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Wie arbeitet eigentlich ein Bomben-Entschärfer?


"Es gibt immer ein Restrisiko"
Wie arbeitet eigentlich ein Bombenentschärfer?

Von Sven Raschke

Aktualisiert am 13.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Mark Wernicke, stellvertretender Leiter des Kampfmittelräumdienstes in Felde: Er hat keine Angst bei der Arbeit.Vergrößern des Bildes
Mark Wernicke, stellvertretender Leiter des Kampfmittelräumdienstes in Felde: Er hat keine Angst bei der Arbeit. (Quelle: Sven Raschke)

Hunderte Weltkriegsbomben werden jedes Jahr in Deutschland gefunden und entschärft. Kein Beruf für jedermann. Die Profis vom Kampfmittelräumdienst in

Auf dem Timer ticken in roter Digitalschrift die letzten Sekunden herunter. Die Zange in der zitternden Hand wechselt unschlüssig zwischen dem grünen und dem blauen Draht. Keine Zeit mehr für Zögern. Eine Entscheidung muss her, die über Leben und Tod bestimmt.

Die Szene einer Bombenentschärfung, wie sie wohl jeder als Klischee im Kopf hat. Die Realität sieht natürlich anders aus. Bei den etwa zwei Dutzend Bombenfunden, die der schleswig-holsteinische Kampfmittelräumdienst jährlich macht, gibt es in aller Regel keine farbigen Drähte oder blinkenden Countdowns – und ganz, ganz selten fliegt mal etwas unkontrolliert in die Luft. Trotzdem kann es durchaus auch heikel werden.

Seinen kritischsten Fall hatte Oliver Kienast 2017 auf Helgoland. Seit 13 Jahren ist der 54-jährige Bombenentschärfer beim Kampfmittelräumdienst in Felde nahe Kiel. "Bei der Bombe steckte die Zündnadel schon im Zündhütchen – das löst normalerweise die Explosion aus. Dann war die besondere Situation auf Helgoland, dass wir die nötige Spezialausrüstung nicht rechtzeitig heranholen konnten." Letztlich habe er die Zündnadel mit einer Zange herausgezogen. "Es ging alles gut, aber das würde ich nie wieder machen", sagt Kienast. Eine kontrollierte Sprengung, sagt er, wäre der sicherere Weg gewesen. Aber er habe an die evakuierten Menschen und deren Ungeduld gedacht, er wollte den Einsatz zu Ende bringen.

Vervierfachung der Fälle in den letzten Jahren

Weitaus häufiger als mit Beinahe-Katastrophen haben die Bombenentschärfer aus Felde mit der zunehmenden Flut an Fällen zu kämpfen. "Seit 2017 haben wir eine Vervierfachung der Anträge", sagt Mark Wernicke. Er ist der stellvertretende Leiter des für ganz Schleswig-Holstein zuständigen Dienstes in Felde.

"Damals waren es etwa 2.500. In diesem Jahr werden wir bei über 10.000 landen", schätzt Wernicke. Die Anträge, das sind noch keine tatsächlichen Bombenfunde, sondern Fälle, in denen irgendwo im Land irgendetwas gebaut werden soll. Bevor das geschehen kann, muss erst einmal der Untergrund nach den gefährlichen Hinterlassenschaften aus den Weltkriegen abgesucht werden. Die allermeisten Bombenfunde lassen sich darauf zurückführen.

Weil in Schleswig-Holstein in den vergangenen Monaten und Jahren so viel gebaut wird, hat deshalb auch die Arbeit der Bomben-Experten zugenommen. "Momentan bekommen wir es kaum bewältigt", sagt Wernicke. Eine Besserung der Lage sei aber in Sicht. In diesem Jahr stellt die Behörde sechs neue Luftbildauswerter ein. Knapp 50 Menschen arbeiten dann in Felde.

Historische Luftbilder helfen bei der Bombensuche

Die Luftbildauswertung ist ein zentraler Schritt bei der Suche nach Bomben. Auf ihren Monitoren analysieren die Auswerter alte Fotoaufnahmen aus den verschiedenen Kriegsjahren. Die Bilder stammen von den Alliierten Kriegsteilnehmern und sind erst seit Mitte der 1980er-Jahre freigegeben. Vorher wurden Bomben, wenn überhaupt, erst beim Bauen entdeckt.

Uwe Keller ist Pressesprecher des Kampfmittelräumdienstes. Er kann sich noch an einen Fund in Heikendorf erinnern: "Dort sollte ein Hauseingang neu verlegt werden, und beim Abriss der Treppe hat direkt unterm Fundament eine Bombe gelegen. So was kommt heute nicht mehr vor."

Auf den alten Luftbildern zu sehen sind viele große Krater, die von explodierten Bomben stammen. Verdächtig kleine Krater könnten auf einen Blindgänger hinweisen. Erhärtet sich der Verdacht, übernehmen zunächst spezialisierte Kampfmittelräumfirmen. Vor Ort suchen sie mit Sonden, die etwa das Eisen der Bomben erkennen können, den Boden ab. Manchmal reichen dafür Geräte an der Oberfläche, mitunter wird gebohrt und werden die Detektoren in den Untergrund gesenkt.

Werden die Sonden fündig, wird vorsichtig gebaggert und gegraben, zum Schluss per Hand. Die vorangegangenen Untersuchungen sind zuverlässig genug, dass die Profis dann meist auch tatsächlich auf eine Bombe stoßen. Ab diesem Punkt übernimmt wieder der Kampfmittelräumdienst.

Entschärfung von Weltkriegsbomben: Der Zünder-Typ ist entscheidend

In den allermeisten Fällen handelt es sich um eine Fliegerbombe mit einem sogenannten Aufschlagzünder, der durch die Wucht des Aufpralls die Explosion hätte auslösen sollen. Mit den zuständigen Behörden, der Polizei und der Feuerwehr wird dann ein Termin zur Evakuierung der Bevölkerung rund ums Gelände abgestimmt – ein Zeitraum, der möglichst nahe liegt, aber den Alltag der Menschen möglichst wenig beeinträchtigt.

Manchmal aber ist ein Langzeitzünder in der Bombe verbaut. "Die sind eigentlich auf drei Stunden bis drei Tage eingestellt", erklärt Wernicke, "Terrorbomben, die auch Rettungskräfte und Entschärfer gefährden sollten, sodass die Kriegswirtschaft nach einem Angriff nicht wieder sofort anspringen konnte." Dieser Typ Bombe könnte jederzeit hochgehen – in Deutschland passiert das laut Wernicke durchschnittlich einmal im Jahr.

"Die Entschärfung an sich ist für mich eher ein technisches Problem. Mit Angst hat das nichts zu tun", sagt Bombenentschärfer Kienast. Angespannt sei er vielmehr während der Identifizierung des Zündertyps – es könnte schließlich ein Zeitzünder sein. Zweimal hat er das erlebt, zuletzt im Oktober 2020 in Dietrichsdorf. "Das macht schon was mit einem, wenn man weiß, die könnte jeden Augenblick von allein explodieren", sagt Kienast. Wird eine Bombe mit Langzeitzünder entdeckt, wird deshalb sofort die Evakuierung eingeleitet.

"So eine Bombe kann nicht entschärft werden", sagt Wernicke. "Die hat eine Ausbausperre, die auslöst, wenn man versucht sie zu entschärfen. Die Bombe darf auch nicht bewegt werden, weil schon die Verlagerung zur Auslösung des Zünders führen kann." In Schleswig-Holstein werden solche Bomben deshalb grundsätzlich vor Ort gesprengt. "Zum Glück", sagt Wernicke, "sind solche Bomben eher selten in Schleswig-Holstein." Einmal alle paar Jahre komme das vor.

Der Schaden durch eine solche kontrollierte Sprengung ist minimal. Wasserkissen mit mehreren Zehntausend Litern mildern die Druckwelle ab und verhindern Splitterflug. Bei der Sprengung in Dietrichsdorf 2020 blieb eine wenige Meter entfernt stehende Gartenlaterne unversehrt.

Wie die Bomben entschärft werden

Zurück zum Regelfall: der Fliegerbombe mit Aufschlagzünder. "Entschärfung bedeutet, dass wir bis auf die Hauptladung alle Elemente der Zündkette entfernen", erklärt Wernicke. Der Sprengstoff bleibt also in der Bombe. Der Bombenentschärfer entfernt lediglich den Zünder samt Zündnadel, der die Detonation auslösen würde.

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Der Entschärfer verwendet dazu Zangen, Schlüssel und Hebel – Werkzeuge, die speziell und millimetergenau für den jeweiligen Bombentyp hergestellt wurden. Weitere Details zur Entschärfung hält die Behörde geheim. "Wir möchten unbedingt vermeiden, dass sich jemand zum Hobby-Entschärfer berufen fühlt und dadurch sich und andere gefährdet", erklärt Wernicke.

Eine Bombe vor der Küste wird, sofern möglich, gehoben und an Land entschärft. Unbeabsichtigt hochgegangen sei eine Bombe in Schleswig-Holstein zuletzt im Jahr 1990: eine verrostete 2-Zentimeter-Granate, während des Entschärfungsversuchs auf dem Gelände des Kampfmittelräumdienstes in Felde. "Es gibt immer ein Restrisiko", sagt Wernicke.

Hunderte Blindgänger sind noch nicht entdeckt

Ist die Bombe entschärft, wird sie abtransportiert und nach Munster in eine Entsorgungseinrichtung für Kampfmittel gebracht. Hier wird die Bombe in Scheiben zersägt und in kleinen Portionen ohne Explosionsgefahr verbrannt. Das Metall wird wiederverwertet.

24 Bomben wurden so im vergangenen Jahr in Schleswig-Holstein unschädlich gemacht. Für 2021 rechnet der Kampfmittelräumdienst mit ähnlichen Zahlen.

Wie viele Bomben noch im schleswig-holsteinischen Boden vergraben liegen, weiß niemand genau. "Im Zweiten Weltkrieg allein wurden über Schleswig-Holstein 45.000 Tonnen an Bomben abgeworfen", so Wernicke. Ein Teil davon Brandbomben, die heute keine Gefahr mehr darstellen, der andere Teil Sprengbomben. Von diesen wiederum waren 10 bis 15 Prozent Blindgänger – was mehreren Tausend Bomben entspricht. "So viele wurden noch nicht entschärft", sagt Wernicke. Die Zahl der tatsächlich gefährlichen Kriegserbstücke könnte also durchaus noch vierstellig sein. "Was wir sicher sagen können", sagt Wernicke, "ist, dass wir in diesem Jahrhundert nicht fertig werden damit."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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