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Frank Wilde: Starstylist macht Selfies für die Ukraine – Morddrohungen


Bizarrer Streit
Das ist der Star-Stylist, der Selfieverbot bekam


Aktualisiert am 09.04.2023Lesedauer: 4 Min.
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Frank Wilde: "Ich bin eine Aufmerksamkeitshure."Vergrößern des Bildes
Frank Wilde: "Ich nutze meine Bühne." (Quelle: Frank Wilde)

Er setzt sich für die Ukraine und die Rechte queerer Menschen ein. Damit eckt Frank Wilde an. t-online hat den Star-Stylisten in seiner Lieblingskneipe getroffen.

Frank Wilde ist kaum zu übersehen: Im gelben Mantel schlendert der Stylist durch Kreuzberg, auf dem Kopf trägt der 59-Jährige einen Hut mit Leo-Muster. Am Kragen des Mantels ist ein blau-gelbes Herz eingestickt. "Das Logo der queeren Soldaten in der ukrainischen Armee", erklärt Wilde, als er sich am frühen Nachmittag in seiner Lieblingskneipe an der Spree auf die Bank fallen lässt.

Wenige Minuten später steht der erste doppelte Jägermeister auf Eis vor ihm. Wilde wirkt gelöst. Als die Kellnerin das Glas vor ihm abstellt – "Thank you, darling!" –, beginnt er zu singen. "Morning has broken!"

"Ich wollte nicht mehr versteckt leben"

Wilde macht seit Februar 2022 jeden Tag Selfies mit pro-ukrainischen Botschaften im Aufzug seines Mehrparteienhauses. Die Hausverwaltung hatte ihm eigentlich Selfieverbot erteilt, doch Wilde postet weiter. "Ich mache Aktivismus ja schon etwas länger", sagt der 59-Jährige. Für seinen Aktivismus bekommt er Morddrohungen, russische Propaganda-Sender hetzten gegen ihn.

Als 18-Jähriger kam der heute offen homosexuell lebende Frank Wilde aus Göttingen nach Berlin. "In meiner Heimat, da gab es das eben nicht. Da war niemand schwul – zumindest nicht nach außen." Ein Zustand, den Wilde irgendwann nicht mehr akzeptieren konnte: "Ich wollte nicht mehr versteckt leben, als täte ich irgendwas Geheimes oder Verbotenes."

Der junge Wilde und der "schönste Sergeant der US-Armee"

In Berlin habe er seine erste Schwulenbar mit zur Straße hin offenen Fenstern gesehen, das "Andere Ufer" – eine Offenbarung. Wilde traf Romy Haag, transsexuelle Nachtclublegende und Ex-Partnerin von David Bowie. "Was für eine Frau. Ich bin fast ohnmächtig geworden, sie war so schön. Bei ihren Shows war alles möglich." Der junge Mann blühte auf, verdiente Geld mit Blut- und Spermaspenden, mit Medikamententests für den Pharmakonzern Schering. Wilde bekam manchmal auch "finanzielle Zuwendungen und Geschenke von solventen Herren im Kempinski" und datete den, so Wilde, "schönsten Sergeant der US-Armee".

Seit Jahrzehnten ist der Stylist auch als Aktivist unterwegs, vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine positionierte er sich vor allem zu queeren Themen – eine Szene, mit der er eine wechselhafte Beziehung pflegt. Man verstricke sich zu oft in "internen Kleinkriegen" über Formulierungen und Sprachregelungen. "Hallo?" Wilde fasst sich an den Kopf. "Wir müssen uns doch nicht bekämpfen. Unsere Feinde stehen draußen."

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Das Ukraine-Thema platzierte er mit Nachdruck in der homosexuellen und trans Community Berlins – auch, weil er queeren und pro-ukrainischen Aktivismus für unbedingt zusammengehörig hält. "In Russland hat man öffentliche Homosexualität quasi verboten – mit Verweis auf angeblichen Kinderschutz. Die Ukraine kämpft auch für unsere Rechte."

"Ach, die Schwuchteln wieder"

Alles andere als konsequente Unterstützung für das angegriffene Land sei "Fensterschmuck, aber kein ernsthafter Aktivismus". Er habe bereits gegen die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland vor der russischen Botschaft in Berlin demonstriert, sei aber politisch wenig ernst genommen worden. "Das hatte was von: 'Ach, die Schwuchteln wieder.'"

Heute hat Wilde Kontakte in höchste politische Ämter: Er designte ein Kleid für Franziska Giffey, hat Aufzugselfies unter anderem mit SPD-Chefin Saskia Esken und dem Botschafter der Ukraine Oleksii Makeiev aufgenommen. Mit seiner Haltung zur Ukraine hat er sich allerdings nicht nur Freunde gemacht: Linken-Außenpolitikerin Sevim Dağdelen hat Wilde bei Twitter blockiert. Die sogenannte Friedensdemonstration ihrer Parteigenossin Sahra Wagenknecht am Brandenburger Tor nennt der 59-Jährige konsequent "Demonstration für Unterwerfung".

Um die russische Invasion hatte sich Frank Wilde auch vor dem 24. Februar 2022 gesorgt - sein erstes pro-ukrainisches Instagram-Fahrstuhlselfie stammt vom 22. Februar. Ein emotionales Schlüsselerlebnis war für ihn die Rückfahrt aus Warschau nach Berlin kurz nach der Invasion gewesen. "An den Raststätten standen diese Busse voller Familien mit Kindern. Alte Frauen, die sich an ihren Plastiktüten festgeklammert haben." Wilde wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.

"Sarah Connor ist großartig, ich liebe sie"

"Spätestens in dem Moment war mir klar, dass ich nicht an der Seite stehen und tun kann, als ginge mich das nichts an." Am nächsten Tag steht ein Styling mit Popstar Sarah Connor an. Wilde schlägt der Musikerin vor, die ursprünglich für ihre Tour geplanten Kostüme zu streichen. Er besorgt sich von Mode-Ikone Katharine Hamnett die Erlaubnis, ihre Anti-Kriegs-Shirts nachzudrucken und Connor damit einzukleiden. "Sarah, ich bin überzeugt, dass wir diese Richtung gehen sollten." Connor sei sofort begeistert gewesen. "Sarah Connor ist großartig, ich liebe sie. Meine Freundin Sarah."

Wenige Tage später stand Sarah Connor mit einem "No War"-Shirt bei einem Konzert vor dem Brandenburger Tor – ein Bild, das auch die Ukraine erreichte. Auf ihrer Tour verkaufte Sarah Connor Nachdrucke der Shirts und spendete den Erlös von 100.000 Euro an das kriegsgebeutelte Land.

Wildes Idol wurde von einem Rivalen erschossen

Wilde ist einer dieser Menschen, die sich berufen fühlen. Sein Geburtstag ist der 22. Mai. "Das ist auch Harvey Milks Geburtstag." Milk war Bürgermeister von San Francisco und der erste offen homosexuell lebende Politiker der US-Geschichte. "Das muss doch ein Zeichen sein", sagt Frank Wilde. Harvey Milk wurde 1978 von einem politischen Rivalen erschossen.

Der Streit mit der Hausverwaltung um seine pro-ukrainischen Selfies ist indes immer noch nicht beigelegt. Von fast allen Eigentümern erhalte er Unterstützung, diese setzten sich für ihn ein. Doch Wilde ignoriert das Selfieverbot so oder so, postet munter weiter pro-ukrainische Selfies aus seinem Berliner Fahrstuhl.

"Niemand wird mich aufhalten"

Warum tut Wilde sich das alles noch an? "Ich nutze meine Bühne", sagt der Stylist, der auch schon mit Nena und den Klitschkos arbeitete. "Wie bescheuert müsste ich denn sein, die Öffentlichkeit, die man mir bietet, nicht zum Guten zu nutzen?" 2022 wurde er dafür ausgezeichnet, mit dem Stonewall-Award für sein aktivistisches Lebenswerk.

"Ich werde bald 60", sagt Wilde. "Wenn ich von dieser Welt gehe, will ich ein wenig Richtiges bewirkt haben." Auch deshalb stehe er für das ein, was er für wichtig halte. "Und ich kann doch jetzt nicht damit aufhören." Einem Follower, der fürchtete, Wilde müsse bald seine Ukraine-Selfies einstellen, antwortet der 59-Jährige: "Don’t worry. Nobody will stop me." Wilde ext den doppelten Jägermeister. "Keine Sorge. Niemand wird mich aufhalten."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Frank Wilde
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