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Nahost-Konflikt im Netz: Wie Influencer Israel zum Feind machen


Radikale Gefahr im Netz
Hass für Millionen

Von Tobias Eßer

25.11.2023Lesedauer: 5 Min.
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Radikalisierung auf TikTok: Mit diesen Videos wollen salafistische Prediger Jugendliche beeinflussen. (Quelle: t-online)

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel laden viele Influencer radikales Gedankengut ins Netz. Unter ihnen sind auch Stimmen aus dem salafistischen Spektrum.

Pierre Vogel sitzt im Hugo-Boss-Pullover vor der heimischen Kamera und spricht mit seinem rheinischen Zungenschlag in die Kamera: "Ostpreußen, Westpreußen, Schlesien und Pommern haben wir schon weggegeben. Warum geben wir den Juden nicht als eigenen Staat Sachsen-Anhalt?"

Der Mann, von dem dieser absurde Vorschlag kommt, ist kein Unbekannter. Pierre Vogel aus der Stadt Frechen bei Köln ist einer der reichweitenstärksten salafistischen Influencer in Deutschland. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober beschäftigt er sich verstärkt mit dem Nahostkonflikt – und teilt dabei radikale, antiisraelische und antijüdische Thesen.

Vogel ist nicht der Einzige, der zurzeit radikale Thesen gegen Israel verbreitet. Seit dem 7. Oktober beschäftigt sich eine auffallend große Zahl an Influencern mit dem Nahostkonflikt – darunter auch viele, die zuvor nicht eindeutig Position bezogen haben. Ihre teils radikalen Inhalte erreichen Millionen. Tragen sie zu einer antiisraelischen Radikalisierung bei?

"Für mich ist Hitler besser als Netanjahu"

Theresa Lehmann, Expertin für Extremismus im Internet bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, glaubt fest daran. "Die Zielgruppe auf TikTok sind ja junge Menschen", sagt sie im Gespräch mit t-online. "Denen ist teilweise gar nicht bewusst, was sie konsumieren und verbreiten".

Besonders extrem ist der israelbezogene Antisemitismus im Publikum von Pierre Vogel. Der salafistische Prediger sprach Anfang November in einem Livestream auf der Videoplattform TikTok mit dem Clanchef Arafat Abou-Chaker. Dabei ging es vor allem um die Geschehnisse in Israel und dem Gazastreifen. Abou-Chaker sagte dabei wörtlich in Bezug auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu: "Für mich ist Adolf Hitler besser als Netanjahu".

Er begründet seinen Satz mit der Aussage, Hitler habe die Menschen wenigstens sofort getötet. Im Gegensatz dazu lasse Netanjahu die Palästinenser leiden "und bringt uns dann erst um. Der will ein ganzes Volk auslöschen."

Copy-Paste-Aktivismus als Problem

Aber warum sind Vogel und Konsorten so erfolgreich? "Junge Menschen wollen das Richtige tun", erzählt Theresa Lehmann. Bei vielen von ihnen fehlten Vorbilder und ein gefestigtes Weltbild. "Ein weiteres Problem ist außerdem der Copy-Paste-Aktivismus", führt die Expertin weiter aus. Begriffe wie "Kindermörder Israel" würden unreflektiert mit der eigenen Bubble geteilt. Das führe zur Verbreitung antiisraelischer Verschwörungsmythen.

Genau solche Verschwörungsmythen verbreitet auch Serhat Sisik. Der Influencer ist unter dem Namen "Aggressionsprobleme1" vor allem auf Instagram und TikTok aktiv. Ihm folgen dort fast 200.000 Nutzer. Seine Reichweite ist für ihn ein "Geschenk Allahs", wie er in einem Video erklärt. Daraus erwachse allerdings auch eine gewisse Verantwortung. Denn wer als Influencer nur Geld verdienen wolle, anstatt "über Palästina zu posten", werde früher oder später dafür bezahlen, so Sisik in einem Video. Dafür werde Allah sorgen.

Seit dem Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel beschäftigt sich Sisik fast ausschließlich mit dem Nahostkonflikt – und rutscht dabei immer häufiger ins Spektrum der Verschwörungsmythen ab. "Die Medien" würden verschweigen, was "wirklich" in Gaza geschehe, erzählt er. Israel unterbreche etwa "bewusst" die Internetverbindung im Gazastreifen, um Informationen über "den Genozid" zu unterdrücken. Beweise liefert "Aggressionsprobleme1" für seine Behauptungen nicht.

Medien als Feindbild

Die Medien sind generell ein beliebtes Ziel von Sisik. Am 16. Oktober lädt er ein Video hoch, das er mit den Worten "Ihr seid absolute Heuchler" beginnt. Gemeint ist die gesamte deutsche Medienlandschaft, die einseitig und pro-israelisch über den Angriff der Hamas und den Krieg im Gazastreifen berichte. Doch Sisik belässt es nicht nur bei Worten.

Am 18. November nimmt er an einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin teil. Dort wird er laut einem Bericht von Jörg Reichel, Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Gewerkschaft Verdi, auf ein filmendes ARD-Team aufmerksam, das gerade ein Interview aufnimmt.

Sisik schickt zwei Ordner der Demo zum Presseteam. Dort drängten sie sich in das laufende Interview und unterbrachen das Gespräch durch lautes Schreien, berichtet Reichel auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). Ein zweiter Ordner hob mehrmals den Arm vor die Kamera und behinderte so die Pressearbeit.

Durch seine Reichweite trägt Sisik also medienfeindliche Aussagen nach außen – und setzt sie auch auf der Straße um. Das kann zu einer Gefahr für Journalistinnen und Journalisten werden, die von pro-palästinensischen Kundgebungen und Demonstrationen berichten.

Israelhass aus Österreich

Während Sisik keine dezidierte Hamas-Ideologie verbreitet, sieht das bei einer Influencerin aus Österreich anders aus. Nicole Schöndorfer galt lange Zeit als Gesicht der modernen kommunistischen Linken. Sie veröffentlichte im "Freitag", im "Standard" und bei "Zeit Online". Ihre Ansichten waren stets links, aber nie menschenfeindlich.

Das änderte sich spätestens mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Als Israel in Reaktion auf den Terrorangriff mit Bomben auf den Gazastreifen reagierte und über 300 Menschen tötete, schrieb Schöndorfer auf Instagram: "Wir ehren die mehr als 300 Märtyrer von Gaza, die aufgestiegen sind durch die feigen Luftangriffe des zerfallenden zionistischen Gebildes und seiner dezimierten Armee, die es nicht wagt, sich den heldenhaften Menschen des Gazastreifens anders zu nähern als von weit weg in einem von den USA finanzierten Kampfflugzeug, um Bomben auf sie abzuwerfen."

Mit diesem Text bedient Schöndorfer nicht nur ein antisemitisches Narrativ ("zionistisches Gebilde"), sondern übernimmt auch das islamistische Framing der Hamas ("Märtyrer"). In einem weiteren Post bezeichnet sie die österreichische Bundesregierung als "faschistisch" und legt nahe, dass sie nur Solidarität mit Israel zeigen würde, um sich für die Schoah zu entschuldigen.

Online-Aktivismus strömt auf die Straße

Auch Schöndorfer ist auf der Straße aktiv, berichtet das österreichische Magazin "tag eins". Posts auf X zeigen sie inmitten einer Menge, wie sie mit der linken Faust in der Luft arabische Parolen schreit.

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Schöndorfer ist zwar mit 19.000 Followerinnen nicht so reichweitenstark wie andere Influencerinnen, sie ist in der linksradikalen Szene Österreichs allerdings gut vernetzt und schafft es, auch die Straße zu mobilisieren.

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Schöndorfer und Serhat Sisik gelingt es, ihre Reichweite im Internet auf den Straßen Deutschlands und Österreichs zu manifestieren. Die Mobilisierung vom Online- in den Offlinebereich habe seit der Corona-Pandemie zugenommen, erklärt Islamwissenschaftler Ahmad Omeirate der linken Wochenzeitung "Jungle World". Online könnten Islamisten eine Vielzahl von Menschen erreichen, die sie sonst kaum erreicht hätten. "Dort treffen diese Menschen auf verschiedene extremistische Imame, radikalisieren sich und werden nun aktiv".

Israel als perfektes Feindbild

Israel biete gerade für Online-Antisemitismus ein perfektes Feindbild. Gerade TikTok und Instagram trügen zu einer schnellen Radikalisierung bei, erklärt Lehmann. Die Protagonisten wirken häufig sympathisch und verbinden ihre Botschaften oft mit starken Bildern oder bekannten Klängen. Damit begünstigten sie starke Bindungen, die ihre Rezipienten zu ihnen aufbauen, so Lehmann.

Genau diese Bindungen begünstigen antisemitische Einstellungen. Denn die Influencer stellen Israel als kollektiven Feind dar. Theresa Lehmann erklärt, dass das Feindbild Israel die Unzufriedenheit durch gesellschaftliche Probleme wie Rassismus ausgleichen könne. "Man bekommt das Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen", sagt die Expertin.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Theresa Lehmann
  • taz.de: "Der Hass der Insta-Islamisten"
  • juedische-allgemeine.de: "Arafat Abou-Chaker und Pierre Vogel rufen Staatsschutz auf den Plan"
  • Instagram-Profil "@aggressionsprobleme1"
  • jungle.world: "Influencer gegen Israel"
  • sueddeutsche.de: "Faustrecht der Bilder"
  • tageins.at: "What the fuck happened to Nicole S.?"
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