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OB Peter Feldmann vor Abwahl? Psychiater: "Causa Feldmann schadet der Demokratie"


Abwahlentscheid in Frankfurt
Psychiater: "Die Causa Feldmann schadet der Demokratie"

InterviewKatrin Börsch

Aktualisiert am 06.11.2022Lesedauer: 6 Min.
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Peter Feldmann, Oberbürgermeister von Frankfurt am Main: Am Sonntag werden die Frankfurterinnen und Frankfurter zur Wahlurne gebeten. (Quelle: IMAGO)

Der Frankfurter OB befindet sich laut einem Attest in einem "psychischen Ausnahmezustand". Ein Psychiater erklärt, was das für Feldmann und die Bürger bedeuten könnte.

Am Sonntag wird den Bürgern und Bürgerinnern von Frankfurt eine entscheidende Frage gestellt: "Stimmen Sie für die Abwahl des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main, Herrn Peter Feldmann?" Mehr als eine halbe Million Menschen sind dazu aufgerufen, diese Frage mit Ja oder mit Nein zu beantworten – und somit über die Zukunft des umstrittenen Oberbürgermeisters zu entscheiden.

Seit mehreren Monaten steht Feldmann in der Kritik. Im Interview mit t-online spricht der Psychiater Dr. Jörg Lüders-Heckmann über Politikverdrossenheit und Narzissmus.

t-online: Herr Lüders-Heckmann, hinter dem Frankfurter Oberbürgermeister liegt eine Reihe an Fehltritten, die letztendlich in das Abwahlverfahren am 6. November und den aktuellen Gerichtsprozess wegen Korruptionsverdachts münden. Die Liste ist lang: Der Awo-Skandal, die sexistischen Kommentare gegenüber Flugbegleiterinnen, der Pannenauftritt auf der Europapokal-Siegesfeier und zuletzt die Aussage vor Gericht, er habe seinerzeit die Abtreibung seiner inzwischen sechsjährigen Tochter gewollt und seine Ex-Frau nur geheiratet, weil sie schwanger war. Meinen Sie, dass Feldmann für sein Verhalten am kommenden Sonntag abgewählt wird?

Jörg Lüders-Heckmann: Da kann ich nur kurz mit "Ja" antworten. Ich denke, dieses Verhalten ist für einen Menschen, der ein solches Amt bekleidet, unverhältnismäßig. Als Oberbürgermeister befindet er sich in einer exponierten Position, in der er auch eine Vorbildfunktion hat. Leider wird er dem gerade nicht gerecht.

Dr. Jörg Lüders-Heckmann
Dr. Jörg Lüders-Heckmann (Quelle: privat)

Zur Person

Dr. Jörg Lüders-Heckmann arbeitet seit eineinhalb Jahren als niedergelassener Kinder- und Jugendpsychiater mit eigener Praxis. Zuvor war er 26 Jahre lang für Vitos, den größten Psychiatrieanbieter in Hessen tätig, zuletzt als stellvertretender Klinikdirektor in der Hanauer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Während dieser Zeit arbeitete er auch viereinhalb Jahre auf einer forensischen Station, wo er Gutachten über jugendliche Straftäter erstellte.

Am Montag legten Feldmanns Anwälte dem Gericht ein Attest vor, nach dem er wegen eines "psychischen Ausnahmezustands" nicht verhandlungsfähig sei. Zudem wurde am Dienstag bekannt, dass er positiv auf Corona getestet worden ist. Was haben die Abwahlkampagne und die letzten Wochen aus Ihrer Sicht mit Feldmann gemacht? Wie kann sich so eine Stresssituation auf die Psyche eines Menschen auswirken?


Das kann krank machen, das ist ganz klar. Er steht unter einem permanenten Dauerstress. Das kann man sich so vorstellen, wie einer, der am Fließband sitzt, das Band läuft im doppelten Tempo und er kommt mit seinen Handgriffen nicht hinterher. Die Situation entgleitet ihm zusehends. Feldmann versucht offensichtlich krampfhaft, in der Position des Handelnden zu sein, doch das ist am Kippen.

Lassen Sie uns kurz über einen anderen Politiker sprechen: Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA im Jahr 2020 haben Psychologinnen und Psychologen in einem Dokumentarfilm US-Präsident Donald Trump als "bösartigen Narzissten" bezeichnet. Unter dem Titel "Unfit: The Psychology of Donald Trump" (Ungeeignet: Die Psychologie von Donald Trump) wurden mehrere Forscherinnen und Forscher interviewt, die Trumps Persönlichkeit analysierten. Wie verlässlich sind solche "Ferndiagnosen" grundsätzlich?

Da muss man immer schauen – wer analysiert da auf welcher Basis? Bei dieser Doku war es so, dass die Einschätzung der Psychologinnen und Psychologen nicht auf persönlichen Gesprächen mit Trump basierten, sondern auf der Analyse seines Verhaltens in der Öffentlichkeit. Daraus entsteht eine Einschätzung, aber keine Diagnose. Grundsätzlich handelt es sich bei solchen Analysen um ein Bild, das von einem Menschen über einen anderen Menschen entworfen wird.

Es ist also immer auch eine subjektiv gefärbte Darstellung. Was hier aber auffällt, ist, dass wir eine Reihe an Ereignissen haben. Wir schauen uns nicht nur ein einzelnes Symptom an, sondern betrachten über einen längeren Zeitraum eine Serie an Vorfällen – wie auch bei der Causa Feldmann. Das macht es wahrscheinlicher, dass die Einschätzung auch näher an der Wirklichkeit ist.

Ein Bündnis aus SPD, Grünen, FDP und Volt sowie der oppositionellen CDU hat eine Kampagne zur Abwahl Feldmanns ins Leben gerufen. Zahlreiche Plakate, unter anderem mit der Aufschrift "Für ein Kreuz vergessen wir mal alle Farben", hängen in der Stadt. Feldmann hat nur noch wenig Unterstützung und kaum Rückhalt, auch nicht aus seiner eigenen Partei. Psychologisch befindet er sich in einer außergewöhnlichen Situation: Er steht quasi allein an der Spitze der Stadtpolitik, ist isoliert, möchte aber gleichzeitig unbedingt an seinem Amt festhalten. Welche Beweggründe sehen Sie für so ein Verhalten? Wer verharrt denn schon freiwillig in solch einer nicht gerade angenehmen Situation?

Eine Mischung von verschiedenen Persönlichkeitsanteilen spielt da eine Rolle. Zum einen: Er muss ja eine gewisse Grundintelligenz haben, um überhaupt in diese Position gelangt zu sein. Aber doch scheinen ihm die Dinge immer wieder zu entgleiten. Ich habe den Eindruck, dass er womöglich über ein heterogenes Intelligenzprofil verfügt. Damit meine ich, dass die kognitive, intellektuelle Intelligenz unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägt sein kann.

Dann gibt es noch die emotionale Ebene, auf der er ebenfalls nicht geschickt agiert. Er scheint sein Geltungsbedürfnis in den Vordergrund zu stellen – das ist ein klassisches Merkmal für narzisstische Persönlichkeitsanteile. Ob es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt, kann man aus der Ferne nicht sagen.

Außerdem wirkt es so, als sei ihm das Grundgefühl der Scham abhandengekommen. Seine Aussagen sind hochimpulsiv und auf den Moment bezogen. Das können wir am Beispiel dessen sehen, was er über seine Tochter gesagt hat. Seine Absicht war wahrscheinlich, zu zeigen, dass er gar keine gute Beziehung zu seiner Ehefrau hatte und deshalb auch keinen Einblick in ihre Konten hatte und alles, was im Rahmen des Awo-Skandals gelaufen ist. Um sich aus der einen Affäre herauszuziehen, begibt er sich in die nächste Problematik: Er verletzt seine Tochter.

Das sind ganz kurzsichtige Handlungen. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Feldmann höchstwahrscheinlich kein guter Schachspieler ist, denn er denkt nicht die nächsten fünf, sechs oder sieben Züge voraus. Das hat auch der Vorfall der sexistischen Äußerungen gegenüber Flugbegleiterinnen gezeigt. Er fand das in dem Moment wohl lustig und wollte Lacher erzeugen. Aber an die Konsequenzen hat er nicht gedacht. Diese Impulsivität ist ein Charakterzug, der sich gesteigert hat im ungeschickten Agieren, das er auch an den Tag legt, um seine Fehltritte zu rechtfertigen.

Bevor das Abwahlverfahren feststand, wurde der Oberbürgermeister mehrfach darum gebeten, zurückzutreten, auch um der Stadt die Kosten dieses Bürgerentscheids zu ersparen. Herr Feldmann hat sich geweigert, die Abwahl anzunehmen. Das hat bei vielen Bürgerinnen und Bürgern Empörung ausgelöst. Was macht so ein Abwahlverfahren mit den Menschen der Stadt? Wie wirkt sich eine solche Situation psychologisch auf eine Gemeinschaft aus?

Feldmann wurde ja 2012 mit einem recht hohen Stimmenanteil von 80 Prozent gewählt. Seitens der Bürgerinnen und Bürger steckte da wohl auch sehr viel Hoffnung drin. Feldmann als Sozialdemokrat erweckte ja anfangs den Eindruck, dass er sich viel für Arbeitslose, Jugendliche und Obdachlose einsetze. Wenn die Menschen aber jetzt einen Oberbürgermeister sehen, der sich anscheinend an seinem Amt bereichert, dann wird er als Politiker unglaubwürdig. Hinzu kommt, dass es sehr unklar ist, ob die nötige Wahlbeteiligung von mindestens 30 Prozent erreicht wird.

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Einige werden sich sicher sagen, jetzt gehe ich erst recht zur Wahl, aber andere wenden sich wahrscheinlich von der Politik ab. Diese Unklarheit des Ausgangs des Bürgerentscheids macht ja auch etwas mit den Menschen. Grundsätzlich fördert die Causa Feldmann Politikverdrossenheit und schadet der Demokratie. Man kann Feldmann ein massiv demokratiegefährdendes Verhalten unterstellen. Denn was machen die Menschen, wenn sie den Politikerinnen und Politikern nicht mehr vertrauen? Sie wenden sich im schlimmsten Fall radikalen Verschwörungsideologien zu und suchen ihr Glück in vermeintlichen Heilsbringern und Demagogen.

Es liegt in der menschlichen Natur, nach einfachen Lösungen und Antworten zu streben. Diese Welt ist mittlerweile dermaßen komplex und das kann man häufig in seinem Umfang gar nicht recht erfassen. In solchen unruhigen Zeiten wie jetzt, mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, steigenden Energiekosten und Inflation, müssen die Staatsvertreter vertrauenswürdig sein und demonstrieren, dass der Staat funktioniert. Das hat Feldmann leider verpasst.

Stellen wir uns mal vor, dass die Wahlbeteiligung von 30 Prozent nicht erreicht wird und Feldmann tatsächlich bis 2024 im Amt bleibt. Für wie resilient halten Sie den Oberbürgermeister? Und was wird das mit der Stadt machen?

Ich denke, dass es eine hochbedenkliche Situation wäre. Wenn dieses Szenario eintritt, dann wird er höchstwahrscheinlich auch weiterhin an Ansehen und Popularität verlieren und eine Serie an massiven Kränkungen bezüglich seines Amtes und somit auch seiner Person erleben.

Das belastet Personen in der Regel psychisch sehr stark. Wenn das aber von ihm abperlen sollte und wir das pathologisieren möchten, dann stellt sich die Frage, ob nicht eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegt. Das heißt, man zweifelt an seiner sozialen Kompetenz und geht von einer Wahrnehmungsstörung aus – er könnte in dem Fall soziale Signale nicht lesen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Jörg Lüders-Heckmann
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
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