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Rettungsschwimmer zu Badeunfällen: "Das kann zu 98 Prozent nur mit dem Tod enden"


Rettungsschwimmer zu Badeunfällen
"Das kann zu 98 Prozent nur mit dem Tod enden"

InterviewVon Sophie Loelke

29.08.2020Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Badeunfall am Riemer See: Rettungsboote der Wasserwacht und der DLRG suchen nach einer vermissten Person. 192 Badetote gab es bis zum August im Jahr 2020.Vergrößern des Bildes
Badeunfall am Riemer See: Rettungsboote der Wasserwacht und der DLRG suchen nach einer vermissten Person. 192 Badetote gab es bis zum August im Jahr 2020. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Der Sommer neigt sich dem Ende entgegen. Für die DLRG heißt das: Aufatmen, die Hochsaison der Badetoten ist überstanden. Ein Rettungsschwimmer erzählt, wie die Corona-Pandemie die Rettungen beeinflusst.

Im August hat die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) ihren Zwischenbericht zum Jahr 2020 veröffentlicht. Mindestens 192 Badetote hat Deutschland bisher zu beklagen. 63 weniger als ein Jahr zuvor – dennoch zu viele. Über 90 Prozent der Menschen sind in Seen, Flüssen und Teichen ertrunken.

Besonders ungesicherte Wasserstellen sind gefährlich: Kinder rutschen an Kanten ab, Erwachsene bekommen Herz-Kreislauf-Anfälle oder Jugendliche überschätzen ihre Kondition und ertrinken am Schwächeanfall. Die DLRG muss erst aus ihrer Zentrale anrücken. Kostbare Zeit geht dabei verloren – und so manches Mal auch ein weiteres Menschenleben.

Michael Neiße erzählt offen, wie es sich anfühlt, Ertrinkende nicht mehr retten zu können und wie die Corona-Krise die Rettungen beeinflusst. Er ist seit 40 Jahren DLRG-Rettungsschwimmer und aktuell Leiter der Verbandskommunikation am Standort Berlin.

Herr Neiße, Sie sind seit 40 Jahren Rettungsschwimmer bei der DLRG. Was gefällt Ihnen daran?

Es ist ein sehr nützliches Hobby. Es macht Spaß, anderen zu helfen. Wir sind auch präventiv tätig und warnen, wenn sich jemand in Gefahrensituationen begibt, die er selbst scheinbar nicht erkennt. Einschneidende positive Erlebnisse sind dann immer die Rettungen, negative Erlebnisse gibt es auch, zum Beispiel, wenn wir nicht mehr helfen konnten.

Was sind dabei die größten Herausforderungen?

Für uns Rettungsschwimmer ist es eine Herausforderung, richtig einschätzen zu müssen, ob eine Person Hilfe braucht. Ab wann springt man rein? Wie lange beobachtet man die Situation? Das sind Dinge, die wir abwägen. Jeder Unfall ist anders. Die Situationen dann möglichst schnell zu erfassen und dementsprechend zu handeln, zählt auch zu den größten Herausforderungen.

Und was sind die häufigsten Gründe für Badeunfälle?

Die häufigsten Unfälle kommen durch Unvernunft, Selbstüberschätzung und Alkohol zustande. Viele unterschätzen die Schwimmstrecke und je nach Kondition schaffen sie es dann einfach nicht mehr zurück. Das endet oft tragisch. Und um das Thema Alkohol aufzugreifen: Vor allem junge Männer sind scheinbar risikofreudiger als Frauen, manche Menschen springen einfach aufgeheizt und angetrunken ins Wasser. Dabei kann es zu Herz-Kreislauf-Versagen kommen. Diese Menschen versinken dann einfach still und sind weg.

Sie ertrinken still?

Ja, wenn die Menschen ein Herz-Kreislauf-Versagen haben, ertrinken sie, ohne zu schreien oder mit den Armen zu fuchteln. Wenn man einen Krampf bekommt, kann man noch versuchen, auf sich aufmerksam zu machen. Der Körper versucht aber zuerst, die Urinstinkte zu befriedigen. Das heißt: Atmen. Aber wenn sie Wasser einatmen, können sie nicht schreien, weil das auf die Stimmbänder geht. In dem Moment, wo die Person Wasser in die Lunge bekommt, wird es kritisch. Nach etwa vier Minuten ist das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und es kann zu Schäden kommen. Das hängt auch von der Wassertemperatur ab und wie derjenige im oder am Wasser verunglückt.

Ist es durch Corona zu einem Anstieg der Badeunfälle gekommen?

Das würde ich so direkt nicht sagen. Allerdings sind die Menschen wegen der Schließungen der Frei- und Hallenbäder an wilde Badestellen gefahren. Bei 31 Grad kann man das auch niemandem verübeln, aber das birgt Risiken, wenn da eben niemand von der DLRG oder anderen Hilfsorganisationen sitzt. Zu den unbewachten Badestellen haben wir als Retter einen längeren Anfahrtsweg. Außerdem sind wir durch das Virus jetzt selbst stärker gefährdet.

Wie retten Sie zu Zeiten der Pandemie jemanden? Ist der Abstand am Ende egal?

Nein. Ich will meine Retter nicht ans Messer liefern. Im Wasser werfen wir dem Menschen, sofern er noch zugreifen kann, zuerst ein Hilfsmittel wie eine Rettungsboje zu. Wenn er aber am Ertrinken ist, haben wir keine Chance und müssen natürlich zu der Person. Wir hoffen, dass das Wasser die Viren vielleicht etwas abhält. Beim Reanimieren an Land achten wir dann wieder darauf, dass Mund und Nase abgedeckt sind, damit der Retter nicht mit den Aerosolen in Kontakt kommt. Es wird auch keine Mund-zu-Nase-Wiederbelebung, sondern nur eine Herzdruckmassage durchgeführt. Corona schränkt unsere Rettungsmaßnahmen an dieser Stelle leider ein.

Und wo stoßen Sie und Ihre Kollegen sonst an Ihre Grenzen?

In manchen Fällen sollte man sich Verstärkung holen. Wenn zum Beispiel jemand ertrinkt, der 100 Kilogramm wiegt, ist es für eine 50 Kilogramm leichte Rettungsschwimmerin fast unmöglich, die Person abzuschleppen. Selbst kleine Kinder können in der Panik eine enorme Kraft entwickeln, und so kräftig am Hals zupacken, dass man keine Luft bekommt. Man sollte manchmal lieber erst einen Gegenstand zum Greifen zuwerfen. Und sonst kommen wir besonders dann an unsere Grenzen, wenn wir zu spät alarmiert wurden. Wenn nach einer halben Stunde auffällt, dass ein Mensch unter Wasser vermisst wird, sind die Chancen relativ gering, ihn noch lebend zu finden. Denn oft ist die Stelle nicht ganz klar und wir müssen die Person suchen. Dabei geht auch mal eine Stunde ins Land. Das kann zu 98 Prozent nur mit dem Tod enden. Das ist oft bedrückend. Hätte derjenige Alarmierende früher angerufen, wäre da noch eine Chance gewesen.

Wie fühlen Sie und Ihre Kollegen sich nach so einer Situation?

Das hängt davon ab, wie lange man den Job macht. Ich will nicht sagen, dass man abstumpft, aber wenn man frisch damit konfrontiert wird, hat man sicherlich ein bisschen mehr mit der Verarbeitung zu tun. Darum haben wir auch eine Einsatznachsorge für die Kameraden. Man fühlt sich nie richtig gut, wenn man nicht helfen kann. Denn eigentlich fährt man ja raus, um zu helfen und Erfolg zu haben. Aber ich sage den Kameraden immer wieder: Wir haben den Unfall nicht verschuldet, wir können nur helfen. Und wir können nur auf dem Punkt ansetzen, ab dem wir alarmiert werden.

Gibt es Rettungsschwimmer, die mit dem Anblick von Toten doch nicht zurechtkommen und aufhören?

Ja, es gibt Leute, die haben es unterschätzt. Man kann von jetzt auf gleich mit einem Toten konfrontiert werden. Wir probieren, die jungen Rettungsschwimmer darauf vorzubereiten. Nichts ist schrecklicher, als irgendwo hinzukommen und unerwartet in eine Situation zu geraten, die man überhaupt nicht überblicken kann. Deswegen sind wir auch nie alleine unterwegs. Wenn junge Kameraden dabei sind, und wir wissen, das wird ein nicht so schöner Einsatz, werden die auch mal zu Hause gelassen. Da üben wir auch eine Schutzfunktion aus. Und an einer Einsatzstelle gibt es immer Tätigkeiten, die nicht direkt mit dem Toten zu tun haben. Dass Leute aufhören nach dem ersten schrecklichen Unfall, haben wir relativ selten, gibt es aber natürlich schon.

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Hatten Sie selbst viele Fälle, wo Sie nicht mehr helfen konnten?

Ja. Hier in Berlin fahren wir zwischen 1.000 und 2000 Einsätze im Jahr. Und je nach Wetterlage, je nach Unfallursache ist es so, dass wir – wie vor zwei Wochen – zu mehreren Einsätzen gerufen werden und dann keine Rettung glückt. Vor zwei Wochen sind leider fünf Menschen ertrunken. Aber wir konnten an diesem Wochenende auch zwei Kinder am Tegeler See retten. Das sind dann die schönen Momente für die Retter. Da sagt man: Wäre ich nicht gewesen, wäre es wahrscheinlich schiefgegangen.

Was genau ist denn dort passiert?

Am Tegeler See sind Badestellen, wo es teilweise vom Strand tief abgeht, weil unter Wasser direkt eine Kante ist. Die Kinder spielen im flachen Bereich, rutschen da runter und plötzlich sind sie weg. Wer auf Wache sitzt, darf sich nicht ablenken lassen. Vor allem ertrinken Kinder meist lautlos. Auch, wenn das Wasser nur wenige Zentimeter hoch ist. Wenn jüngere Kinder mit dem Gesicht reinfallen, geraten sie in eine Schockstarre und atmen nicht mehr. Das Phänomen der schreienden Kinder beim Ertrinken ist ein Ammenmärchen.

Es können generell immer weniger Kinder schwimmen…

Da muss sich klar etwas ändern. Wir haben eine Petition an den Bundestag gegeben, dass die Hallenschließungen aufhören. Denn je mehr schließen, desto weniger Kindern kann Schwimmen beigebracht werden. Bedingt durch die Pandemie waren noch mehr Hallen zu. Man kann sicherlich in die Gewässer ausweichen, die klares Wasser haben. Das bedingt natürlich, dass auch die Eltern den Schwimmunterricht machen müssen. Darum sage ich den Eltern immer: Bitte seid aufmerksam, guckt nicht die ganze Zeit auf das Handy, passt auf eure Kinder auf, steht neben ihnen, solange sie nicht schwimmen können, damit sie im Notfall sofort zugreifen können.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Michael Neiße
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