΌrgen Trittin das Strom-Krisenszenario von Robert Habeck fΓΌr ΓΌbertrieben. Er will, dass der Parteitag definiert, unter welchen Bedingungen die beiden verbliebenen Atomkraftwerke am Jahresende in den Streckbetrieb gehen dΓΌrfen.
Am Samstag wird Annalena Baerbock ihre AuΓenpolitik rechtfertigen mΓΌssen. Die Partei stΓΆrt sich insbesondere daran, dass sie der Lieferung von Munition und Flugzeugteilen an Saudi-Arabien im Sicherheitsrat zugestimmt hat β obwohl das Land Krieg gegen den Jemen fΓΌhrt. Man muss kein Pazifist sein, um das zu kritisieren.
Das Historische Bild
Kermit der Frosch ist eine der beliebtesten Kinderfiguren der Welt. Als Frosch hat er seine Karriere aber nicht begonnen. Mehr erfahren Sie hier.
Was lesen oder ansehen?
Um Donald Trump politisch endgΓΌltig zu erledigen, hat der Untersuchungsausschuss zum Kapitolsturm den Ex-PrΓ€sidenten nun vorgeladen. Die Beweise gegen ihn sind erdrΓΌckend. Unser USA-Korrespondent Bastian Brauns hat die letzte Sitzung verfolgt und analysiert.
Im Westen sorgen wir uns, Russlands PrΓ€sident Wladimir Putin kΓΆnnte im Ukraine-Krieg Atomwaffen einsetzen. MilitΓ€rexperte Carlo Masala erklΓ€rt nun in seiner t-online-Videokolumne, dass er eine andere Bedrohung noch ernster nimmt.
Tesla-GrΓΌnder Elon Musk ist kein einfacher Charakter. Als reichster Mann der Welt kann er damit potenziell ein Problem werden, schreibt unsere Kolumnistin Nicole Diekmann. Sie fordert: Zieht Musk endlich aus dem Verkehr.
Die FDP erlitt vier Wahlschlappen auf Landesebene in Folge, darunter leidet auch die Bundespartei. t-online-Leser bewerten den Zustand der Liberalen.
Im vergangenen Jahr hat Michael Ott fΓΌr groΓen Wirbel auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern gesorgt. Der Fan des Klubs wollte durchsetzen, dass Qatar Airways als Sponsor gekΓΌndigt wird. Am Samstag steht nun die nΓ€chste Mitgliederversammlung an. Im Interview mit meinem Kollegen Julian Buhl spricht Ott darΓΌber, was in der Zwischenzeit passiert ist.
Die Bomber waren mit Atomwaffen bestΓΌckt schon in der Luft β zum GlΓΌck fΓΌr die Welt legten USA und Sowjetunion in letzter Minute die Kubakrise noch friedlich bei. Wie nah die Welt im Oktober 1962 am Abgrund stand, hat mein Kollege Marc von LΓΌpke fΓΌr Sie aufgeschrieben.
Was amΓΌsiert mich?
Halleluja, endlich ist es beschlossen, das 49-Euro-Ticket. Unser Karikaturist findet, wir sollten noch einmal ΓΌber den Spritpreis verhandeln.
Ich wΓΌnsche Ihnen einen entspannten Freitag und ein sonniges Wochenende.
Morgen unterhalte ich mich im Tagesanbruch am Wochenende mit den geschΓ€tzten Kollegen Lisa Fritsch und Marc von LΓΌpke darΓΌber, ob der Krieg in der Ukraine eine Wendung erfahren kΓΆnnte. Am Montag lesen Sie hier von unserem politischen Korrespondenten Fabian Reinbold.
Herzliche GrΓΌΓe
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online
Twitter: @peterschink
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Mit Material von dpa.
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Anmerkung: In einer frΓΌheren Version des Artikels war das Zitat von Antoine de Saint-ExuΓ©ery falsch wiedergegeben. Wir haben es nachtrΓ€glich korrigiert.