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Flut im Ahrtal: Wieso noch niemand vor Gericht steht


Schwierige Ermittlungen
Ahrtalflut: 134 Tote und niemand ist verantwortlich?


Aktualisiert am 18.01.2023Lesedauer: 8 Min.
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Katastrophe mit Ansage: Mehr als neun Stunden lang arbeitete sich die katastrophale Flutwelle ahrabwärts vor – und gewarnt wurde unzureichend.Vergrößern des Bildes
Katastrophe mit Ansage: Mehr als neun Stunden lang arbeitete sich die katastrophale Flutwelle ahrabwärts vor – und gewarnt wurde unzureichend. (Quelle: Thomas Frey/dpa)

Die politische Aufarbeitung der Flutkatastrophe im Ahrtal läuft, es sind Regierungsmitglieder zurückgetreten. Aber landet auch jemand vor Gericht?

Zu Beginn der Ermittlungen sagte Harald Kruse einen Satz, der ihn bis heute verfolgt: "Es ist belastend, auf eine Aufklärung warten zu müssen, die man braucht, um das schreckliche Erlebte überhaupt zu verarbeiten." Der Leitende Oberstaatsanwalt aus Koblenz meinte damit die Suche nach den Verantwortlichen für die Folgen der Ahrtalflut: 134 Menschen kamen in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 durch sie ums Leben.

Anderthalb Jahre danach legt die Staatsanwaltschaft auf den Tisch, wieso Überlebende und Angehörige der Opfer noch immer auf Aufklärung warten. Zwar läuft die politische Aufarbeitung, ein Untersuchungsausschuss tagt seit Oktober im rheinland-pfälzischen Landtag. Auch mussten im Jahr 2021 verantwortliche Regierungsmitglieder wie die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Die Grünen) und Innenminister Roger Lewentz (SPD) bereits zurücktreten. Im Dezember zogen die Parlamentarier dann eine erste Zwischenbilanz: "Komplettversagen im Krisenmanagement" lautete das Urteil.

Doch eine strafrechtliche Aufarbeitung ist bislang noch nicht in Sicht. Allein sieben Familien, die Angehörige verloren haben und als Nebenkläger auftreten wollen, warten darauf.  Warum sich das alles so lange hinzieht, wer im Zentrum der Ermittlungen steht und welche haarsträubenden Geschehnisse aus jener Nacht bislang bekannt sind, erklärt t-online jetzt.

Die Dauer erklärt Oberstaatsanwalt Kruse damit, dass viele Fragen auch für die Ermittler sehr komplex seien. Immer wieder tauchten neue Aspekte auf. "Wir führen das Verfahren mit riesigem Nachdruck. Aber wir können manches erst beantworten, wenn wir wirklich alle Erkenntnisse sorgfältig zu einem Gesamtbild zusammengesetzt haben", sagte Kruse. Zudem gebe es zu vergleichbaren Ereignissen von Naturkatastrophen kaum Rechtsprechung.

Kruse stand bis Ende 2022 an der Spitze der Staatsanwaltschaft Koblenz. Dort ist Oberstaatsanwältin Ute Adam-Backes für das Verfahren zuständig. Beide gaben im Untersuchungsausschuss Einblicke in ihre Ermittlungen.

Sie suchen Antworten auf vier Schlüsselfragen: Wer sind die Verantwortlichen? Was wussten sie wann? Hätten sie noch Möglichkeiten gehabt, Leben zu retten? Welche Rolle spielten strukturelle Mängel im Katastrophenschutz?

Suche nach Verantwortlichen: Es gibt wenige Präzedenzfälle

Schlüsselfrage 1: Wer sind die Verantwortlichen? Ermittelt wird bisher nur gegen zwei Vertreter des Kreises Ahrweiler, den damaligen Landrat Jürgen Pföhler (64) und den Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) Michael Zimmermann. Das liegt daran, dass der Katastrophenschutz auf kommunaler Ebene angesiedelt ist. Bei den Vorwürfen geht es um fahrlässige Tötung und Körperverletzung im Amt, jeweils begangen durch Unterlassen.

Landrat Pföhler hatte bei der Durchsuchung im August 2021 erklärt, diese Aufgabe schon Jahre zuvor an den ehrenamtlichen BKI Zimmermann delegiert zu haben. Ihn selbst treffe daher keine Schuld. Doch so einfach ist es nicht, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Kruse: "Wir halten Herrn Pföhler für grundsätzlich verantwortlich. Die politisch-administrative Komponente, die es geben muss, ist nicht delegierbar."

Pföhler habe am Abend und in der Nacht schließlich auch Entscheidungen getroffen. 21 Jahre lang war er Landrat. Nach der Flut ließ er sich krankschreiben und drei Monate später in den vorzeitigen Ruhestand versetzen. Zuvor hatten alle Fraktionen seinen Rücktritt gefordert.

Der von Pföhler als technischer Einsatzleiter eingesetzte Zimmermann ist als Feuerwehrmann unter anderem mit dem Goldenen Feuerwehr-Ehrenzeichen am Bande für hervorragende Verdienste ums Feuerwehrwesen ausgezeichnet. Zimmermann war als Reha-Berater bei einer Berufsgenossenschaft tätig*, ehe er als Verwaltungsangestellter zur Kreisverwaltung wechselte. Wie brisant die Ermittlungen gegen den ehrenamtlichen BKI sind, zeigt eine Äußerung seines Stellvertreters Frank Linnarz: "Wenn einem Feuerwehrmann eine Restschuld angelastet wird, werden wir Probleme in allen Bereichen der Feuerwehren bekommen.“

"Fortlaufend" auch Prüfungen bei anderen

Ob Ermittlungen noch auf weitere Beteiligte ausgeweitet werden, ist nicht völlig auszuschließen. "Wir prüfen das fortlaufend", sagt Kruse. In den Fokus könnte immer noch der Chef der nächsthöheren Ebene kommen, der Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Thomas Linnerz (46). Sobald er das Ausmaß kannte, hätte er nach Ansicht mancher Experten mit seiner Behörde übernehmen müssen.

Doch diese sogenannte "Eintrittspflicht" ist nicht eindeutig – und auch da stellt sich die Frage: Wann hätte er das Ausmaß erkennen können – und hätte er dann mit seinen Möglichkeiten noch etwas verhindern können? Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es aber noch keinen Anfangsverdacht gegen den ADD-Chef.

Relevant sein könnte auch, ob es in Sinzig Mitverantwortliche für den Tod der zwölf Menschen gibt, die dort im Lebenshilfehaus starben. Laut Staatsanwaltschaft gibt es widersprüchliche Aussagen zwischen Nachtwache und Feuerwehr, wie eindringlich eine erste Warnung um 22.45 Uhr war. Dazu wurden auch Nachbarn befragt.

In der Einrichtung war nur eine Nachtwache für mehr als 30 behinderte Menschen in zwei Gebäuden zuständig – das Sozialministerium Land hatte keine zweite bewilligt. Als in der Stadt evakuiert wurde, hatten Nachbarn um 2 Uhr andere Feuerwehrleute darauf aufmerksam gemacht, dass diese Nachtwache sich im etwas höher gelegenen Haupthaus befindet.

Landrat war um 14 Uhr aus dem Büro

Der Mann wurde informiert, habe auf Hilfe der Feuerwehr verzichtet und zunächst die Menschen in der Außenstelle ins obere Stockwerk gebracht. Er schaffte es im schnell steigenden Wasser jedoch nicht mehr zurück ins Haupthaus, wo schließlich zwölf Bewohner starben. Auch in diesem Fall wurden Handys sichergestellt. Einen Anfangsverdacht gegen die Feuerwehrleute oder die Nachtwache gibt es bisher nicht.

Schlüsselfrage 2: Was wussten die Verantwortlichen wann? Landrat Pföhler hatte an dem Tag um 14 Uhr das Büro verlassen und Warnungen offenbar nicht ernst genommen. Ein neues brisantes Detail von der Staatsanwaltschaft stammt aus der Befragung seiner Sekretärin zu einem Anruf um 16.20 Uhr: Am Telefon war Cornelia Weigand, damals Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr am Mittellauf der Ahr, wo die Katastrophe früher eintraf als in der Kreisstadt.

Die studierte Naturwissenschaftlerin wollte angesichts des rapide steigenden Pegels und nach Gesprächen mit der Hochwasserzentrale, dass der Landrat den Katastrophenalarm ausruft. Pföhlers Sekretärin konnte sie nur zu einem Vertreter durchstellen. Der Staatsanwaltschaft erzählte sie, was dieser von einem Telefonat mit Pföhler berichtet hatte: Pföhlers Reaktion sei gewesen, dass "Weigand wie immer übertreiben und sich anstellen" würde. Die Bürgermeisterin drängte auch andere Behörden zum Handeln. (Lesen Sie hier, wie sie eine der drei Frauen der Flut wurde).

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Der Landrat war dann um 19.20 Uhr für rund eine halbe Stunde mit dem später zurückgetretenen Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Einsatzleitstelle (ELS) des Kreises.  Zu der Zeit ihres Besuchs sei ruhig und konzentriert gearbeitet worden, sagten beide. Der BKI Zimmermann versuchte später vergeblich, den Landrat zu erreichen. Pföhler warnte um kurz nach 22 Uhr seine Nachbarn und brachte ein Fahrzeug in Sicherheit. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb zwischenzeitlich auch Menschen in seiner Straße befragt.

Manche Informationen kamen aber auch einfach nicht an: Ein Hubschrauberpilot des ADAC filmte aus der Luft am Abend alarmierende Bilder, die für den weiteren Verlauf der Ahr Schlimmes befürchten ließen. Er schickte die dramatischen Videos um 21.36 Uhr der für mehrere Landkreise zuständigen Integrierten Leitstelle (ILS) Koblenz. Von dort wollte sie ein Mitarbeiter um 21.41 Uhr nach Ahrweiler senden. Dieser hatte aber keine Whatsapp-Nummer des Brand- und Katastrophenschutzinspekteurs und schickte die Videos deshalb einem Bekannten in der Einsatzzentrale dort – kommentarlos. Der reagierte nur mit einem Emoji, leitete die Videos aber nicht weiter.

Live-Übertragung aus Hubschrauber nicht abrufbar

Auch verheerende Bilder eines Polizeihubschraubers, die nach 22 Uhr entstanden, erreichten niemanden: In der Einsatzzentrale der Polizei fiel die Live-Übertragung aus – das Problem soll es häufiger geben. Entlastet das die Verantwortlichen im Krisenstab? Die in den Videos enthaltenen Informationen fanden sich wenig später zumindest auch in einem knappen schriftlichen Bericht des Piloten.

Der Hubschrauber drehte bald ab, weil sein Auftauchen verzweifelten Menschen falsche Hoffnung machte: Er hatte keine Rettungswinde. Rekonstruktionen ergaben, dass der rheinland-pfälzische Pilot die verzweifelten Lichtsignale einer Frau sah, die später tot aufgefunden wurde. Trotz eines deutschlandweiten Aufrufs in der Nacht fand sich nur bei der hessischen Polizei ein einsatzbereiter Helikopter mit der notwendigen Technik, eine andere Besatzung improvisierte mit Schlaufen.

Schlüsselfrage 3: Was wäre mit Maßnahmen noch zu verhindern gewesen? Um diese Frage beantworten zu können, versuchen die Ermittler möglichst detailgetreu den Ablauf des Abends zu rekonstruieren. Dafür werten sie alle verfügbaren Informationen aus. Sie hofften dabei auch, auf Informationen aus dem regionalen Funkverkehr, den sie für einen Zeitraum vom Auftreten der Flut in Bad Neuenahr bis zum Auftreten in Sinzig auswerteten: 40.000 Funkschnipsel stündlich in der Spitze – aber ausgerechnet die Sinziger Funksprüche waren nicht aufgezeichnet.

Das LKA hat zudem eine aufwendige 3D-Animation unter anderem mit Bildern des Hubschraubers erstellen lassen, die Aufschluss darüber gibt, wo wann und wie hoch der Wasserpegel stand und wo wann Menschen starben.  Mit ihrer Hilfe soll sich nachvollziehen lassen, in welchen Fällen frühere Warnungen und andere Maßnahmen möglicherweise noch hätten Leben retten können. Um sie den Anwälten zugänglich zu machen, muss sie noch in Papierform aufbereitet werden. Auch das verzögert das Verfahren.

Klar ist aber auch, dass an manchen Orten Menschen starben, obwohl Feuerwehren dort die Bewohner auch ohne Anweisung aus der Kreisverwaltung aufgefordert hatten, Keller und Tiefgaragen zu meiden. In Sinzig berichtete die Feuerwehr, dass Menschen sie bei der Evakuierung beleidigten.

Schlüsselfrage 4: Welche Rolle spielten strukturelle Mängel im Katastrophenschutz? Die Ermittlungen zeigen, dass der Katastrophenschutz für einen solchen Fall viel zu schlecht vorbereitet war. Es gab nicht einmal einen Alarm- und Einsatzplan Hochwasser, so Staatsanwältin Adam-Backes: "Warum es ihn nicht gab, und wer verantwortlich war, ihn zu erstellen und zu überprüfen, ist Gegenstand der Ermittlungen." Die Ermittler haben auch Erkundigungen eingeholt, wann wer welche Fortbildungen zum Katastrophenschutz besucht hat.

Handy-Empfang im Keller gestört

Versäumnisse bei der Struktur seien juristisch eine "haarige Sache", so Kruse. "Wir müssen eine Kausalität herstellen können.“ So sei zum Beispiel die Frage zu klären, ob es absehbar ist, dass Menschen sterben können, wenn die Einsatzleitstelle mit 17 Arbeitsplätzen in einem Keller mit unzureichendem Handyempfang eingerichtet wird. Deswegen mussten in jener Nacht manche Mitarbeiter zum Telefonieren ins Erdgeschoss gehen. Und der Leitstellen-Leiter musste sich dann auch noch um Sachbearbeitung kümmern, weil so viel auflief.

Einige eigentlich für die Leitstelle vorgesehene Kräfte waren als Führungskräfte bei ihren Feuerwehren vor Ort selbst gefragt. Der einzige Mann, der mit dem System Katwarn den Katastrophenalarm samt Evakuierungs-Aufforderung verschicken konnte, war selbst in der Nacht bei seiner örtlichen Feuerwehr im Einsatz. Nachdem der Alarm eigentlich um 22.04 Uhr beschlossen wurde, ging der Auftrag an ihn um 22.37 Uhr per Mail heraus – als er hinterm Steuer saß und der Funk im Dauerbetrieb lief.

Um 23.09 Uhr setzte er ihn schließlich ab, um 23.22 Uhr folgten eine Pressemitteilung und um 23.27 Uhr ein Facebook-Posting. Bad Neuenahr-Ahrweiler erreichte die Flutwelle um 23 Uhr und arbeitete sich mit jeder weggerissenen Brücke weiter vor. Dort starben 70 Menschen. Es bestand gesetzlich auch die Möglichkeit, im laufenden Programm von SWR zu warnen. Doch diese wurde nicht genutzt: Die überregionale Integrierte Leitstelle hatte das benötigte Fax aus Ahrweiler nicht bekommen.

Was sagen die Beschuldigten?

Was fehlt noch? Beim LKA sind inzwischen nur noch zwei Beamte ausschließlich mit dem Fall betraut – ein deutliches Signal, dass die Ermittlungen dem Ende entgegengehen. Alles läuft zusammen bei Oberstaatsanwältin Ute Adam-Backes. Der Fall liegt bei der 58-Jährigen, weil die Zuständigkeiten bei der Staatsanwaltschaft örtlich vergeben werden, der Kreis Ahrweiler ist ihr Gebiet. Das heißt auch: Sie ist für das Großverfahren nicht etwa freigestellt, sondern weiter auch mit anderen Straftaten befasst. Adam-Backes wirkt aber auf Nachfrage auch mit Details der umfangreichen Akten zur Ahrflut sehr vertraut.

Sie wartet jetzt vor allem darauf, was Ex-Landrat Pföhler und sein eingesetzter Einsatzleiter Zimmermann aussagen, aber auch, was die Anwälte der Hinterbliebenen noch vorbringen. Beides steht noch aus. Sie haben Akteneinsicht, um sich ein Bild über die Beweislage zu machen und Stellung zu beziehen. Bei dem umfangreichen Material sei es wahrscheinlich, dass beantragt werde, die Frist zur Beantwortung zu verlängern.

Eine mögliche Anklage oder gar ein Gerichtstermin sind damit noch nicht absehbar.

*Wir haben an dieser Stelle klargestellt, dass Michael Zimmermann nicht mehr beruflich als Reha-Berater tätig ist wie zunächst geschrieben,

Verwendete Quellen
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