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FDP will aus dem Umfragetief: Der Angriffsmodus


Umfragetief der FDP
Kurz vor raus


Aktualisiert am 08.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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Finanzminister und Parteichef: Christian Lindner setzt mit der FDP voll auf die Wirtschaftspolitik. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)

In Umfragen ringt die FDP mit der Fünfprozenthürde, wieder einmal. Die Liberalen gehen deshalb in die Offensive – und setzen dabei vor allem auf ein Thema.

Seine Interview-Bilanz kann sich sehen lassen: Volle achtmal stand Christian Lindner seit Anfang März Journalisten verschiedener Redaktionen Rede und Antwort, hinzu kamen mehrere Statements im Fernsehen. Und dann saß er am Sonntagabend auch noch bei Caren Miosga und hatte zur Primetime nach dem "Tatort" eine halbe Stunde die ganz große TV-Bühne fast für sich allein.

Lindner, so scheint es, hat dieser Tage besonders viel zu sagen. Zumindest aber: Er hält es für nötig.

Zum Beispiel zum Bürgergeld, für das er "ein Update" will, zum Beispiel zur schwächelnden Wirtschaft, die eine "Wende" brauche. Zu Steuersenkungen, die die "arbeitende Bevölkerung" verdient habe. Oder zur verkorksten Kindergrundsicherung, bei der er die Vorstellung von einer "Bringschuld" des Staates für "verstörend" hält.

Zwei-in-eins-Therapie für die Partei

Der Parteichef der FDP ist auf Dauersendung. Und der Grund dafür liegt auf der Hand. Die Liberalen befinden sich – wie so oft in der Mitte einer Legislaturperiode – im Umfragetief. Seit Jahresbeginn pendelt die FDP je nach Wahlforschungsinstitut zwischen 4 und 6 Prozent und damit mal knapp über oder unterhalb der Fünfprozenthürde, die über den Wiedereinzug in den Bundestag entscheidet. Überlebenskampfmodus kann man das nennen. Oder: Todeszone, kurz vor raus.

Die vielen Interviews, die markigen Sätze und Überschriften, die Lindner gerade wie am Fließband produziert, haben angesichts dessen System. Sie wirken wie eine Zwei-in-eins-Therapie.

Zum einen sollen sie nach außen das Profil der Partei schärfen, bestenfalls positive Wahrnehmung bewirken, in der Öffentlichkeit, bei potenziellen Wählern. Zum anderen gleichen sie Durchhalteparolen nach innen, Streicheleinheiten für die geschundene Parteiseele. Das Motto: Keine Panik, wir schaffen das, wenn wir zusammenstehen und gemeinsam auf die richtigen Themen setzen.

(Noch) mehr Wirtschaft wagen

So auch an diesem Montagvormittag in Berlin. Reinhardtstraße 14, Hans-Dietrich-Genscher-Haus, FDP-Parteizentrale. Gerade hat das Präsidium der Partei getagt, der engste Führungszirkel, dem neben Lindner selbst weitere elf Mitglieder angehören. Einer von ihnen ist Partei-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der nach der Sitzung zusammen mit der Europaspitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vor die Kameras tritt – und sogleich das Thema anspricht, auf das die FDP jetzt ganz besonders setzt:

"Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig", sagt er in bestem oppositionellen Duktus und als ob die FDP nicht seit gut zwei Jahren die Geschicke das Landes in der Regierung lenkt. "Die wirtschaftliche Lage ist ein Alarmsignal für unseren Wohlstand und für das Aufstiegsversprechen in Deutschland." Seine Lösung für diese Problembeschreibung an diesem Vormittag: ein zweiseitiges Papier mit dem Titel "Leistung und Arbeit müssen sich wieder lohnen", ein Beschluss des Präsidiums, der fünf Punkte enthält, für die sich die Liberalen stark machen wollen. Steuervorteile für geleistete Überstunden, eine automatische Anpassung der Lohn- und Einkommenssteuer an die Inflation, Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte, Arbeitsanreize für Ältere sowie für Bürgergeldempfänger. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

"Wir müssen eine neue Dynamik für ein wirtschaftlich starkes Deutschland entfesseln", erklärt Djir-Sarai. Man könnte auch sagen: Die FDP will mehr Wirtschaft wagen. Noch mehr. So wie in alten Zeiten. FDP und Wirtschaft, FDP und Unternehmertum, FDP und Steuersenkungen. Das ist gelernt, das kennt jeder. Das ist der Markenkern, das soll jetzt wieder in den Fokus rücken.

Demonstrativer Optimismus

Doch wird das reichen? Wird eine liberale Wirtschaftspolitik die Partei tatsächlich in den Umfragen so weit nach oben katapultieren, wieder heraus aus der Todeszone?

Hört man sich in diesen Tagen und Wochen innerhalb der Partei um, stößt man auf demonstrativen Optimismus. Umfragetief? Egal, das kennen wir doch schon, war zwischenzeitlich immer so, gerade, wenn wir regieren, heißt es. Am Ende, dann wenn's gilt, sind wir da. Turniermannschaft. Wahlkampf können wir. Gar von einem zweistelligen Wahlergebnis spricht mancher, fast so, als wäre das ein Selbstläufer.

Auf den ersten Blick ist das erstaunlich. Denn nach derzeitigem Stand der Umfragen wären allein in der Bundestagsfraktion mindestens die Hälfte der Abgeordneten ihren Job los, womöglich sogar alle. Eigentlich erwartet man da Angst, Bangen um die politische Karriere. Auf den zweiten Blick aber wird klar: Das gute Gefühl, das die Liberalen aktuell vermitteln wollen, speist sich nicht allein aus der Erfahrung früherer Wahlkämpfe, in denen sie ihre Kampagnenfähigkeit tatsächlich immer wieder bewiesen haben. Sondern auch aus der gesellschaftlichen Großwetterlage.

2024, das Jahr der "Wirtschaftswende"

Das Kalkül der Liberalen geht so: 2024 wird zu dem Jahr, in dem in Deutschland auch dem Letzten auffallen wird, wie schlecht es um die Wirtschaft steht. Wo ob des demografischen Wandels zwar sicherlich keine Massenarbeitslosigkeit zutage treten wird, wo aber doch jede und jeder, egal ob Firmenchef, Abteilungsleiter oder einfacher Angestellter, merken wird: Es läuft nicht rund, das Land kommt nicht so recht vom Fleck, unser Wohlstand wächst nicht mehr in gewohnter Manier. Wo den Deutschen klar wird: Jetzt müssen wir alle anpacken, und der Staat sollte uns dabei unterstützen und nicht hemmen.

Die "Wirtschaftswende", die Lindner und viele andere führende Liberale gerade propagieren, soll dieses Gefühl in echte, handfeste Politik gießen. Sie soll ein Angebot sein, das die beiden anderen Ampelpartner derzeit nicht machen, das aber auch die Union so – noch – nicht wahrnehmbar ins Schaufenster stellt.

Als vorläufiger Höhepunkt ist der Bundesparteitag Ende April angedacht. Der Entwurf eines Leitantrags, über den unlängst der "Spiegel" berichtete, soll dafür noch weiter ausgefeilt werden, der nun gefasste Präsidiumsbeschluss ebenso auf das Treffen ausstrahlen. "Der Parteitag wird sich sehr mit der Frage der Wirtschaftswende beschäftigen", sagt Djir-Sarai am Montag.

Besser nicht ganz richtig regieren als gar nicht

Was er unerwähnt lässt: Dabei könnte es durchaus laut zugehen, krawallig. Die Partei dürfte, so zeichnet es sich schon jetzt ab, noch stärker in den Angriffsmodus schalten – auch mit Blick auf SPD und Grüne, also die eigenen Koalitionspartner.

Die schäumen teils schon jetzt über das Gebaren der Liberalen in der jüngeren Vergangenheit. Das Nein zum Lieferkettengesetz und zum Naturschutzgesetz in Brüssel, das ständige Sticheln gegen das Bürgergeld, die aktuell so konfrontative Haltung bei der Kindergrundsicherung und die Steuersenkungspläne bei gleichzeitigem Festhalten an der Schuldenbremse: Für die Ampel, so sagen es viele Grüne und Sozialdemokraten, ist die FDP eine zunehmende Belastung.

Gleiches gilt für die Parteibasis der Liberalen. Ein Mitgliedervotum Anfang des Jahres ging allen Parolen von der Parteispitze zum Trotz nur knapp zugunsten des Verbleibs in der Ampel aus. Wäre es da nicht tatsächlich besser, die Koalition aufzukündigen, vielleicht so ähnlich wie einst 1982 mit einem Lindner- statt mit einem Lambsdorff-Papier?

Parteichef Christian Lindner sagte dazu bei "Caren Miosga": "Damit spielt man nicht." Und spricht so aus, was wohl auch viele andere in der Partei denken. Selbst wenn mancher Wähler das vorzeitige Ampel-Aus goutieren würde, am Ende aber zählt doch die sichtbare, die umgesetzte Politik. Und die geht nur in der Regierung. Krawall hin oder her ließe sich also sagen: Es ist besser nicht ganz richtig zu regieren, als gar nicht zu regieren.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche und Beobachtungen
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