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Vatikan: Sixtinische Kapelle prägt die Papstwahl


Vatikanexperte über Sixtinische Kapelle
"Dieser Ort beeinflusst immer die Papstwahl"

  • Philipp Heinemann
InterviewVon Philipp Heinemann

06.05.2025 - 09:01 UhrLesedauer: 6 Min.
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Michelangelos Fresko "Das jüngste Gericht" in der Sixtinischen Kapelle: im Zentrum steht Jesus als Richter. (Quelle: IMAGO/Zoonar.com/Marco Brivio/imago)
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In der Sixtinischen Kapelle wird bald der neue Papst gewählt. Im Interview mit t-online verrät der ehemalige Direktor der vatikanischen Museen die Geheimnisse des Ortes und Michelangelos versteckte Gemeinheiten.

Viele der weltweit rund 1,4 Milliarden Katholiken schauen diese Woche gebannt nach Rom. In der Sixtinischen Kapelle werden am 7. Mai die Kardinäle zusammenkommen, um nach dem Tod von Franziskus einen neuen Papst zu wählen. Diese vom Renaissance-Genie Michelangelo bemalte Halle im apostolischen Palast steckt voller Geheimnisse. Kaum jemand kennt sie besser als Francesco Buranelli. Er war jahrelang der Generaldirektor der vatikanischen Museen. Im Interview verrät er unter anderem, welchen Einfluss Michelangelos Fresken auf die Papstwahl haben.

t-online: Herr Buranelli, Sie waren lange Jahre Generaldirektor der Vatikanischen Museen und damit auch der Sixtinischen Kapelle. Können Sie sich erinnern, wann Sie den Raum zum ersten Mal betreten haben?

Francesco Buranelli: Das erste Mal war ich als kleiner Junge mit meiner Mutter dort und habe natürlich kaum etwas verstanden von dem, was ich da sah. Das zweite Mal ging ich als Jugendlicher mit 15 Jahren hin zusammen mit meinem kleinen Bruder, der damals 13 war. Es war ein Sonntag, der letzte Sonntag eines Monats, weil da der Eintritt des Museums kostenlos ist. Ich weiß noch, dass ich eingeschüchtert war, als ich in die Sistina kam. Diese Großartigkeit hat mich fast erdrückt, ich fühlte mich, als sei ich dort am falschen Platz. Ich guckte mir derart begeistert alle Kunstwerke an, dass ich nicht mehr auf meinen kleinen Bruder achtgab und wir uns verloren. Als wir getrennt voneinander nach Hause kamen, habe ich von meiner Mutter fürchterlichen Ärger bekommen, weil ich nicht auf meinen Bruder aufgepasst hatte.

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Francesco Buranelli (Quelle: IMAGO/Ambrose Leung/imago)

Zur Person

Francesco Buranelli (*1955 in Rom) ist ein italienischer Archäologe und Etruskologe. Er studierte an der Universität Rom und promovierte 1987. Seit 1983 war er an den Vatikanischen Museen tätig, ab 1993 als Leiter der etruskischen Abteilung und von 2002 bis 2007 als Generaldirektor. Bis vor kurzem war er Präsident der Ständigen Kommission zum Schutz der historischen und künstlerischen Denkmäler des Heiligen Stuhls.

Und jetzt wird dort der neue Papst gewählt. Wie wird die Sixtinische Kapelle für das Konklave umgebaut?

Sämtliche technischen Geräte sind abmontiert worden. Nichts darf einen Kontakt zur Außenwelt ermöglichen: Sicherheitskameras, Sensoren, Sender, alles wurde entfernt. Stattdessen ist die Kapelle jetzt möbliert, es gibt Schreibtische, Stühle, Lesepulte für die Kardinäle. Vor dem Altar wird es den Tisch der Wahlleitung mit drei Kardinälen geben. Das ist auch für erfahrene Würdenträger ein spirituell und psychologisch sehr herausforderndes Ritual direkt unter dem Kreuz. In diesen Momenten wird immerhin der Nachfolger Petri ausgewählt.

Glauben Sie, dass dieser besondere Ort die Papstwahl beeinflusst, also die Entscheidung der Kardinäle?

Es ist ein Ort voller Geschichte und unglaublicher Kunstwerke, der die Geschichte der Kunst und der Menschheit verändert hat. Ich bin überzeugt, dass Michelangelos Fresken in der Vergangenheit, aktuell und auch in Zukunft die Papstwahl stark beeinflussen. Weil sich dort alle dem jüngsten Gericht stellen, Jesus als Richter. Also auch die Kardinäle. Dieses Fresko an der Altarwand hatte Clemens VII. bei Michelangelo in Auftrag gegeben. Und man kann es interpretieren als die Bitte um Vergebung für die Sünden der Kirche zu dieser Zeit. Es ist noch heute ein Symbol für uns alle: Am jüngsten Tag wird sich jeder einzelne von uns vor Gott für seine Sünden verantworten müssen. Diese Art Simulation des göttlichen Gerichts beeinflusst natürlich jeden Kardinal beim Konklave.

Welche Wirkung entfaltet das Fresko, wenn man im Raum steht?

Beim jüngsten Gericht benutzte Michelangelo eine komplett andere Herangehensweise als beim Deckenfresko mehr als 20 Jahre zuvor. Bei der Decke war er zwischen 1508 und 1512 geradezu gezwungen, malend Architektur zu schaffen. Beim jüngsten Gericht will er hingegen keine Grenzen der Architektur mehr, er durchbricht geradezu die Mauer mit diesem lapislazuliblauen Hintergrund, der den Betrachter fast blendet. Da öffnet sich in der Kapelle ein Universum mit knapp 400 Personen. Im Zentrum steht Jesus, der Richter. Und um ihn herum schwirren Seelen, die von ihm gerettet werden oder die verdammt sind und in die Hölle herabstürzen. Es ist wie ein Wirbel, ein Sog, der den Beobachter hineinzieht. Und Michelangelo hat dort auch vieles versteckt.

Was denn?

Unter anderem seine Signatur – und zwar als Selbstporträt auf der Haut des heiligen Bartholomäus. Das ist einerseits Michelangelos Unterschrift, andererseits ein Hinweis auf das Martyrium von Bartholomäus, das Michelangelo selbst fühlte. Fünf lange Jahre malte er als älterer Mann an diesen über 200 Quadratmetern. Michelangelo war ja Toskaner und die haben den Ruf, sarkastisch und etwas rachsüchtig zu sein. Das lässt er seinen Auftraggeber auch spüren.

Woran erkennt man diesen Sarkasmus?

Es gibt zwei Engel, die jeweils ein Buch in sehr unterschiedlicher Größe halten. Das große Buch ist das mit den Namen der verdammten Seelen, das viel kleinere das der Auserwählten. Ein kleines Büchlein. Das ist sein Humor, sein Sarkasmus. Michelangelo will uns damit sagen: Wir sind alle Sünder, die gesamte Menschheit. Also auch Priester und Kardinäle. Ein anderes Detail: Wo malt Michelangelo den Teufel und die Dämonen? Er stellt sie ins Zentrum des unteren Teils. Genau hinter das Kruzifix des Altars. Wenn der Papst dort die Messe feiert, sieht er beim Heben der Hostie auf das Kruzifix und direkt dahinter die Dämonen. Es ist der Kampf zwischen Gut und Böse, der immer aktuell ist und den jeder Papst auch selbst durchlebt. Und das wollte Michelangelo ganz konkret darstellen. Und dann gibt es noch die größte Gemeinheit.

Welche?

Als das Fresko fast fertig war, besichtigte Papst Paul II. mit seinem Zeremonienmeister, Biagio da Cesena, das Werk. Biagio beschwerte sich beim Papst, diese ganzen Nackten seien dem Vatikan unwürdig. Und was macht Michelangelo? Er fügt ein Porträt von Biagio hinzu und malt ihn in die Gruppe der Verdammten, komplett nackt, mit Eselsohren. Und dazu beißt ihm eine Schlange in seine Männlichkeit. Das ist ein weiteres Beispiel für Michelangelos Rachsucht. Er sagt damit: Du hässlicher Vollidiot! Was erlaubst du dir, mein Meisterwerk zu verurteilen? Michelangelo rächt sich und hat den Namen von Biagio da Cesena für die Ewigkeit lächerlich gemacht. Genial!

Trotzdem kam es zur Zensur.

Ja, vor allem nach dem Tod Michelangelos. Bei einigen Nackten wurde einfach nur übermalt. Das konnte bei der Restaurierung entfernt werden. Die einzigen Zensuren, die bei den Restaurierungen nicht rückgängig gemacht werden konnten, waren die von Daniele da Volterra, einem Michelangelo-Schüler. Er hat damals den bemalten Putz abgeschlagen, neu aufgetragen und ihn wieder bemalt. In Rom wurden diese Künstler immer spöttisch Braghettoni, also Hosenmaler, genannt. Wer die Diskussion ein für alle Mal beendet hat, war erst Johannes Paul II., der Michelangelos Nackte die "Theologie des menschlichen Körpers" nannte. Eine sehr schöne Definition. Wir werden nackt geboren und sterben nackt. Die Nacktheit von Jesus als Kind im Arm seiner Mutter ist doch nichts anderes als der Beweis, dass Gott zu einem Menschen geworden ist. Jedenfalls ist auch die Kirche mit Michelangelos Werk erwachsener geworden.

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Zurück zum Konklave. Sie haben zwei direkt im Vatikan erlebt. Wie war das?

Ich habe die Wahlen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. miterlebt. In dieser Zeit übergab ich die Räume des apostolischen Palastes, die ansonsten Teile des Museums sind, an die Staatsverwaltung, also die Schlüssel und Siegel und auch die Verantwortung. Beide Male habe ich etwas sehr Ähnliches gefühlt: einen sehr tiefen Schmerz wegen des Todes eines Papstes. Denn wir leben, glauben und arbeiten im Vatikan im Dienste dieses Mannes. Und dann kommen wir aus dieser tiefen Trauer innerhalb von 10, 15 Tagen zur unendlichen Euphorie bei der Wahl des neuen Papstes. Dieser schnelle, komplett gegensätzliche Gefühlswandel ist sonderbar. Und lässt sich am besten mit einem Satz beschreiben: Es stirbt ein Papst, aber nicht der Papst.

Nach der Wahl wird der neue Papst zunächst in ein kleines Zimmer gebracht, den Raum der Tränen. Wieso heißt dieses Zimmer so?

Es ist ein völlig unscheinbares Zimmerchen. Aber dort hängen die neuen Gewänder des neuen Papstes. Da man nicht weiß, wer es sein wird, gibt es sie in drei verschiedenen Größen: eines klein und eng, eines durchschnittlich und eines für einen etwas größeren und korpulenteren Mann. In diesem Raum muss der Gewählte die Kardinalskleidung ablegen und das Gewand des Pontifex anziehen. Es ist wie eine Häutung, diesen kleinen Raum verlässt der Gewählte als neue Person. Physisch und auch mit neuem Namen. Du bist nicht mehr Joseph Ratzinger, sondern Benedikt. Nicht mehr Jorge Bergoglio, sondern Franziskus. Eine tatsächliche Mutation – und das führt manchmal zu Tränen, denn die Person wird im Intimsten seiner selbst berührt.

Sie haben vorhin Ihre erste Begegnung mit der Sixtinischen Kapelle beschrieben. Wann waren Sie das letzte Mal dort?

Zur Taufe meines Enkelsohnes Raffael. Er wurde am 7. Januar 2024 in der Sixtinischen Kapelle von Papst Franziskus getauft. Diese Zeremonie dort unter diesen Fresken, und dann wurde mein Enkel auch noch vom Papst getauft, das hat mich sehr gerührt. Vielleicht mehr als alles andere in meinem Leben.

Herr Buranelli, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • telefonisches Interview mit Francesco Buranelli
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