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"Das macht mürbe": Wie sich das Weltgeschehen auf den Alltag auswirkt


Tagesanbruch
Und dann plötzlich Stille

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 20.06.2025 - 08:58 UhrLesedauer: 6 Min.
Menschenleere U-Bahnstation: Wann kehrt Ruhe ein?Vergrößern des Bildes
Menschenleere U-Bahnstation: Wann kehrt Ruhe ein? (Quelle: imago images)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Morgensonne hebt sich über die Dächer, ein neuer Tag beginnt. Was dieser Freitag mit sich bringt, ist absehbar: noch mehr Explosionen, noch mehr Schlachtengerassel, noch mehr Leid. Die Welt tost und kreischt, sie kracht und schreit, so kann man es empfinden, wenn man das Radio oder die Flimmerkiste anknipst, die Eilmeldungen auf dem Handy betrachtet oder Newsletter wie den Tagesanbruch liest.

Das liegt nicht daran, dass wir Journalisten sonderlich gern über düstere Nachrichten berichten, sondern dass die Weltlage eben so düster ist: Ukraine und Russland, Israel und Iran; Putin, Chamenei und Netanjahu, jeden Tag ein neuer Donaldismus, und dann auch noch der beginnende Hitzerekordsommer, der sogar Sonnenanbeter ins Grübeln bringt, was die Klimakrise wohl noch anrichtet. Das Internet holt die globalen Geschehnisse ununterbrochen in unser kleines Leben; bevor wir eine News verarbeitet haben, prasseln schon die nächsten Eilmeldungen auf uns ein.

Das macht mürbe. Immer mehr Menschen wenden sich ab, ziehen den Stecker, verweigern den Nachrichtenkonsum. 71 Prozent der erwachsenen Internetnutzer vermeiden mindestens gelegentlich Nachrichten, entnehme ich dem soeben erschienenen Reuters Digital News Report, viele auch regelmäßig. Doch Eskapismus macht weltoffene Zeitgenossen auf Dauer auch nicht glücklich, der Weg zur Naivität und Ignoranz ist dann kurz. Berichterstattern wie mir erscheint es ohnehin undenkbar, den News-Strom anzuhalten. Für meine Kollegen und mich sind Nachrichten das täglich Brot.

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Aber auch mich überkommt manchmal ein Gefühl der Überforderung. Der abrupten Gereiztheit. Diese Empfindung wurzelt allerdings weniger im Nachrichtengewitter als im Verhalten vieler Mitmenschen. Ich möchte nicht arrogant erscheinen, aber ich gestehe Ihnen an diesem sonnigen Morgen: Es gibt Momente, da nerven mich wildfremde Leute tödlich. Vor allem, wenn sie in Massen auftreten und sich aufführen wie Rumpelstilzchen. Das permanente Geplapper auf sämtlichen Kanälen – vom Fernsehen bis WhatsApp, aber auch in der Bahn, auf der Straße und in Geschäften: bla-bla-blubb! Fürchterlich.

Zugegeben: Ich bin viel unterwegs, vermutlich mehr als ein Durchschnittsbürger. Daher kann mein Eindruck täuschen. Aber ich bilde mir ein, dass öffentliche Knotenpunkte wie Innenstädte, Bahnhöfe, Flughäfen oder Autobahnraststätten früher weniger überlaufen, weniger hektisch, weniger laut waren. Und dass sich etwas im Umgang miteinander verändert hat. Erschreckend viele Zeitgenossen scheinen noch nicht einmal mehr rudimentäre Anstandsregeln zu kennen. Stattdessen scheint es heute normal zu sein, in der Öffentlichkeit minutenlang in sein Handy zu schreien, lauthals in den Raum zu niesen, in der Straßenbahn zwiebeldünstende Döner zu verspeisen, auf versehentliche Anrempler ein Schulterzucken statt eine Entschuldigung folgen zu lassen und über die umgefallene Cola zu lachen, statt die Brühe aufzuwischen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich erlebe solche Ungezogenheiten ständig und würde den betreffenden Herrschaften (es betrifft tatsächlich mehr Männer als Frauen, die manchmal aber auch) am liebsten den Benimmratgeber von Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge (Gott hab ihn selig) in die Hand drücken.

"Achte dich selbst, wenn du willst, dass andere dich achten sollen!", hat dieser weise Mensch geschrieben, und wenn man den Satz auf heutige Zweibeiner anwendet, kann man den Eindruck nicht verhehlen, dass offenbar ziemlich viele Leute eine ziemlich schlechte Meinung von sich selbst haben. So viele Rüpel, so viel Egoismus, so viele Grenzüberschreitungen.

Lärm und Rücksichtslosigkeit prägen nicht nur die Weltpolitik, sondern oft auch den Alltag. Ich finde das nicht gut. Es stört mich. Ich verlange nicht, wie ein rohes Ei behandelt zu werden, aber grundlegende Anstandsregeln sollte jeder in der Öffentlichkeit beherzigen. Das kann doch nicht so schwer sein.

So was denke ich, wenn ich in meinem kleinen Florian-Harms-Alltag durch Innenstädte eile und in überfüllten Zügen hocke. Und dann stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn ein sehr viel mächtigeres Wesen als ich, vielleicht von ganz weit droben, plötzlich den Lauf der Welt anhielte. Wenn von einem Moment auf den anderen Ruhe und Stillstand herrschen würden, kein Geschrei und kein Geplapper mehr, keine Explosionen und kein Eilmeldungsklingeln. Nicht lange, ein Moment würde ja schon genügen, um uns alle miteinander mal wieder aufs Wesentliche zu besinnen. Zum Beispiel, dass man Rücksicht auf die Mitmenschen nimmt. Ja, das wäre es wert.


Ohrenschmaus

Wollte ich die obenstehenden Zeilen in Musik fassen, müsste ich Ihnen eigentlich diesen Song empfehlen. Der war aber schon mal im Tagesanbruch. Außerdem liegt es mir fern, in die Einsiedelei abzudriften. Ich bin ein lebenslustiger Mensch und hüpfe gern durchs Leben. Und auf Rockkonzerten. So wie gestern Abend. Da war ich mit dem Kollegen Christoph Schwennicke unterwegs. Den schätze ich außerordentlich, weil er nicht nur ein feiner Kerl und ein leidenschaftlicher Journalist, sondern auch ein Meister der Sprache ist. Das ist heutzutage selten. Außerdem liebt er elektrische Gitarren. So wie ich. Weshalb wir gestern Abend einem großen Rocker huldigten. Schön war's.


Iran-Gespräche in Genf

Heute Morgen ist Johann Wadephul erst mal als Redner in Kiel eingeplant. Dort spricht der Außenminister auf einer Sicherheitskonferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem fast poetischen Titel "Stormy Seas and Silver Linings", zu Deutsch etwa: "Stürmische See und ein Silberstreif am Horizont". Es geht um die Bedrohungslage im Baltikum, wo spätestens ab 2027 rund 5.000 deutsche Soldaten die Nato-Ostflanke schützen und mit schwerem Gerät Putins Invasionsarmee abschrecken sollen. Auch Baiba Braže, die Außenministerin Lettlands, und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, werden das Wort ergreifen.

Später am Tag muss der deutsche Außenminister dann erst recht auf einen Hoffnungsschimmer am Horizont setzen. Zusammen mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Großbritannien will er in Genf den iranischen Außenminister Abbas Araghtschi treffen. Ungeachtet der kaum durchschaubaren Pläne von US-Präsident Trump wollen die sogenannten E3-Staaten, die seit Jahren mit Teheran über dessen Atomprogramm verhandeln, doch noch eine diplomatische Lösung des Krieges zwischen Israel und Iran herbeiführen. Ziel ist offenbar, die iranische Seite zu einer Garantie zu bewegen, dass sie das Atomprogramm wirklich nur für zivile Zwecke nutzt. Selbst im Falle eines Gelingens bliebe allerdings die Frage offen, ob das dem Oberbefehlshaber im Weißen Haus genügen würde.

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Showdown bei Thyssenkrupp

Soll eine der wichtigsten deutschen Werftengruppen an die Börse gehen? Und der umstrittene Firmenchef dafür mit einer vorzeitigen Vertragsverlängerung belohnt werden? Über diese Fragen wird entschieden, wenn heute Mittag der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp zusammenkommt. Während der Vorstandsvorsitzende Miguel López die Marinetochter TKMS an die Börse bringen und in den kommenden Jahren sämtliche Sparten des Traditionsunternehmens verselbstständigen möchte, stoßen diese Pläne – wie schon der Verkauf von 20 Prozent der kriselnden Stahltochter TKSE an einen tschechischen Investor – bei den Arbeitnehmern auf Kritik.

Da in dem Kontrollgremium zehn Vertreter der Anteilseigner und zehn der Gewerkschaftsseite sitzen, ist eine Pattsituation nicht unwahrscheinlich. Diese könnte Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm mit seinem Doppelstimmrecht aufheben und dem Deutsch-Spanier López zu einem neuen Fünf-Jahres-Kontrakt verhelfen – weshalb die IG Metall bereits vor einem "Basta" gegen die eigene Belegschaft warnt. Es dürfte turbulent werden in der Essener Konzernzentrale.


Auf der Flucht

Seit 2001 wird am 20. Juni der Weltflüchtlingstag begangen. Dass man dabei ganz unterschiedliche Fälle von Flucht und Vertreibung betrachten kann, zeigt ein Blick auf die heutigen Veranstaltungen. Die Bundesregierung erinnert mit einer Gedenkstunde an das Schicksal der Vertriebenen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren; andere nehmen die Gegenwart in den Fokus: Amnesty International und Greenpeace fordern ein Umdenken in der Migrations- und Klimapolitik, die Initiative Kabul Luftbrücke protestiert gegen die Verzögerung der Visa für gefährdete Afghanen. Und das UN-Flüchtlingswerk UNHCR beklagt eine dramatische Unterfinanzierung angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen: Weltweit sind schon mehr als 122 Millionen Menschen auf der Flucht.


Das historische Bild

Ganz am Anfang waren deutsche Autobahnen leer. Wer hat sie gebaut?


Lesetipps

Die führenden Tech-Milliardäre sind reich, mächtig – und fürchten sich vor dem Weltuntergang. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt der Internetpionier Douglas Rushkoff, warum das für die ganze Menschheit zum Problem wird.





Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen stillen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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