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Schwarz-Rote Koalition: Merz und Klingbeil wollen Lügen im Netz verbieten


Meinungsfreiheit im Netz
Du sollst meine Wahrheit sagen

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

06.05.2025 - 02:36 UhrLesedauer: 5 Min.
CDU-Vorsitzender Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil: Falschaussagen werden vom Grundgesetz gedeckt – das will Schwarz-Rot ändern. Aber ist das richtig?Vergrößern des Bildes
CDU-Vorsitzender Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil: Falschaussagen werden vom Grundgesetz gedeckt – das will Schwarz-Rot ändern. Aber ist das richtig? (Quelle: ESDES.Pictures, Bernd Elmenthaler/imago-images-bilder)
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Die Regierung Merz will das Internet aufräumen. Der ganze Lügen-Müll soll weg. Ist das eine gute Idee? Oder will Schwarz-Rot unbequeme Kritiker überwachen?

In der Bibel steht: Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Frei übersetzt: Du sollst nicht lügen. Altes Testament, 2. Buch Mose, das achte der Zehn Gebote. Unsere neue Regierung sieht das auch so: "Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt." Erstes Buch Merz/Klingbeil, Koalitionsvertrag genannt, Seite 123. Es ist der Kirche in 2.000 Jahren nicht gelungen, die Lüge aus dem menschlichen Leben zu tilgen. Schwarz-Rot wird das in den nächsten vier Jahren mutmaßlich auch nicht schaffen.

Moses, der die göttlichen Gebote verkündete, hat eine Große Koalition der Guten, Ehrlichen und Aufrichtigen hinter sich gebracht. Zensur wirft ihm niemand vor. Merz dagegen schlägt massive Kritik entgegen: Lügen sollen verboten werden? Plant die Regierung eine Art Wahrheitsministerium? Ausgerechnet der konservative CDU-Kanzler rüstet die Sprachpolizei der Ampelregierung zur Armee gegen alles vermeintliche Falsche und Unpassende hoch?

Dass die neue Koalition unter diesem Verdacht steht, hat sie sich selbst zuzuschreiben, zumal die Textpassage in ihrem Vertrag so weitergeht: "Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht (...) gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können." Die staatsferne Medienaufsicht? So etwas gibt es nicht, Medienaufsicht ist immer staatsnah. Hass, Hetze, Informationsmanipulation: Das wollen wir alles nicht, aber wer definiert, was sich hinter diesen unbestimmten Begriffen verbirgt? Im Gesetzbuch gibt es dafür keine Paragrafen.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche.

Das hier ist keine theoretische Diskussion über die Freiheit der Rede, ich habe konkrete Fälle vor Augen: Im November 2024 stand die Polizei morgens um sechs mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Haustür eines unterfränkischen Rentners. Er hatte den damaligen Vizekanzler Robert Habeck in einem Social-Media-Post einen Schwachkopf genannt. Vor drei Wochen wurde ein Chefredakteur zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er eine Fotomontage geteilt hatte, in der die bisherige Innenministerin Nancy Faeser ein Schild mit dem Satz präsentierte: "Ich hasse die Meinungsfreiheit."

Es ist nicht freundlich, Habeck einen Schwachkopf zu nennen. Das kann ein Amtsrichter sehr wohl als Beleidigung werten. Aber rechtfertigt dieser Vorwurf die Razzia? Faeser ein erfundenes Zitat in den Mund zu legen, ist eine platte Lüge, eindeutig ein Verstoß gegen das achte Gebot. Aber sieben Monate auf Bewährung? So kann vor Gericht auch eine gefährliche Körperverletzung geahndet werden.

Was muss erlaubt sein, was ist verboten? Wo endet die Freiheit der Rede? Und: Kann eine Gesellschaft sich davor schützen, dass auf den angeblich sozialen Plattformen des Internets asoziale Krawallbrüder und bösartige Troll-Truppen die Herrschaft übernehmen?

Der Staat muss scharfe Kritik aushalten

Das Internet ist leider voll von falschen Tatsachenbehauptungen. Elvis Presley lebt. Paul McCartney ist tot. Die Mondlandung wurde im Studio inszeniert. Homöopathische Globuli D6 helfen gegen Blasenentzündung. Alles Humbug. Aber dagegen werden Merz und Klingbeil ja nicht vorgehen wollen, oder?

Schon eher gegen so was: Das Bevölkerungswachstum in Afrika ist schuld am Klimawandel. In Magdeburg wurden mehr als 3.000 Stimmzettel mit AfD-Stimmen in der Elbe gefunden. Die Ukraine wird von Neonazis regiert. Auch alles Humbug, aber nicht so harmlos. Sind das also die Tatsachenbehauptungen, die nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind? Doch, die sind gedeckt, bisher jedenfalls. Unser Grundgesetz verbietet es nicht, Tatsachen zu verdrehen. Und es garantiert auch das Recht, völlig abwegige Meinungen zu vertreten.

Etwa die Meinung von Julian Reichelt, ehemals Chefredakteur der "Bild"-Zeitung. Der hatte auf X gepostet: "Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben in einem Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus!" Ob die Sache mit dem Irrenhaus korrekt ist, bitte, entscheiden Sie selbst. Die 370 Millionen an die Taliban stimmen jedenfalls nicht. Trotzdem entschied das Bundesverfassungsgericht, Reichelt dürfe das sagen. Der Staat müsse auch scharfe und polemische Kritik aushalten. Gut so.

Beleidigung ist auch im Netz strafbar

Es gibt einen ebenso einfachen wie einleuchtenden Grundsatz für den Umgang mit dem ganzen Internet-Müll: Was im richtigen Leben erlaubt ist, geht auch im Netz. Was im richtigen Leben verboten ist, geht im Netz gar nicht. Zum Beispiel: Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede. Das ist alles strafbar, egal ob Hans Müller Sie auf der Straße anpöbelt oder "Hansi88" im Netz wütet.

Leider ist die Realität nicht so einfach wie der Grundsatz. Den "Hansi88" werden Sie im Zweifel nicht haftbar machen können. Facebook, YouTube und Tiktok geben Ihnen keine Auskunft, wer hinter dem Nickname steckt. Wenn Sie eine Strafanzeige stellen, arbeitet die Justiz eine Weile, dann wird das Verfahren eingestellt. Es sei denn, Sie heißen Habeck oder Faeser. Dann kommt das Einsatzkommando zum Einsatz.

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht

Was läuft da schief? Ich habe zwei Reformvorschläge für die neue Regierung.

Erstens: X, Instagram, Facebook und Co sind Medienplattformen, also sollten wir sie auch wie Medien behandeln. Dann können Sie, falls "Hansi88" Ihnen zu nahe tritt, die Plattform in die Verantwortung nehmen. So wie Sie das bei t-online können, wenn ich in dieser Kolumne falsche Behauptungen über Sie verbreite – die müssen nicht einmal strafbar sein. Für "Bild", die "Tagesschau" und Ihre Lokalzeitung gelten die Regeln auch, aber bisher nicht für die Internetplattformen. Das ist ein Fehler.

Zweitens: Im Strafgesetzbuch gibt es den Paragrafen 188, der gewährt "Personen des politischen Lebens" einen besonderen Schutz. Die Ampelkoalition hat diesen Schutz noch einmal ausgeweitet. Sie wollte die Bürgermeister auf dem Land und die Wahlkämpfer vor Ort vor Angriffen radikaler Gegner bewahren. Gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Die Fälle Habeck und Faeser zeigen, dass sich in der Praxis ein Sonderrecht für Politiker entwickelt. Politiker brauchen kein Sonderrecht. Also: Schaffen wir den Paragrafen 188 ab.

Erinnern Sie sich noch an den Auftritt von JD Vance kurz vor der Bundestagswahl in München? Er behauptete, bei uns seien Demokratie und Meinungsfreiheit in Gefahr. Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei ging, ich habe mich jedenfalls kurz aufgeregt: Was bildet dieser Ami sich ein? Deutschland ist eine liberale Demokratie, wir brauchen keine Belehrungen von außen. Aber sind wir perfekt? Nein. Um das zu erkennen, müssen wir nur einen selbstkritischen Blick aufs eigene Land werfen.

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Mit Freiheit meinen sie nur die eigene Meinung

Wir sehen dann, dass jahrelang die politische Linke bestimmte, was in der Debatte zulässig und sagbar ist, welche Standpunkte diskussionswürdig sind. Und was "rechts" ist, also jenseits des guten Geschmacks und des demokratischen Dialogs. An den Universitäten und in vielen Medien haben sich diese informellen Regeln durchgesetzt. Neue Gesetze brauchte die Linke nicht, sie hatte die Moral auf ihrer Seite.

Auf der politischen Rechten gibt es nun die Gegenbewegung gegen alles Linke, Diverse, Queere. Egal, ob in Trumps Amerika oder in Weidels Deutschland, die Rechten postulieren die Meinungsfreiheit, aber sie meinen nur die Freiheit ihrer eigenen Meinung. Andere werden verächtlich gemacht und von Elon Musk bestraft. Der Algorithmus ist ihr Gesetz.

Merz und Klingbeil hätten den Selbstgerechten von links und rechts ein Versprechen entgegensetzen können: Wir garantieren die Meinungsfreiheit. Allen. In den sehr weiten Grenzen, die das Grundgesetz zieht. Niemand muss sich sorgen, dass seine Meinung verboten wird. Aber jeder muss die Gesetze beachten. Die werden wir durchsetzen. Das steht leider nicht im Koalitionsvertrag. Stattdessen kündigt die Koalition irgendetwas gegen Lügen und eine neue Medienaufsicht an.

"Ein ehrlicher Mensch ist auf das Gute bedacht und setzt sich dafür ein, dass die Wahrheit siegt." Das steht in der Bibel, Jesaja 32,8. Ein Satz, aus dem Vertrauen in die Menschen spricht, wie gemacht für einen Staat, der Freiheit und Demokratie garantiert. Aus dem Satz von Schwarz-Rot auf Seite 123 spricht dagegen nur Misstrauen. Und die Anmaßung der Obrigkeit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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