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Lisa Paus (Grüne) und die Kindergrundsicherung: Eine Woche zum Vergessen


Tagesanbruch
Verzweiflung – oder Selbstüberschätzung?


Aktualisiert am 09.04.2024Lesedauer: 6 Min.
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Lisa Paus: Immer Ärger mit der Kindergrundsicherung. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es tut mir leid, aber wenn es in diesen Tagen um die grüne Familienministerin Lisa Paus und ihre Kindergrundsicherung geht, muss ich an eine Szene aus "Die Ritter der Kokosnuss" denken. Dem Film der britischen Schwarzhumoristen von Monty Python.

"An mir kommt niemand vorbei!", tönt ein einsamer Ritter dort, bevor er erst den linken Arm verliert ("Och, das ist nur ein Kratzer."), dann den rechten ("Es geht weiter! Hast du schon genug?") und das rechte Bein ("Ich bin unbesiegbar!"). Als ihm auch das linke Bein abgehauen wird, sagt er: "Also gut, einigen wir uns auf unentschieden!"

Es kommt mir vor wie ein Sinnbild für die Lage der Lisa Paus. Mutig ist sie zwar, aber bei der Kindergrundsicherung gerade auf völlig verlorenem Posten. Ohne Arme, ohne Beine, und vor allem ohne Verbündete, die ihr helfen könnten. Es könnte der Mut der Verzweiflung sein. Oder einfach taktisches Ungeschick gepaart mit Selbstüberschätzung.

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Falls Sie über Ostern eine wohlverdiente Nachrichtenpause gemacht haben, die Ereignisse in Kurzform: In einem Interview hatte Lisa Paus vor einer Woche gesagt, es brauche bei ihrer Kindergrundsicherung 5.000 neue Verwaltungsjobs für das Ziel, Millionen zusätzliche Kinder zu erreichen. Es ist eine Schätzung der Bundesagentur für Arbeit und gar nicht neu. Überraschend war nur, dass Paus sie nun öffentlich so herausstellte. Denn die Empörung der FDP, die darauf folgte, war erwartbar. Sie gipfelte in der indirekten Drohung, die Verhandlungen in der Koalition über das Gesetz abzubrechen.

Schwer zu sagen, was Lisa Paus sich dabei dachte. In den folgenden Tagen machte sich die Familienministerin rar. War es der Mut der Verzweiflung? Hatte sie also das Gefühl, dass die Gespräche über ihr wichtigstes Projekt so schlecht laufen, dass sie den öffentlichen Druck auf die FDP erhöhen muss? Oder unterschätzte sie die Brisanz von 5.000 neuen Stellen in Zeiten, in denen sich die Ampel müht, Bürokratie abzubauen?

Es folgte jedenfalls eine Woche der öffentlichen Prügel für Lisa Paus. Die FDP wütete, von den Grünen gab es nur vereinzelte Verteidigungsversuche aus der zweiten Reihe, und die Ministerin blieb stumm. Ohne Arme, ohne Beine, ohne Verbündete.

Eine lange, nachrichtenarme Osterferienwoche später dann der Rückzug: Am Samstag verspricht Paus, die 5.000 Stellen werde es zumindest nicht auf Dauer brauchen. Am Sonntag sagt Parteichefin Ricarda Lang, es werde keine 5.000 neuen Stellen geben. Und damit brauche sich die Debatte auch nicht weiter an der Zahl aufzuhängen. Basta. Wir erinnern uns: Die Zahl, an der Paus die Debatte selbst aufgehängt hatte.

Es war eine Woche zum Vergessen für die Grünen, richtig dumm gelaufen. Statt über Millionen arme Kinder wird nun über Verwaltungsjobs diskutiert. Die Grünen stehen öffentlich als weltfremde Bürokraten da, die am Ende doch einknicken. Die Kindergrundsicherung, die schon seit November im Bundestag festhängt, hat das kein Stück weitergebracht.

Das ganze Chaos ist umso bedauerlicher für jeden, der die Kindergrundsicherung grundsätzlich für eine gute Idee hält. Es macht es der FDP in der Ampel leicht, sie nun erneut infrage zu stellen. Das will sie nämlich und sagt es auch offen. Statt als Staat dafür zu sorgen, dass das Geld bei denen ankommt, die es brauchen, will die FDP weiter auf "Eigenverantwortung" setzen. Ohne "Bringschuld" des Staates. Man kann das richtig finden, aber es wäre eben keine Kindergrundsicherung mehr. Folgerichtig will die FDP weiterhin einen neuen Gesetzentwurf haben.

Man muss Lisa Paus zugutehalten, dass die Lage auch ohne ihr Zutun kompliziert war und zuletzt immer komplizierter wurde. Die FDP fand die Kindergrundsicherung nie toll, mit jeder verlorenen Wahl sank ihre Bereitschaft zu ungeliebten Kompromissen. Sie wollen keine Sozialprojekte mehr und sagen das auch.

Für die Grünen wiederum ist ein Aus der Kindergrundsicherung keine Option. Lisa Paus bezeichnet sie oft als "wichtigstes sozialpolitisches Projekt" der Ampel. Für ihre Partei ist sie das auf jeden Fall. Es soll ihr Ausweis dafür werden, dass die Grünen auch an die Armen denken und nicht nur Klimapolitik für Mittelstandskinder machen.

Die Fallhöhe ist also gewaltig, die Ausgangslage mies. Doch selbst bei den Grünen gibt es einige, die nicht mehr verstehen, was Lisa Paus da eigentlich macht. Zumal es nicht ihre erste fragwürdige Aktion ist. Im Sommer provozierte sie einen Eklat. Es ging auch um Zahlen, Paus wollte zwölf Milliarden Euro im Jahr für die Kindergrundsicherung. Finanzminister Christian Lindner wollte ihr nur etwa zwei Milliarden geben. Also entschied sich Paus, sein Wachstumschancengesetz zu blockieren, um mehr Geld herauszuschlagen.

Parteifreund und Vizekanzler Robert Habeck war sauer, weil er Lindner vorher sein Wort gegeben hatte. Andere Grüne waren es auch. Am Ende kassierte Habeck die Blockade. Paus hatte den Ärger – und trotzdem nur 2,4 Milliarden für ihre Kindergrundsicherung.

Nun ist es so, dass es in der Politik kein Gesetz gibt, das verbietet, auch mal Hardball zu spielen. Den Koalitionspartner also öffentlich unter Druck zu setzen, statt alles quietschgrün-einvernehmlich intern aushandeln zu wollen. Die FDP macht das in der Ampel regelmäßig, mit Erfolg. Allerdings muss man es auch durchziehen. Und dazu sind die Grünen offenbar nicht bereit.

Damals wie heute hatte Lisa Paus offensichtlich keinen Plan, wie sie mit dem erwartbaren Widerstand aus der FDP umgehen wollte. Damals wie heute hatte sie offensichtlich kaum Unterstützung aus der eigenen Partei organisiert. Und damals wie heute musste sie klein beigeben.

Der Kindergrundsicherung hat das alles nicht geholfen, sondern geschadet. Gut möglich, dass von der ursprünglichen Idee nun nicht mehr viel übrig bleibt. Und Lisa Paus am Ende wie der einsame Ritter bei Monty Python sagen muss: "Also gut, einigen wir uns auf unentschieden!"

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Ihr Johannes Bebermeier
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Mit Material von dpa.

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