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Messerangriff in Mannheim: Muslime stehen unter Generalverdacht – Kommentar


Tödlicher Messerangriff in Mannheim
Jetzt geht es wieder los

MeinungVon Amir Selim

Aktualisiert am 06.06.2024Lesedauer: 3 Min.
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Mitarbeiter der Spurensicherung stehen auf dem Marktplatz hinter einem zertrümmerten Stand. (Quelle: Uwe Anspach/dpa/dpa-bilder)

Nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim wird abermals über Migration debattiert. Im Fokus steht mal wieder der Islam. Zum Leidwesen vieler Muslime.

Islamismus, Migration, Abschiebungen. Schon als ich die Eilmeldung vom fürchterlichen Messerangriff eines Geflüchteten auf einen Islamkritiker sah, wusste ich, was folgen würde: Politiker, die ihr Entsetzen bekunden und im nächsten Atemzug harte Maßnahmen fordern. Pauschalkritik am Islam und den Muslimen in Deutschland. "Jetzt geht das wieder los", dachte ich mir – so wie viele Muslime und Menschen aus muslimischen Familien. Wieder einmal stehen wir unter Generalverdacht.

Natürlich sind die Reaktionen nachvollziehbar. Und um es hier einmal klar zu sagen: Auch mich hat diese Nachricht schockiert. Ich bin wütend, dass ein junger Mann, der sich dem Schutz anderer verschrieben hat, genau deshalb getötet wurde. Allerdings frustriert mich und viele andere die fehlende Trennschärfe zwischen gewaltbereiten Islamisten und gemäßigten Gläubigen in der Debatte. Wir fragen uns: "Sind wir hier wirklich willkommen?"

Dabei bin ich deutscher Staatsbürger, hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe hier studiert. Ich bezeichne mich auch nicht als Muslim, denn ich bin nicht religiös. Anders als meine Eltern, die aus Ägypten kommen. Und trotzdem werde ich jedes Mal nach solchen Vorfällen das Gefühl nicht los, mich rechtfertigen zu müssen.

Muslime resignieren

Das frustriert nicht nur mich, sondern auch viele meiner Freunde und Bekannten. Zum Beispiel meinen ehemaligen Mitbewohner und seine Freunde, die aus Syrien geflüchtet sind und jetzt hier studieren. Selbstverständlich verurteilen sie so wie ich die Tat, beteiligen sich aber nur bedingt an der Debatte. "Wir haben uns daran gewöhnt", sagen sie. "Dagegen kann man nichts tun".

Hilflos reagieren auch meine Mutter und ihre Arbeitskollegen. Auch sie verurteilen die Tat scharf und verweisen darauf, dass der Islam es streng verbietet, jemanden zu töten. Für sie hat die Attacke nichts mit ihrer Religion zu tun.

Kritiker werden entgegnen, dass sich viele Gewalttäter auf den Islam berufen. Das ist richtig und nicht von der Hand zu weisen. Dabei ist es ein Missbrauch der Religion, wie es ihn leider auch in anderen Religionen zuhauf gibt. Umso wichtiger ist die Reaktion muslimischer Gemeinden in Mannheim, die den toten Polizisten betrauerten und die Tat scharf verurteilten. Zudem forderten sie den Rechtsstaat auf, "in solchen Fällen konsequent durchzugreifen".

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Fehlende Differenzierung nützt den Radikalen

Die fehlende Differenzierung liegt sicherlich auch darin begründet, dass kaum eine Religionsgemeinschaft so dezentral ist wie der Islam. Es gibt zudem unterschiedliche Glaubensrichtungen. Und: Die allermeisten Muslime sind nicht organisiert. Selbst die größte islamische Organisation, die aus der Türkei finanzierte Ditib, hat lediglich rund 150.000 Mitglieder, bei geschätzten 5,5 Millionen Muslimen in Deutschland. Sogar ich werde vermutlich zu diesen 5,5 Millionen gezählt, obwohl ich nicht gläubig bin, nur weil meine Eltern muslimisch sind.

Vielleicht ist aber genau das das Problem. Es fehlt an einer Struktur, die die Interessen der Muslime bündelt, organisiert und artikuliert. Die für die Gesellschaft, für die Medien und für die Politik ansprechbar ist. Die sich aber auch klar gegen Fundamentalisten positioniert und bestenfalls nicht aus dem Ausland finanziert ist.

Um so wichtiger wäre es, gemäßigte Muslime in Deutschland zu unterstützen und sie nicht in die Ecke zu drängen. Menschen wie meine Mutter und meinen ehemaligen Mitbewohner. Sie beten täglich oder gehen jeden Freitag in die Moschee. Die Religion gibt ihnen Halt, ist für sie identitäts- und sinnstiftend, so wie es das auch für viele Christen ist.

Der Islam gehört zu Deutschland

Die deutsche Gesellschaft erwartet zu Recht, dass sich jeder in diesem Land zu den freiheitlich-demokratischen Werten bekennt. Doch das darf nicht bedeuten, dass nur weil ich aus einer muslimischen Familie stamme oder Muslim bin, dieses Bekenntnis automatisch infrage gestellt wird.

Wer Muslimen das Gefühl gibt, Deutsche zweiter Klasse zu sein, stärkt die Radikalen: Islamisten, die in sozialen Medien und anderswo betonen, dass Muslime nie Teil der deutschen Gesellschaft sein werden. Sie wissen, dass junge Muslime das in ihrem Alltag oft erleben und packen sie genau bei diesem Gefühl, wenn sie einen Freund-Feind-Gegensatz aufzeigen: wir Gläubige gegen die Ungläubigen.

Die freie Religionsausübung ist in unserem Grundgesetz verankert. Doch noch immer löst der Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" Debatten aus. Millionen Menschen, die dieser Religion angehören, können aber nur dann Teil der Gesellschaft sein, wenn auch ihr Glauben als Teil dieses Landes akzeptiert ist.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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