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Syrischer Arzt soll Gefangenen per Giftspritze getötet haben
2015 kam Alaa M. nach Deutschland, praktizierte hier als OrthopĂ€de â bis ehemalige Gefangene ihn erkannten. Jetzt steht der Arzt vor Gericht. Die Liste der ihm vorgeworfenen GrĂ€ueltaten ist lang.
Am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat am Mittwoch der Kriegsverbrecherprozess gegen einen Arzt begonnen, dem die Bundesanwaltschaft Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwirft.
Laut Anklage arbeitete Alaa M. zwischen April 2011 und Ende 2012 als Assistenzarzt in einem MilitÀrkrankenhaus in der syrischen Stadt Homs. Dort sowie in einem weiteren MilitÀrkrankenhaus in Damaskus und im GefÀngnis des syrischen MilitÀrischen Geheimdienstes in Homs soll er inhaftierte Zivilisten, die der Opposition gegen Machthaber Baschar al-Assad zugerechnet wurden, gefoltert haben.
Vorwurf: Mit Alkohol ĂŒbergossen und angezĂŒndet
Die VorwĂŒrfe sind hart: M. soll Gefangene getreten, geschlagen und mit einem Schlagstock verprĂŒgelt haben. AuĂerdem soll er laut Anklage einen Gefangenen durch eine Injektion absichtlich getötet haben. Der Arzt habe ihn gemeinsam mit einem Krankenpfleger am Boden fixiert und dem Wehrlosen eine tödliche Spritze verabreicht.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert brutale Details aus der Anklageschrift: M. soll demnach unter anderem die Genitalien eines Jugendlichen mit Alkohol ĂŒbergossen und angezĂŒndet haben. Einen HĂ€ftling, der einen epileptischen Anfall erlitt, soll er ins Gesicht geschlagen, mit einem Plastikschlauch attackiert und gegen den Kopf getreten haben. Dann soll er dem Mann eine Tablette gegeben haben, kurz darauf soll das Opfer gestorben sein.
Es geht um Folter, Mord, schwere Körperverletzung
Ein weiteres Folteropfer soll mit den HĂ€nden an der Decke aufgehĂ€ngt worden sein. Der Mann wurde laut Bundesanwaltschaft mit einem Stock drangsaliert und angezĂŒndet. Zudem soll M. einem Opfer mit Stiefeln auf eine eiternde Wunde getreten haben, dem Mann dann den Arm angezĂŒndet haben.
Insgesamt sind Folterungen in 18 FĂ€llen angeklagt, auĂerdem Mord und schwere Körperverletzung. Es geht um SchlĂ€ge bis zur Bewusstlosigkeit, Quetschungen, KnochenbrĂŒche und Brandverletzungen.
Prozess in Frankfurt: Acht Richter beteiligt
Erst in der vergangenen Woche war der nach Angaben der Bundesanwaltschaft weltweit erste Strafprozess um Staatsfolter in Syrien vor dem Oberlandesgericht Koblenz zu Ende gegangen. Der Syrer Anwar R. wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskrÀftig.
Im aktuellen Fall rechnet das Gericht "mit einem auĂerordentlich aufwĂ€ndigen Verfahren". 14 Verhandlungstage sind bisher terminiert, insgesamt acht Richter beteiligt: Drei ErgĂ€nzungsrichter stehen zusĂ€tzlich zu den fĂŒnf Richtern des Staatsschutzsenates bereit, um bei personellen AusfĂ€llen einspringen zu können.
Arzt kam 2015 nach Deutschland und praktizierte hier
Alaa M. war im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen und hatte in Hessen als OrthopÀde praktiziert. Er war im Juni 2020 festgenommen worden, nachdem ehemalige Gefangene in ihm den Folterer von Homs erkannt hatten. Seitdem befindet sich M. in Untersuchungshaft.
Der syrische Exilaktivist und Journalist Sakher Edris, der aus Paris zu dem Prozess angereist ist, sagte in Frankfurt, Prozesse um Staatsfolter in Syrien vor deutschen Gerichten seien ein Hoffnungsfunke fĂŒr die Angehörigen der Menschen, die in Syrien nach der Festnahme durch SicherheitskrĂ€fte verschwunden seien. Eine Gruppe von Syrern machte vor Prozessbeginn am Mittwoch auf das ungewisse Schicksal vermisster Oppositioneller und die Menschenrechtsverletzungen in Syrien aufmerksam.
Amnesty: Prozess könnte andere Ăberlebende ermutigen, ihr Schweigen zu brechen
Amnesty International begrĂŒĂte, dass unter anderem sexualisierte Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist. "Diese Art von Gewalt bedeutet fĂŒr die Betroffenen in Syrien eine lebenslange Stigmatisierung und steht bei Prozessen nach dem Völkerstrafgesetzbuch bisher leider hĂ€ufig nicht im Fokus", hieĂ es in einer Stellungnahme.
Das Verfahren könnte daher andere Ăberlebende von sexualisierter Gewalt ermutigen, ihr Schweigen zu brechen. Insgesamt zeige der Prozess, dass nicht nur Soldaten und Mitarbeiter des Geheimdienstes, sondern jede Person nach dem Weltrechtsprinzip zur Rechenschaft gezogen werden könne.
Aktuell seien Prozesse nach dem Weltrechtsprinzip auĂerhalb von Syrien die einzige Möglichkeit, um die Verbrechen der syrischen Regierung zumindest teilweise aufzuarbeiten und TĂ€ter zur Rechenschaft zu ziehen. Das Weltrechtsprinzip ermöglicht es, bei besonders schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann Urteile zu verhĂ€ngen, wenn die Taten von anderen Staatsangehörigen in anderen LĂ€ndern begangen wurden.