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Gütersloher Hotelbesitzer nach Corona-Ausbruch: "Haben Strafanzeige gestellt"


Nach Corona-Ausbruch
Gütersloher Hotelbesitzer: "Wir haben Strafanzeige gestellt"

InterviewVon Sophie Loelke

Aktualisiert am 01.07.2020Lesedauer: 5 Min.
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Großer Andrang vor dem Corona-Testzentrum: Im Kreis Gütersloh herrschen nach dem Ausbruch in der Fleischfabrik Tönnies wieder strenge Corona-Maßnahmen.Vergrößern des Bildes
Großer Andrang vor dem Corona-Testzentrum: Im Kreis Gütersloh herrschen nach dem Ausbruch in der Fleischfabrik Tönnies wieder strenge Corona-Maßnahmen. (Quelle: Achim Duwentäster/imago-images-bilder)

Ein Wechselbad der Gefühle: Der Lockdown in Gütersloh ist in die Verlängerung gegangen.

Andreas Kerkhoff plagt die Unsicherheit. Er ist der Besitzer des Hotels und Restaurants "Appelbaum" in Gütersloh. Die Tourismusbranche ist die durch die Corona-Krise mit am schwersten getroffene. Dabei ging es gerade wieder bergauf mit dem Hotelgeschäft. Es fanden auch wieder kleine Feiern statt und Stammtische durften bei ihm einkehren. Er konnte aufatmen.

Doch dann der Rückschlag: Gütersloh musste in den erneuten Lockdown. Grund dafür ist der Corona-Massenausbruch in der nahe gelegenen Fleischfabrik Tönnies. Knapp 1.500 infizierte Werksarbeiter stehen unter Quarantäne. Der Lockdown mit Kontaktbeschränkungen und geschlossenen Freizeiteinrichtungen war für eine Woche angesetzt, doch Ministerpräsident Armin Laschet verkündete am Montag die Verlängerung. Kerkhoff zieht nun eine erste Bilanz.

t-online.de: Herr Kerkhoff, wie geht es der Hotellerie und Gastronomie mit dem Lockdown in Gütersloh, der nun sogar verlängert wurde?

Andreas Kerkhoff: Es trifft alle fürchterlich hart. Wir hatten gehofft, dass die Leute kleinere Städte- oder Radtrips hier her unternehmen, weil sie nicht ins Ausland fahren. Aber diese Hoffnung ist verbrannt. Stammtische, Geburtstage, Hochzeiten – alles ist abgesagt. Und dann kommen noch Hotelstornierungen dazu. Zumindest für die Sommerferien spielt Tourismus hier keine Rolle mehr.

Können Sie den Schaden schon abschätzen?

Für Hotellerie und Gastronomie ist der Schaden noch nicht endgültig messbar. Die Stornierungen selbst schon, aber die Anzahl der Leute, die gar nicht erst buchen, ist es nicht. Wir können es nur mit dem letzten Jahr vergleichen, um einen ungefähren Wert zu errechnen. Wir als der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Ostwestfalen haben daher Strafanzeige gestellt. Wir wollen uns die Möglichkeit aufrechterhalten, auf Schadensersatz zu klagen, sobald die Ermittlungen den Schuldigen ausgemacht haben. Ich bin wirklich sehr sauer.

Auch wenn Sie noch keine genauen Zahlen haben: Der wirtschaftliche Schaden wird sicher enorm sein. Schaffen Sie es aus der Krise?

Vor zwölf Jahren hatten wir die Wirtschaftskrise. Mit finanzieller Unterstützung haben wir sie gerade überstanden, alles zurückgezahlt – dann kam mit Corona der nächste Schlag. Das Problem ist: Wir haben keine Perspektive. Niemand kann sagen, wann es normal weiter geht. Der Einzelhandel kann wieder normal verkaufen, aber wir als Hotel und Restaurant sind Luxusgut – besonders jetzt, wo sich noch weniger Menschen wegen der Kurzarbeit einen Hotelaufenthalt oder Restaurantbesuch leisten können. Ich würde auch gern alle meine Mitarbeiter wieder arbeiten lassen, aber wofür? Es gibt viel zu wenig zu tun.

Was macht das mit Ihnen?

Das zehrt an meinen Nerven. Auch bin ich jetzt zehn Jahre älter als zu Zeiten der Finanzkrise. Ich stelle mir die Frage: Will ich das meinen Kindern in ein paar Jahren antun? Will ich ihnen das Hotel mit diesen Schulden übergeben, während ich mich in den Ruhestand verabschiede? Ist es das wert?

Und was bedeutet der Lockdown für die, die eigentlich als Touristen herkommen wollten?

Die Menschen sind sehr verunsichert. Sie hören nur "Gütersloh ist ein Corona-Hotspot" und stornieren nicht nur für diese zwei Wochen, sondern eben auch für die Zeit danach bis in den September hinein. Denn keiner weiß mit Sicherheit, wann alles wieder normal sein wird. Das negative Image, das Gütersloh jetzt bekommt, hat die Stadt nicht verdient. Leider bekommen wir nicht mehr die Chance, zu zeigen, dass wir ein schönes Städtchen sind. Denn es besucht uns erst einmal keiner mehr – es ist eine Art Teufelskreis.

Wie fühlen sich die Menschen hier in Gütersloh mit der Krise?

Die Leute hier sind sehr sauer, auf das, was passiert ist. Wir alle saßen zwölf Wochen mit den Kindern zu Hause. Aber wir hatten ein Ziel, etwas, worauf wir uns freuen konnten: die Ferien, die jetzt angelaufen sind. Aber auch die waren durch Einreiseverbote nicht mehr für jeden sicher. Die Bevölkerung hat absolut kein Verständnis für die Zustände bei Tönnies und die Unterbringung der Werksarbeiter. Es ist menschlich nicht nachzuvollziehen. Wieso musste erst so etwas Schlimmes passieren? Das war doch schon lange bekannt.

Was muss passieren, damit sich das alles zum Guten wenden kann?

Wenn es jetzt ein Umdenken gibt und Gesetze geschaffen werden, kann sich auch etwas ändern. Den Schuldigen hier im Kreis haben wir mit Tönnies gefunden. Er hat die Hygienevorschriften nicht eingehalten und die Arbeiter konnten sie bei den Wohnverhältnissen nicht einhalten. Man muss sich um seine Mitarbeiter – und es heißt Mit-Arbeiter, nicht Zwangs-Arbeiter – kümmern.

Allerdings muss man auch immer etwas selbstkritisch sein, sich an die eigene Nase fassen: Ich will nicht sagen, dass der Verbraucher selbst die Schuld trägt. Aber einer muss die Zeche zahlen bei dieser "Geiz ist Geil"-Mentalität. Das Konsumverhalten sollte sich weiter ändern. Aber im Gesamten betrachtet – und damit meine ich auch andere Regionen mit anderen Fleischfabriken – ist es eine Kettenreaktion aus Gesetzen, Verbraucher-Nachfrage, Preisen im Einzelhandel und der Fleischindustrie.

Die Einreiseverbote, die sie ansprachen, wurden stark kritisiert und sorgten auch für die Stigmatisierung der Gütersloher.

Die Einreiseverbote kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, aber sie sind nicht ganz zu Ende gedacht. Theoretisch könnte eine Gruppe mit zehn Personen von uns immer noch nach Bielefeld in den Biergarten. Auf der anderen Seite haben die Verbote dazu geführt, dass Menschen ausgewiesen und Autos zerkratzt wurden. Man bekommt eine Ahnung davon, wie sich jemand fühlen muss, der wegen seiner Herkunft angegriffen und diskriminiert wird. Ich kann gewisse Ängste der Menschen aus anderen Städten verstehen, aber in der Form hat es das noch nicht gegeben. Dabei gab es nur diesen einen Hotspot – die Unterkünfte der Werksarbeiter.

Aber die könnten das Virus leicht in der Bevölkerung verbreitet haben. Daher sicherheitshalber der Lockdown …

Theoretisch schon, aber die Menschen sind eigentlich nur unter sich. Sie gehen zwar mal einkaufen, aber am gesellschaftlichen Leben nehmen sie nicht teil. Die Werksarbeiter leben fast schon in einer Parallelwelt. Sie fahren nach der Schicht zurück und leben in ihren Häusern. Ich habe einmal gesagt: die leben da nicht, die werden dort "gehalten".

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Wie meinen Sie das?

Ein Beispiel: Es gibt hier in der Nähe das Hotel "Haus Müterthis". Darin wohnen circa 70 Werksarbeiter aus verschiedenen Unternehmen. Aber das Haus ist nicht so groß, dass dort auch wirklich 70 Personen komfortabel hineinpassen. Kein Politiker kann mir erzählen, er habe das nicht gewusst.


Irgendwelche Subunternehmer besorgen diese Unterkünfte. Möglicherweise gibt es aber auch Tönnies-Mitarbeiter, die es besser getroffen haben und die bei den Kontrollen daher nicht negativ aufgefallen sind. Das ganze System ist sehr intransparent. Hier lässt sich alles auf dieses Unternehmen zurückführen – und die Region muss darunter leiden.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Andreas Kerkhoff
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